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Vor 125 Jahren
Erster Deutscher Hebammentag

In ihrer langen Geschichte sind Hebammen nicht nur bewundert, sondern teilweise auch als Hexen verfolgt worden. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts organisierte sich der Berufsstand in Vereinen. Am 22. September 1890 fand in Berlin der Erste Deutsche Hebammentag statt. Das damalige Ziel klingt aus heutiger Sicht besonders aktuell: Es ging um die schlechte wirtschaftliche Situation.

    Eine schwangere Frau hält ihren Bauch.
    Erst im 18. Jahrhundert entstanden staatliche Hebammenschulen in Deutschland, die erste an der Berliner Charité. (dpa/Fredrik von Erichsen)
    Es beginnt mit einer Art Spendenaktion im Sommer 1885 in Berlin: Ein paar Hebammen treffen sich und sammeln Geld, um eine junge Kollegin, die völlig verarmt gestorben war, wenigstens "anständig beerdigen" zu lassen. Mit dabei ist auch Olga Gebauer, eine sehr kämpferische Vertreterin ihres Berufsstandes. Sie gründet noch im selben Jahr den "Berliner Hebammenverein", weil immer mehr "Wehemütter" von ihrer Arbeit kaum leben können, erzählt Dorothea Tegethoff, die Gastprofessorin für Hebammenkunde an der Evangelischen Hochschule Berlin:
    "Die Hebammen waren in einer sehr schwierigen Situation am Ende des 19. Jahrhunderts. Das Wirtschaftliche, das war alles mehr oder weniger ungeregelt. Es gab sehr viele Hebammen sehr unterschiedlichen Ausbildungsstands. Und einer der ersten Beschlüsse dieses Vereins war, dass Vereinshebammen keine Geburten mehr ohne geordnete Gebühren überhaupt durchführen."
    Hebammen - einst ein beliebtes Opfer der Hexenverfolgung
    Auch in anderen Städten entstehen bald solche Vereine, und am 22. September 1890 kommen schließlich über 900 Frauen aus allen Teilen des Reiches zum "Ersten deutschen Hebammentag" in Berlin zusammen. Ganz oben auf der Tagesordnung steht noch immer die wirtschaftliche Situation, aber auch das grundsätzlichere Thema: Wie kann der Berufsstand mehr Achtung erfahren ...
    "Also, was so den Ruf von Hebammen angeht, ich denke, das war sehr schwankend: auf der einen Seite gibt es eben diesen Begriff der weisen Frauen, die haben eine hervorgehobene soziale Stellung: Wer ist wichtig im Dorf, das sind der Pfarrer, der Lehrer und die Hebamme; und auf der anderen Seite gibt es dann eben auch so diese Geschichten, dass sie eher verrufen sind, das ist so ein kontinuierliches Auf und Ab."
    Dass die Hebammen Frauen mit besonderen Aufgaben und Fähigkeiten waren, belegen schon ägyptische Tempelmalereien aus dem dritten vorchristlichen Jahrtausend. Sie wurden zu allen Zeiten bei Frauenleiden konsultiert, aber auch bei Fruchtbarkeits- oder Verhütungsfragen und bei Abtreibungen, weshalb sie besonders oft Opfer der Hexenverfolgung waren.
    "In dem Sinne, dass es sich tatsächlich um einen Beruf handelt, das ist also bestenfalls ein mittelalterliches Phänomen: so ab dem 15. Jahrhundert gibt es dann so etwas wie Hebammenordnungen, wo dann aber auch schon so etwas wie staatliche und ärztliche Kontrolle gleich einsetzt, wo es eben diese Konfrontation zwischen Hebammen und Ärzten gibt, da gibt es also wirklich auch bestürzende Dokumente, wie sich Ärzte da über Hebammen äußern: 'Die sind alle dumm, die sind alle ungebildet'. Und das Problem war ja, dass Frauen zu den entsprechenden Bildungseinrichtungen keinen Zugang hatten."
    Jahrhundertelang lernten junge Hebammen das geburtshilfliche Wissen traditionell von den Älteren. Erst im 18. Jahrhundert entstanden staatliche Hebammenschulen in Deutschland, die erste an der Berliner Charité. Aber als Mitte des 19. Jahrhunderts die Geburtshilfe ein Pflichtfach in der Ärzteausbildung wurde, verloren viele Hebammen wieder Ansehen – und auch Einkünfte.
    Olga Gebauer, die selbst seit 1888 Oberhebamme in der Berliner Universitäts-Frauenklinik war, setzte sich auf dem Ersten deutschen Hebammentag besonders für eine geregelte und fundierte Ausbildung ein. Und deshalb ging es bei der Berliner Tagung neben berufspolitischen Fragen auch um ein Fachthema: Die Verhinderung des Kindbett- oder Wochenbettfiebers:
    "Also Wochenbettfieber war damals natürlich ein sehr großes Problem, und vor allem für die Hebammen, weil in den Kliniken, da wurden die Regeln der Asepsis sehr konsequent durchgeführt, und zu Hause in den Berliner Hinterhöfen, da war das natürlich sehr viel schwieriger umzusetzen, mit der Verhütung des Wochenbettfiebers."
    Die organisierten Vereinshebammen traten damals vehement für eine Professionalisierung ihres Berufsstandes auf wissenschaftlicher Grundlage ein.
    "Sie wollten nicht mehr Hebamme heißen, sondern sie wollten Geburtshelferin heißen, weil Hebamme eben für "unwissenschaftlich, Kräuterfrau", irgendwie "informelle Helferin" stand, und da haben die Gesundheitsämter und die Ärzteverbände für gesorgt, dass das verboten wurde. Also Hebammen, die sich Geburtshelferin an die Haustür geschrieben haben, die sind mit Bußgeldern belegt worden."
    "Was für ein Aufwand an Kraft und Zeit gehört dazu, für alle Frauenangelegenheiten einen kleinen winzigen Schritt nach vorn zu gewinnen!", schreibt die Initiatorin des Ersten deutschen Hebammentages, Olga Gebauer, 1908 etwas resigniert in ihr Tagebuch.