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Vor 150 Jahren geboren
Fritz Haber - "Vater des Gaskriegs"

Fritz Haber legte den Grundstein für die Massenproduktion von Kunstdünger und blieb zugleich als "Vater des Gaskriegs" aus dem Ersten Weltkrieg in Erinnerung. Der Chemiker war einer der mächtigsten Männer im deutschen Wissenschaftsbetrieb - und starb dennoch als gebrochener Mann.

Von Irene Meichsner | 09.12.2018
    Fritz Haber auf einer Aufnahme datiert um 1918
    Eva Charlotte Lewis sagte über ihren Vater Fritz Haber: "Für ihn gab es nur erstens: sein Land oder seine Heimat oder sein Deutschland." (dpa/akg-images)
    "Chlorgas wird eingeatmet, ist schwerer als die Luft - das heißt, alles da, wo Körper, wo Schleimhäute sind, also Augen, Nase, Rachen - wird letztendlich durch das Chlorgas befallen; aber vor allem die Lunge ist dann das Ziel, es gibt ein Lungen-Ödem, und man stirbt dann letztendlich."
    Mit dem ersten Einsatz von Chlorgas, dessen Wirkung der Militärexperte Michael Höfer hier beschreibt, begann am 22. April 1915 die Ära der modernen Massenvernichtungswaffen. Auch der Chemiker Fritz Haber, ein glühender Patriot, war an diesem Tag an der Front in der Nähe der belgischen Stadt Ypern, wo er die Vorbereitungen zum Einsatz der neuen Waffe persönlich überwachte.
    Deutschland - zuerst, immer zuerst
    "Für ihn gab es nur erstens: sein Land oder seine Heimat oder sein Deutschland. Zuerst, immer zuerst. Deshalb, glaube ich, hat er mit dem Gas das im Krieg gemacht, was er sonst wirklich nicht gemacht hätte",
    sagte Habers Tochter Eva Charlotte Lewis über den Vater, einen der mächtigsten Männer im deutschen Wissenschaftsbetrieb.
    "Ich war mehr als ein großer Heerführer, mehr als ein Industriekapitän, ich war der Gründer von Industrien. Alle Türen standen mir offen", sagte der Sohn eines jüdischen Farben- und Chemikalienhändlers, der am 9. Dezember 1868 in Breslau geboren wurde, gegen Ende seines Lebens. Als junger Professor an der Technischen Hochschule in Karlsruhe hatte Fritz Haber das so genannte Haber-Bosch-Verfahren entwickelt.
    Es ermöglichte die synthetische Herstellung von Ammoniak aus atmosphärischem Stickstoff und Wasserstoff - und damit die Massenproduktion von Kunstdünger. Dazu Habers Biografin Margit Szöllösi-Janze: "Es ist ihm gelungen, das technisch umzusetzen, in einer Versuchsapparatur zum Laufen zu bringen. Und dann konnte er es der BASF anbieten, die das dann mit Hilfe von Carl Bosch im großtechnischen Maßstab umgesetzt hat."
    Gründungsdirektor des Kaiser-Wilhelm-Instituts in Berlin
    1911 ging Haber als Gründungsdirektor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie nach Berlin. Während des Ersten Weltkriegs baute er sein Institut in ein großes Gaskriegs-Forschungszentrum um. Auf Chlorgas folgten Phosgen, Blau- und Gelbkreuz, auch "Senfgas" genannt. Haber wusste, dass der Feind imstande sein würde, Gegenwaffen zu entwickeln.
    "Das hat er gesehen. Deswegen hat er immer bei den Militärs gedrängt, doch mehr Gas einzusetzen, damit eben diese Spirale unterbrochen wird. Und es hat ihn furchtbar geärgert, dass diese Militärs gezögert haben, dann doch immer wieder nur punktuell und zeitlich begrenzt das Gas eingesetzt haben."
    1920 nahm Haber in Stockholm den Chemie-Nobelpreis entgegen, der ihm ein Jahr zuvor für die Ammoniak-Synthese zuerkannt worden war. Haber pflegte seine Kontakte zur Wirtschaft; mit seinen Forschungen zum Einsatz von Blausäure legte er den Grundstein zur Entwicklung des Schädlingsbekämpfungsmittels "Zyklon B", das während des Holocaust für die Ermordung der Juden verwendet werden sollte. Auf Habers Initiative hin wurde auch das Geheimprojekt "M" der Reichsregierung aufgelegt. "M" stand für das Meergold, das er aus Meerwasser gewinnen wollte, um damit die deutschen Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg zu finanzieren. Mit diesem Projekt ist er allerdings gescheitert.
    Für seine Karriere alles geopfert
    Haber hat für seine Karriere alles geopfert, auch sein privates Glück. Seine erste Frau, die Chemikerin Clara Immerwahr, hatte sich 1915 das Leben genommen - möglicherweise auch aus Protest gegen die Giftgasforschung ihres Mannes. Auch Habers zweite Ehe scheiterte. Durch die Weltwirtschaftskrise sah er sich finanziell ruiniert. Als schon bald nach der nationalsozialistischen Machtergreifung mehrere seiner besten Mitarbeiter wegen des so genannten Arier-Paragrafen ihre Stelle verloren, trat Haber als Institutschef zurück.
    "Als gebrochener Mann ging Haber nach Cambridge in England, wo er sehr freundlich aufgenommen wurde. Aber er war schon lange schwer krank. Den tiefen Schock konnte er nicht überwinden", sagte Otto Hahn später über den ehemaligen Kollegen, der am 29. Januar 1934 in Basel an Herzversagen starb. Fritz Haber blieb als einer der größten Chemiker seiner Zeit in Erinnerung – und als "Vater des Gaskriegs", dem circa 100.000 Menschen zum Opfer fielen. Schätzungsweise eine Million trugen schwere Verletzungen davon.