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Vor 20 Jahren auf den Philippinen
Regierung und muslimische Rebellen schließen einen Friedensvertrag

Gut 80 Prozent der über 100 Millionen Einwohner der Philippinen sind Katholiken. Doch im Süden des Inselstaates, auf der Insel Mindanao, waren die Muslime lange Zeit die Mehrheit. Sie kämpfen bis heute darum, als Ureinwohner des Landes anerkannt zu werden. Heute vor 20 Jahren wurde ein Friedensvertrag unterzeichnet.

Von Matthias Bertsch | 02.09.2016
    Der philippinische Präsident Fidel Ramos (M) applaudiert, als der Chefunterhändler der Regierung, Manuel Yan (l), und der Vorsitzende der Nationalen Moro-Befreiungsfront (MNLF), Nur Misuari (r), am 2.9.1996 im Malacanang-Palast in Manila nach Unterzeichnung des Friedensvertrages die Urkunden austauschen.
    Die philippinische Regieruiing und die MNLF haben den Friedensvertrag unterzeichnet. (Gacad)
    "Ich habe verstanden, dass die tiefe Verbitterung der Bangsamoro zum Großteil das Ergebnis eines Landraubs ist – und des Opportunismus einiger gewissenloser Landsleute von uns. Diese gebildeten Christen haben sich Land angeeignet, das für die Moro ihre Heimat war. Das hat dazu geführt, dass unsere Moro-Brüder einen Kampf begonnen haben, in dem sie das zurückfordern, was rechtmäßig ihnen gehörte."
    Die Worte des damaligen philippinischen Präsidenten Benigno Aquino III. – vorgetragen im Juni 2014 auf einer internationalen Friedenskonferenz in Hiroshima – zielten ins Herz des Konfliktes um die südphilippinische Insel Mindanao. Die dort lebenden Muslime bezeichnen sich selbst und ihre Region als Bangsamoro, "als Nation der Moros". Der Islam war auf den Philippinen bereits weit verbreitet, als im 16. Jahrhundert die spanischen Kolonisatoren kamen, um das Land in Besitz zu nehmen und die Menschen zum Christentum zu bekehren. Daran änderte sich wenig, als die USA 350 Jahre später Spanien als Kolonialmacht ablösten, so der Südostasienexperte der Berliner Humboldt-Universität, Vincent Houben.
    "Es ist eigentlich ein Kolonisierungsprozess, der sich räumlich immer weiter Richtung Süden ausgebreitet hat, und da kann man durchaus Kontinuitäten wahrnehmen zwischen den Spaniern und den Amerikanern. Es war bei den Spaniern teilweise religiös begründet, bei den Amerikanern eher wirtschaftlich und machtpolitisch, und aus dieser Gemengelage ist ein sehr komplizierter Konflikt entstanden."
    Kämpfe flammen wieder auf
    Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Unabhängigkeit der Philippinen verschärfte sich der Konflikt, als die Regierung in großer Zahl christliche Siedler aus dem Norden auf Mindanao ansiedelte - oft auf Land, das den Moro gehört. Es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und 1971 zur Gründung der MNLF, der Moro National Liberation Front, die für einen muslimischen Staat auf Mindanao kämpfte. Die Regierung antwortete mit Gewalt, und als klar wurde, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist, auch mit Verhandlungen. 1976 gab es ein erstes Abkommen, doch erst 20 Jahre später, am 2. September 1996, wurde in Manila der Friedensvertrag zwischen der philippinischen Regierung und der MNLF unter ihrem Anführer Nur Misuari unterzeichnet. Die Moro sollten eine begrenzte Autonomie erhalten und dafür ihre Waffen abgeben.
    "Die ehemaligen MNLF-Kämpfer sollten separate Einheiten in der philippinischen Armee haben und erst dann ganz eingebunden werden, wenn sich Vertrauen gebildet hat. Aber das ist nie passiert."
    Trotz Friedensvertrag flammten die Kämpfe immer wieder auf, so die Anthropologin Rosa Castillo, die seit Langem zum Konflikt auf Mindanao forscht. Hauptgegner der Regierung war nun nicht mehr die MNLF, sondern die MILF, die Moro Islamic Liberation Front unter Salamat Hashim.
    Neuer Anlauf unter Duterte
    "Die MNLF unter Nur Misuari war stark von der linken Ideologie der 60er-Jahre beeinflusst. Sie war vor allem eine ethno-nationalistische Bewegung, Misuari zum Beispiel wollte eine säkulare Regierung. Im Dezember 1977 hat sich Salamat Hashim, der Teil der MNLF-Spitze war, deswegen von Misuari abgewandt und gesagt, dass die MNLF zu maoistisch und marxistisch sei und die muslimische Art des Lebens vernachlässigen würde."
    Vor zwei Jahren – und nach weit über 100.000 Toten - schien endlich eine Lösung des Konfliktes in Sicht. Nach Gesprächen mit der MILF legte die Regierung das "Bangsamoro Basic Law" vor: Das Gesetz sah eine autonome Region Bangsamoro vor, um die Identität der muslimischen Ureinwohner zu bewahren. Doch nach einem blutigen Zusammenstoß zwischen Spezialkräften der Armee und Kämpfern der MILF wurde es auf Eis gelegt. Erst jetzt ist wieder Bewegung in den Konflikt gekommen - unter dem neuen philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte. Dieser macht vor allem durch seine gnadenlose Anti-Drogen-Politik Schlagzeilen: Allein in den ersten zwei Monaten seiner Amtszeit wurden rund 2.000 mutmaßliche Dealer und Drogenabhängige getötet. Zugleich kennt er Mindanao, weil er selbst von dort stammt und muslimische Angehörige hat. Um den Konflikt zu lösen, hat sich Duterte mit Vertretern von MNLF und MILF getroffen. Im Rahmen einer Föderalisierung der Philippinen sollen die Bangsamoro endlich das erhalten, was die Mehrheit der Muslime seit Langem fordert: zwar keinen eigenen Staat, aber eine weitreichende Form der Selbstbestimmung - und damit eine Anerkennung des Unrechts, das ihnen angetan wurde.