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Vor 175 Jahren
Als der Zucker würfelförmig wurde

Zuckerhüte waren hart wie Stein, und das Portionieren gefährlich. Mit einer speziellen Zange mussten die Zuckerstücke "geknippt" werden. Vor 175 Jahren kam es im Haus eines Zuckerfabrikanten im mährischen Datschitz zu einer bahnbrechenden Neuerung: dem Zucker in Würfelform.

Von Mathias Schulenburg | 23.01.2018
    Zucker in Würfelform liegt auf einem Tisch.
    Jacob Christoph Rad gelang 1843 die Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung von Zuckerwürfeln (dpa / Rolf Vennenbernd)
    "Was ist denn das für ein Gebräu?"
    "Wir haben schon ein bisschen angefangen. Feuerzangenbowle."
    "Ein Teufelszeug, kann ich Ihnen sagen. Geht scheußlich aufs Gemüt."
    "Na, bei mir nicht."
    "Und macht einen herrlichen Kater."
    "Geht Ihnen das auch so, Pfeiffer? Dass Sie manchmal noch von der Schule träumen?"
    Ein Höhepunkt des Zuckerhutwesens, der Film zu Hans Reimanns und Heinrich Spoerls Roman "Die Feuerzangenbowle" mit Heinz Rühmann, heute Kult an deutschen Universitäten.
    Der Zuckerhut in einer heutigen Feuerzangenbowle ist nur noch der Form nach ein klassischer Zuckerhut. Dieser kam aus technischen Gründen zu seiner Form: Aus Zuckerrohr oder Zuckerrübenschnitzeln gewonnener Saft wurde durch Sieden konzentriert und heiß in einen schultütenähnlichen Tiegel mit abgerundeter Spitze gegossen. Die hatte ein Loch, aus dem überschüssiger Sirup tropfte. Die schließlich im Tiegel erstarrte Masse aus kristallinem Zucker und Sirupresten konnte problemlos herausgestürzt werden, weil sie sich beim Abkühlen zusammengezogen hatte. Heutige Zuckerhüte entstehen aus angefeuchtetem, zusammengepressten Kristallzucker, der den Rum einer Feuerzangenbowle aufnehmen kann.
    "Und sie hat dann ihrem Mann nahegelegt, doch endlich mal was Vernünftiges zu erfinden"
    Der klassische Zuckerhut war hart wie Stein und musste mit einer speziellen Zange in Portionen zerlegt, "abgeknippt" werden. Das ging nicht immer glatt, was auch Frau Direktor Juliane Rad im August 1841 erfahren musste. Das Malheur der Juliane Rad hatte Folgen, sagt Karl Ludovici, bei einem Kölner Traditionsunternehmen in Sachen Zucker für "Anwendungstechnik und Produktmarketing" zuständig:

    "Der Frau Rad wird nachgesagt, dass sie eine misstrauische und geizige Person gewesen sein soll, die also den wertvollen, teuren Zucker im Haushalt unter ihrer Kontrolle hatte, den also nicht den Dienstboten überlassen hat und das 'Abknippen' der Zuckerstücke vom Zuckerhut höchstselbst übernommen hat. Das hat sie dann wohl auch eines Sonntags getan, anlässlich einer Kaffeegesellschaft, die eingeladen war im Hause Rad, und hat sich dabei unachtsamerweise in den Finger geschnitten, und das Blut tropfte auf den Zuckerhut. Jetzt geht die Sage, dass sie so geizig war, dass sie den Zucker dann nicht weggeschmissen hat, sondern irgendwie auch noch versucht hat, den befleckten Zucker zu servieren, also das Ganze muss eine einzige Katastrophe gewesen sein, man kann sich vorstellen, dass im Hause Rad anschließend Stimmung war, und sie hat dann ihrem Mann nahegelegt, doch endlich mal was Vernünftiges zu erfinden und den Zucker in eine Form zu überführen, dass man ihn problemlos und gefahrlos in den Kaffee tun kann."
    Das tat der Ehegatte, Jacob Christoph Rad auch brav. Als Direktor der Zuckerraffinerie im mährischen Datschitz, heute Tschechische Republik, gelang ihm die Entwicklung eines Verfahrens zur Herstellung von Zuckerwürfeln, für das am 23. Januar 1843 ein zunächst auf fünf Jahre befristetes Nutzungsrecht erteilt wurde.
    Kaffee wurde immer erfolgreicher, der Würfelzucker gleich mit
    Rad begann die Zuckerwürfelproduktion im großen Sti. Elf Frauen, zwölf Mädchen und zahlreiche Kinder erzeugten schließlich täglich zweihundert Zentner Würfelzucker, der auch in Böhmen, Budapest, Lemberg und Wien Gefallen fand. Hierfür wurde angefeuchteter Kristallzucker in eine metallene Form mit vielen Mulden gepresst, dann wurden die Stücke getrocknet. Später kamen radförmige Formen für einen kontinuierlichen Prozess zur Anwendung. Als sich Mitte der 1840er-Jahre die wirtschaftliche Lage des Datschitzer Unternehmens verschlechterte, zog Rad mit seiner Großfamilie nach Wien, wo er neue Arbeit fand. Zuckerwürfeln wird er oft begegnet sein, in Kaffeehäusern. Der Aufschwung des Kaffees hatte den Zuckerverbrauch kräftig befördert.

    "Diese ganze Erfindung des Würfels wäre ja nichts gewesen, wenn nicht der Kaffee in seiner Bedeutung in den nächsten Jahren bis heute durch die Decke gegangen wäre. Das heißt also, der Würfel, das Süßungsmittel für Heißgetränke, namentlich den Kaffee, war eben so erfolgreich, weil gleichzeitig auch die Umgebung dieser Erfindung sich entsprechend entwickelt hat."
    Rad wechselte in Wien als Sekretär zur Handelskammer und beschäftigte sich mit einer weiteren Erfindung, einem optischen Telegraphensystem, das aber keinen Erfolg hatte. Jacob Christoph Rad starb 1871 als Vater von 15 Kindern in Wien.