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Vor 125 Jahren gestorben
Guy de Maupassant - der große Erzähler des 19. Jahrhunderts

Guy de Maupassant gilt als Vollender der französischen Novelle. In wenigen Jahren schrieb der Veteran des deutsch-französischen Krieges beinahe 300 Novellen, mehrere Romane und eine Fülle von Zeitungsartikeln. Vor 125 Jahren starb der Schriftsteller und Journalist.

Von Maike Albath | 06.07.2018
    Portrait of Henri René Albert Guy de Maupassant (1850-1893) a French writer and representative of the naturalist school of writers. Dated 19th Century PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY Portrait of Henri Ren Albert Guy de Maupassant 1850 1893 a French Writer and Representative of The naturalist School of Writers dated 19th Century PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY
    Henri René Albert Guy de Maupassant war ein französischer Schriftsteller - er starb 1893 (imago stock&people)
    Mitten im deutsch-französischen Krieg von 1870 fährt eine Kutsche durch den winterlichen Osten Frankreichs. Die Fahrgäste sind angesehene Unternehmer und Adlige mit dicken Brieftaschen und ehrenwerten Gattinnen. Nur eine Person fällt aus dem Rahmen.
    "Die Frau, eine jener, die man galant nennt, war berühmt ihres vorzeitigen Bäuchleins wegen, das ihr den Spitznamen ‚Fettklößchen‘ eingetragen hatte. Sie war klein, überall rundlich, speckig, mit aufgequollenen, kurzgliedrigen Fingern, die wie Bündel kurzer Würstchen aussahen; mit glänzender-glatter Haut und einem ungeheuren Busen. Trotz alldem war sie appetitlich und hatte großen Zulauf, denn ihre Frische war vergnüglich anzusehen."
    Als ein preußischer Offizier die Reisegesellschaft anhält, verlangt er die Dienste der rundlichen Mademoiselle. Aber sie verweigert sich und legt als einzige moralische Größe an den Tag, während die feinen Herrschaften nur daran denken, die eigene Haut zu retten. "Fettklößchen" lautete der Titel dieser Novelle, die 1880 erschien und den Verfasser Guy de Maupassant auf einen Schlag berühmt machte. Als Kriegsteilnehmer hatte er sein Land gründlich kennen gelernt, wusste um die Doppelmoral des Bürgertums, nahm Habgier und Selbstsucht aufs Korn und stellte Prostituierte, Fischer und Bauern in den Mittelpunkt seiner auch formal glänzend gestalteten Novellen. Das Handwerk des Schreibens hatte ihm ein Jugendfreund seiner Mutter beigebracht: Gustave Flaubert. Es galt das Ideal der unparteilichen Kälte.
    "Was man auch sagen will, es gibt nur ein Wort, es auszudrücken, nur ein Verb, es zu beseelen, und nur ein Adjektiv, es zu qualifizieren."
    Die gesellschaftliche Verwahrlosung
    Maupassant war am 5. August 1850 in Tourville-sur-Arques als Sohn einer verarmten lothringischen Adelsfamilie geboren worden. Weil sein Vater ein notorischer Verschwender und Frauenheld war, ließ sich seine Mutter scheiden und zog die beiden Söhne allein groß. Sein Jurastudium musste Guy wegen des Krieges unterbrechen. Nach seinem Abschied aus der Armee 1872 fand er eine Stelle im Marineministerium; auf Vermittlung Flauberts wechselte er von dort ins Bildungsministerium. Der Freund legte ihm nahe, sich sowohl von Bordellen als auch von Lohnarbeiten für die neuen erfolgreichen Zeitungen fernzuhalten. Maupassant beherzigte weder das eine noch das andere, infizierte sich mit Syphilis, lernte das Milieu seiner Werke aus eigener Anschauung kennen und stieg zum beliebtesten Schriftsteller Frankreichs auf. 1885 erschien sein Roman Bel-Ami, Psychogramm eines skrupellosen Aufsteigers und Sittenbild in einem.
    "Da es so seine Art und auch, als ehemaliger Unteroffizier, seine Angewohnheit war, überall selbstbewusst aufzutreten, warf er sich in die Brust, fuhr sich mit der Routine des Soldaten über den Schnurrbart und ließ seinen Blick in der für gutaussehende Junggesellen typischen Art, zu schauen wie Falken, die auf Beute lauern, blitzschnell über die noch mit dem Essen beschäftigten Gäste kreisen."
    Maupassant wurde wohlhabend
    Kühl deckte Maupassant die gesellschaftliche Verwahrlosung auf. Seine Neigung zur Melancholie bekämpfte er mit rastloser Arbeit: Binnen eines Jahrzehnts entstanden rund 260 Novellen und acht Romane, außerdem mischte er sich mit Zeitungsartikeln in die Politik ein und wetterte gegen die kolonialen Bestrebungen seines Landes. Seine Poetik formulierte er folgendermaßen:
    "Der Realist bemüht sich, wenn er ein Künstler ist, nicht darum, uns eine banale Photographie des Lebens zu liefern, sondern darum, uns ein vollständigeres, treffenderes und wahrscheinlicheres Bild zu vermitteln, als es die die Wirklichkeit selbst vermag."
    Der große Erfolg machte Maupassant wohlhabend, er kaufte sich eine Jacht und ging auf Reisen. Genau wie seine Figuren war er rastlos und süchtig nach Abwechslung: Aus Liebschaften mit verschiedenen Frauen gingen drei Kinder hervor, die Symptome seiner Krankheit bekämpfte er mit Drogen. 1892 erlitt er am Neujahrsabend einen Zusammenbruch. Außer sich vor Angst, in geistiger Umnachtung zu enden, unternahm der Schriftsteller einen Selbstmordversuch. Aber genau das, was er befürchtet hatte, trat ein. In einer Zwangsjacke wurde er in eine private Nervenheilanstalt in Passy eingeliefert und war nicht mehr ansprechbar. Achtzehn Monate später, am 6. Juli 1893, starb Guy de Maupassant.