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Vor 125 Jahren
Tod des amerikanischen Lyrikers Walt Whitman

Der amerikanische Lyriker Walt Whitman gilt als Urstimme der amerikanischen Literatur. Er stellte die Natur und die Bedeutung der Demokratie in den Mittelpunkt seines Schaffens. Sein Hauptwerk, der Gedichtband "Grashalme", erweiterte er bis zu seinem Tod am 26. März 1892.

Von Christian Linder | 26.03.2017
    Der US-amerikanische Schriftsteller Walt Whitman (1819 – 1892)
    Der US-amerikanische Schriftsteller Walt Whitman (1819 – 1892) (imago / UPI Photo)
    Welch ein Angebot und Versprechen:
    "Bleib diesen Tag und diese Nacht bei mir, und du sollst den Ursprung aller Gedichte haben."
    Aber wer sprach da den Leser als "Camerado" so direkt an? Auf dem Umschlag des 1855 in New York erschienenen Gedichtbandes "Leaves of Grass" hatte der Autor nämlich seinen Namen verschwiegen und nur ein Foto von sich präsentiert, das ihn als Siedler in Arbeitskluft zeigte. Erst im Verlauf der Gedichte gab der damals 36-Jährige seinen Namen preis:
    "Walt Whitman, ein Kosmos, ... Vom fischförmigen Paumanok kommend."
    Paumanok war der indianische Name für Long Island, wo Walt Whitman, in Huntington, am 31. Mai 1819 als Sohn eines Zimmermanns geboren wurde. Er arbeitete zunächst als Lehrer, dann als Setzer und Drucker und schließlich als Journalist in New York, bis er einen "Gesang von mir selbst" anstimmte:
    "Der Klang der Worte, die meine Stimme ausstößt, in die Wirbel des Winds verweht, / ... Das Spiel von Schatten und Schein in den Bäumen beim Schaukeln der biegsamen Äste, / Das Entzücken allein und im Trubel der Straßen oder an Feldern und Hügeln entlang ... / mein Singen, / wenn ich vom Bett aufstehe, der Sonne entgegen."
    Frei fließende Wortmusik
    Eine durch keine Reime eingeschränkte und gebremste, sondern in frei fließenden Versen vorgetragene Wortmusik, die auf überschwänglich-erotische Weise vom Glücksverlangen des Autors erzählte, sich in der Welt zu spüren und eine sinnliche Gewissheit der Erscheinungen zu bekommen. Ein Grashalm sei »nicht geringer als das Tagwerk der Sterne«, befand Whitman und erkundete das Inventar der Welt:
    "Die Felsen und die Blumen des fünften / Monats, Sterne, Regen und Schnee, mein Erstaunen, / Der ich des Spottvogels Töne erforscht habe und den Flug des Bergfalken / Und bei der Dämmerung die Unvergleichliche hörte, die Einsiedlerdrossel in den Sumpfzedern, / Einsam, singend im Westen, stimme ich an für eine neue Welt."
    Sein Buch "Leaves of Grass", "Grashalme", als "work in progress" begreifend und es von Auflage zu Auflage mit neuen "kosmischen" Gedichtfeiern auf Schönheit, Individualität und Freiheit, Gegenwart und allerlei Zukunftsvisionen füllend, blickte der Autor aber immer wieder auch in die Vergangenheit zurück und führte sich in der großen Umarmungsgeste seines Schreibens noch einmal die ganze Menschheitsgeschichte vor Augen.
    Ein früher Leser zu Beginn des 20. Jahrhunderts war der junge Literat Hans Reisiger, dem wir die 1922 erschienene und bis heute kongenialste deutsche Übersetzung der "Grashalme" verdanken. Reisiger war das Buch während eines Florenz-Aufenthalts in die Hände gefallen.
    "Die abendliche Melancholie hier über der bis in alle Poren ihres Gesteins von Vergangenheit durchdrungenen Stadt, und dazu dies andere, das doch Erstlingsfrische war, Augenaufschlagen, erstes Anreden der Welt, unmittelbares Aussagen des Jetzt und Hier, eines Menschen der Gegenwart Mitte des 19. Jahrhunderts im eben erst zu seiner ungestümen Entwicklung ansetzenden großräumigen, leerräumigen, von noch fast unbenannten riesigen Gebirgen und gewaltigen Strömen durchzogenen Amerika."
    Leise Töne und große Politik
    Die Entwicklung in Amerika geriet mehr und mehr in Whitmans Blick.
    "O Captain! My captain! Our fearful trip is done, the ship."
    Als Walt Whitman diese Totenklage auf den ermordeten amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln schrieb, war aus dem Autor der "Leaves of Grass" ein nicht nur anerkannter, sondern wegen seiner Lobpreisungen auf die Demokratie geliebter Schriftsteller geworden, der bis zu seinem Tod am 26. März 1892 in Camden in New Jersey seinen Ruhm als eine der "Urstimmen" der amerikanischen Literatur auch zu genießen wusste und befriedigt auf sein Lebenswerk zurückblickte – aus den 20 lyrischen Gesängen der Erstausgabe war in der Ausgabe letzter Hand ein Band mit gut 400 Gedichten geworden.
    Wer den Autor darin nicht gleich zu fassen bekomme, hatte Whitman schon in der Erstausgabe der "Grashalme" in dem für ihn typisch forschen Optimismus seinen Lesern zugerufen, der solle nur Mut behalten.
    "Triffst du mich nicht an einer Stelle, so suche woanders, irgendwo bleib ich und warte auf dich."