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Vor 175 Jahren geboren
Friedrich Nietzsche: Multitalent und Vordenker

Eigentlich sollte der Pastorensohn Friedrich Nietzsche Theologe werden. Doch er entschied sich für die Philologie. Ohne vorherige Habilitation berief ihn die Universität Basel zum Professor. Für ihn war das nicht genug. Mit philosophischen Werken begründete er seinen posthumen Ruhm.

Von Christoph Vormweg | 15.10.2019
    Friedrich Nietzsche auf der Repro eines undatierten Plakates.
    Als "das furchtbarste Dynamit, das es gibt", sah sich der Philosoph Friedrich Nietzsche (picture-alliance / Zentralbild )
    "Wie lasst Ihr Euch belügen! Ihr seid alles Sklaven." Sprengkraft besitzen Zitate von Friedrich Nietzsche bis heute.
    "Die christliche Moral hat die Menschen versklavt. Wir müssen da raus, indem wir den Übermenschen schaffen."
    Linke und Rechte haben Nietzsche verehrt, Diktatoren, Philosophen und Massenmörder. Er selbst über sich:
    "Ich bin das furchtbarste Dynamit, das es gibt."
    "Dieser Nietzsche als Supermarkt, bei dem man sich holen kann, was gerade passt, ist tatsächlich sehr beliebt, und das ist natürlich auch eine große Gefahr.", sagt Andreas Urs Sommer im Deutschlandfunk Kultur. Er ist Leiter der Forschungsstelle "Nietzsche-Kommentar" an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.
    "Wenn man sich wissenschaftlich mit Nietzsche beschäftigt, muss man immer versuchen, die Gesamtheit in den Blick zu bekommen, so schwierig das ist, und so sehr auch dieser Versuch dann leicht zwischen den Fingern zerrinnt."
    Friedrich Nietzsche der Vieldeutige, der Widersprüchliche. Worin liegt die Faszinationskraft seiner Texte? Darin, dass er kein systematischer Denker ist, dass seine Texte immer mehr in Aphorismen zerfasern?
    "Der Verführungscharakter dieser sprachlichen Experimente ist groß. Man hat häufig sich dann beholfen mit Ausdrücken wie Nietzsche der Dichterphilosoph, um dieses literarische Moment einzufangen. Es ist ganz klar ein Versuch bei Nietzsche, die Denkweisen durch Schreibweisenvielfalt zu erweitern."
    Berufung als Professor mit 24 Jahren
    Friedrich Nietzsche, geboren am 15. Oktober 1844 in der sächsischen Provinz, soll - wie sein Vater - evangelischer Pastor werden. Doch er schwenkt auf Philologie um. Die Universität Basel heuert das 24-jährige Multitalent - ohne vorherige Habilitation - als Professor an. Zu dieser Zeit findet Nietzsche nach dem pessimistischen Philosophen Arthur Schopenhauer seinen zweiten Hausgott, den Komponisten Richard Wagner. Spekulation wird ihm wichtiger als exakte Wissenschaft. Doch er leidet:
    "Ich fühle mich unter der Masse meiner geehrtesten Kollegen so recht fremd und gleichgültig, dass ich bereits mit Wollust Einladungen zurückweise", schreibt er an einen Freund.
    "Darin stimmen wir also wieder einmal überein: Wir können die Einsamkeit vertragen, ja wir lieben sie." Die Liebe fürs Leben findet Nietzsche nicht. Zudem verschlimmern sich nach dem Bruch mit Wagner seine Migräneanfälle und Magenbeschwerden. Die Selbstfindung beginnt. Der Text "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn" demonstriert seine Radikalisierung.
    "Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind."
    Auflagen von gerade mal 100 Expemplaren
    "In der Tat ist es vor allen Dingen das intellektuelle Irritationspotential, das in der Philosophie wirkmächtig geworden ist. Ich sehe aber eben die Fruchtbarkeit für die Philosophie nach Nietzsche in diesem ständigen Hinterfragen. Das ist übrigens ein Wort, das Nietzsche geprägt hat, das Hinterfragen scheint mir ganz charakteristisch zu sein für diesen Gestus des Philosophierens."
    Sein Amt als Professor kann Friedrich Nietzsche schon mit Mitte dreißig nicht mehr ausüben. Als Sprach-, Moral- und Ideologie-Kritiker schlägt er immer schärfere Töne an. Nietzsche stellt alles in Frage, gerade den Glauben an Gott. In seiner Autobiographie "Ecce homo" schreibt er:
    "Gott ist [...] eine Undelicatesse gegen uns Denker –, im Grunde sogar bloß ein faustgrobes Verbot an uns: ihr sollt nicht denken!"
    Doch lesen will Friedrich Nietzsche kaum jemand, auch nicht die späten, oft rätselhaften Werke wie "Also sprach Zarathustra" oder "Der Anti-Christ". Manche Auflagen beschränken sich auf 100 Exemplare. Philosophieprofessor Andreas Urs Sommer:
    "Genau zu dem Zeitpunkt, wo Nietzsche in dieser geistigen Umnachtung versinkt, ist öffentliche Aufmerksamkeit plötzlich da, die sich sehr schnell steigert."