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Vor 15 Jahren
Widerstandskämpferin Lisa Fittko gestorben

Die Linkssozialistin Lisa Fittko verhalf anderen Emigranten zur Flucht vor der Gestapo. Aus dem unbesetzten Teil Frankreichs schleuste sie 1940/41 über Schmugglerpfade Juden, Kommunisten und Sozialdemokraten via Spanien nach Portugal. Am 12. März 2005 starb Fittko hochbetagt in Chicago.

Von Wolfgang Stenke |
    Grenzgebiet zu Frankreich: die spanische Stadt Portbou in Katalonien.
    Lisa Fittko brachte den Philosophen Walter Benjamin auf einem alten Schmugglerpfad aus Frankreich ins spanische Portbou. (pa/ Photopqr/Julio Pelaez)
    "Es war Chaos, Chaos gemischt mit Panik und unrealistischen Träumereien über Möglichkeiten, wegzukommen."
    Marseille, Sommer 1940: Auf der Flucht vor den Nationalsozialisten strandete die österreichische Emigrantin Lisa Fittko mit ihrem Mann im unbesetzten Süden Frankreichs.
    "Die Bevölkerung ist ja geflohen vor den Deutschen, und es hat sich alles im Süden zusammengefunden. Und Marseille war irgendwie die große Stadt und der einzig freie Hafen, Überseehafen. Und da hat sich alles danach gedrängt."
    Flucht durch halb Europa
    Schon 1933 wegen Verbreitung antifaschistischer Flugblätter ins Exil gezwungen, flüchtete die junge Sozialistin aus Berlin durch halb Europa: Prag, Basel, Amsterdam, Paris. Als Frankreich im Juni 1940 vor der Wehrmacht kapitulierte, saß sie mit Tausenden von Emigranten in der Falle. Jeder, der Grund hatte, sich vor nationalsozialistischer Nachstellung zu fürchten – ob Jude, Kommunist oder missliebiger Intellektueller -, hoffte auf eine Möglichkeit zur Ausreise. Um ein Land zu finden, das Aufnahme versprach, standen verzweifelte Flüchtlinge vor den Konsulaten Schlange.
    "Jeden Tag gab es irgendetwas Neues: Schiffe, die angeblich gekauft worden sind und die nach Übersee gehen werden – die dann überhaupt nicht existiert haben. Es gab nur einen sogenannten Kapitän, der das Geld einkassiert hat. Visen wurden verkauft von den unglaublichsten Ländern. Viele Leute sind jeder Möglichkeit nachgelaufen."
    Walter Benjamin und seine Aktentasche
    Lisa Fittko, die aus dem französischen Internierungslager Gurs hatte entkommen können, wurde Fluchthelferin. Dank der Hilfe eines sozialistischen Bürgermeisters fand sie einen Schleichweg nach Spanien. Er führte vom französischen Banyuls über die östlichen Pyrenäen zum spanischen Portbou. Den ersten Flüchtling, den sie auf dem alten Schmugglerpfad bis zur Grenze begleitete, kannte Lisa Fittko schon aus Berlin: Es war der Philosoph Walter Benjamin. Er war damals 48 Jahre alt, körperlich nicht in bester Verfassung und trug eine schwere Aktentasche mit sich.
    "Er hat gesagt: ‚Ich trenne mich nie von dieser Tasche. Die hat das Manuskript, das wichtiger ist als ich selber. Das ist mein Nachlass, und ich werd’s nie aus der Hand geben. Und worauf es mir ankommt ist, nicht in die Hände der Gestapo zu fallen – ich als Person und das Manuskript.’"
    Sieben Monate und ein paar hundert Leute
    Nur mit Mühe schaffte der herzkranke Benjamin den Weg über das Gebirge. In Portbou bedrohte ihn die spanische Polizei mit der Rückstellung nach Frankreich. In der Nacht vom 25. auf den 26. September 1940 nahm Walter Benjamin sich das Leben. Die Aktentasche, die wohl sein legendäres "Passagen-Werk" enthielt, ist seither verschollen.
    Lisa Fittko hatte das Glück, in Marseille dem Amerikaner Varian Fry vom "Emergency Rescue Committee" zu begegnen. Die in New York gegründete Organisation unterstützte Nazigegner materiell und half ihnen bei der Flucht. Manchmal legal, manchmal illegal beschaffte Fry Pässe, Visa und Schiffspassagen.
    "Er hat uns gefragt, ob wir nicht für kurze Zeit an die Grenze runter wollen und den Leuten helfen, hinüberzukommen – nachdem ich den Weg nun kenne. (…) Und aus der kurzen Zeit sind dann, glaube ich, sieben Monate und ein paar hundert Leute geworden."
    Engagement in der Bürgerrechts- und Friedensbewegung
    Hannah Arendt, Lion Feuchtwanger, Heinrich Mann, Max Ernst und Franz Werfel gehörten zu den Künstlern und Intellektuellen, denen das Emergency Rescue Committee zur Flucht verhalf. Lisa Fittko selbst entkam mit ihrem Mann 1941 nach Kuba. 1948 durften die Fittkos in die USA einreisen. Sie lebten in Chicago, wo Hans Fittko 1960 starb.
    Lisa Fittko arbeitete als Angestellte an der Universität von Chicago. Ihr politisches Engagement widmete sie der amerikanischen Bürgerrechts- und Friedensbewegung. Ihr Erinnerungsbuch "Mein Weg über die Pyrenäen" wurde 1985 ein großer Erfolg. Bundespräsident von Weizsäcker ehrte sie mit dem Bundesverdienstkreuz. Lisa Fittko starb am 12. März 2005 im Alter von 94 Jahren in Chicago.