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Vor 170 Jahren verabschiedet
Die „Grundrechte des deutschen Volkes“

Im Mai 1848 versammelten sich in Frankfurt die Mitglieder des ersten gesamtdeutschen Parlaments, um über die Bildung eines Nationalstaats und eine freiheitliche Verfassung zu beraten. Am 27. Dezember 1848 wurde dann ein Gesetz verabschiedet, das erstmals Menschen- und Bürgerrechte garantierte.

Von Otto Langels | 27.12.2018
    Die Paulskirche in Frankfurt am Main (Hessen), aufgenommen am 22.02.2017 vom Maintower aus
    Der Verfassungsausschuss der Nationalversammlung tagte 1848 in der Frankfurter Paulskirche (dpa)
    "Wir konnten die Sache von oben her anfangen, wir konnten uns zuerst beschäftigen mit der Constituierung der Centralgewalt. Allein auch ein anderer Ausweg stand uns offen: Wir konnten auch damit anfangen, die tieferen Schichten des öffentlichen Lebens zu erfassen, die Rechte festzustellen, die dem ganzen Volke und dem Einzelnen im Volke zukommen."
    Georg Beseler, Sprecher des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung, erklärte 1848 in der Frankfurter Paulskirche, vor welchen Alternativen man damals stand: Statt über die nationale Einheit und die künftige Staatsform zu diskutieren, entschied der Ausschuss, zunächst die Freiheits- und Bürgerrechte in Angriff zu nehmen.
    "Wir wollen jetzt aus dem herauskommen, was uns der Polizeistaat der letzten Jahrhunderte gebracht hat. Wir wollen den Rechtsstaat auch für Deutschland begründen."
    Ein Traum wurde erfüllt
    Bereits eine Woche nach der Konstituierung der Nationalversammlung im Mai 1848 nahm der Verfassungsausschuss seine Arbeit auf.
    "Damit erfüllte sich ein Traum, als demokratisch gewählte Abgeordnete die Einheit und Freiheit des Landes mit Grundrechten zu realisieren." Erklärt der Historiker Wolfram Siemann.
    Dem Ausschuss gehörten – neben Beseler - unter anderen Friedrich Daniel Bassermann, Robert Blum, Johann Gustav Droysen und Robert Mohl an. Sie hatten sich bereits zuvor in den deutschen Teilstaaten gegen obrigkeitsstaatliches Handeln eingesetzt. Der Soziologe Heinrich Best:
    "Viele von denen, die da in der Frankfurter Nationalversammlung gesessen haben, hatten eben auch Erfahrung im politischen Kampf um Freiheitsrechte, um eine politische Neuordnung des deutschsprachigen Mitteleuropas, und das waren natürlich auch politische Erfahrungen."
    Anfang Juli legte der Ausschuss einen Verfassungsentwurf vor. In der Präambel heißt es:
    "Dem deutschen Volke sollen die nachstehenden Grundrechte gewährleistet sein. Keine Verfassung oder Gesetzgebung eines deutschen Einzelstaates soll dieselben je aufheben oder beschränken können."
    Unverkennbare Bezüge zu Frankreich und den USA
    Kern des Entwurfs waren die unveräußerlichen Freiheitsrechte des Einzelnen, insbesondere die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Bezüge zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 und der französischen Menschenrechtserklärung von 1789 waren unverkennbar.
    Die ersten Paragraphen regelten das jedem Deutschen zustehende Reichsbürgerrecht, die Freizügigkeit des Einzelnen sowie die Gleichheit vor dem Gesetz. Dann folgen:
    "§ 8. Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
    § 9. Die Todesstrafe … sowie die Strafen des Prangers, der Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung sind abgeschafft.
    § 10. Die Wohnung ist unverletzlich."
    Weiterhin garantierten die Grundrechte die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie die Freiheit von Wissenschaft und Lehre.
    Am 27. Dezember 1848 verabschiedete die Frankfurter Nationalversammlung die Grundrechte. Zum ersten Mal erlangten damit Menschen- und Bürgerrechte Gesetzescharakter in Deutschland.
    "Zu Frankfurt an dem Main –
    Die Fürsten bleiben Fürsten,
    Die Mohren bleiben Mohren,
    Trotz aller Professoren …
    Im Parla – Parla – Parlament;
    Das Reden nimmt kein End'"

    Reimte der radikale Dichter Georg Herwegh im Pariser Exil und kritisierte damit die Lebensferne des sogenannten Professorenparlaments. Denn während die Abgeordneten in der Paulskirche theoretische Debatten führten, formierte sich der Widerstand der monarchisch-restaurativen Kräfte in den deutschen Einzelstaaten.
    Die Bemühungen waren praktisch gescheitert
    "Was hilft das Beschließen, wenn die materiellen Mittel, um im äußersten Fall dem Beschluss Nachdruck zu geben, fehlen." Stellte der Abgeordnete Gustav von Rümelin fest.
    So kam es denn auch. Im April 1849 schlug der von der Nationalversammlung zum "Kaiser der Deutschen" gewählte preußische König Friedrich Wilhelm IV. das ihm angetragene Amt aus. Die Bemühungen der Paulskirche um die Errichtung eines deutschen Nationalstaats und eine wegweisende Verfassung waren damit praktisch gescheitert. Größere Staaten wie Preußen, Österreich und Bayern lehnten das Gesetzeswerk ab, und nach der Wiederherstellung des Deutschen Bundes wurden die "sogenannten Grundrechte" im August 1851 aufgehoben. Aber die individuellen Schutz- und Freiheitsrechte der Paulskirche sollten später die Weimarer Verfassung und das Grundgesetz maßgeblich beeinflussen.