Leyendecker: Guten Morgen.
Müller: Herr Leyendecker, sind Sie damals dem Stern zunächst einmal auf den Leim gegangen?
Leyendecker: Ich war Leser und damals beim Spiegel, da waren hervorragende Historiker, die waren von Anfang an skeptisch, die fanden das auch sehr trivial und schlicht und meinten, sie hätten es sich gerne mal angesehen um festzustellen, ob es denn richtig sein kann oder nicht. Es waren da Zusammenhänge, von denen sie meinten, das kann so gar nicht gewesen sein. Von daher gab es beim Spiegel so eine Grundskepsis.
Müller: Gab es damals ein anderes Thema in diesen Tagen?
Leyendecker: Nein, das war das große Thema. Es war ja das Jahr, wo Helmut Kohl gewählt worden war, wo man ein paar andere Geschichten hatte, aber es war so riesig und die Vorstellung, dass man nun Zeitgeschichte umschreiben muss, das war ja das große Wort, die geheimsten Dokumente seien aufgetaucht und die Geschichte des Dritten Reiches muss umgeschrieben werden, das posaunte der Stern ja raus. Das war eine Megaereignis damals.
Müller: Wie groß war denn diese Fehlerquelle beziehungsweise das Informationsmanagement beim Stern?
Leyendecker: Das Problem lag eigentlich darin, dass sie die falschen Leute genommen haben, dass sie nicht die richtigen Historiker genommen haben, um das zu überprüfen. Sie haben einen englischen Historiker genommen, dem jegliche Spezialkenntnisse in dem Bereich fehlten. Das heißt, sie hatten ihre eigene Geschichte, ihre eigene Lüge glauben wollen und darin liegt das Verhängnis. Bei so einer Geschichte hätte man eine vernünftige Dokumentation, wie es der New Yorker oder auch der Spiegel hat, nehmen müssen, die hätte sich hingesetzt, Experten dazugeholt und das noch mal Stück für Stück überprüft. Das war ja auch keine Geschichte, die kaputtgehen konnte auf die Weise, dass ein anderer sie hat. Man hatte Zeit, man musste das überprüfen, wenn man so einen ungeheuerlichen Vorgang hat und dass man das nicht machte zeigt natürlich, dass man eine gewisse Gier hatte, mit einer Sensation rauszukommen und damit der Größte und Beste zu sein.
Müller: Inwieweit, Hans Leyendecker, war denn dieser Skandal ein effektiver Warnschuss für den effektiven Journalismus in der Zukunft?
Leyendecker: Für den Stern war es sicherlich ein GAU, Herr Osterkorn hat das ja auch gesagt. Für den Stern ging es von da an nur noch bergab und für die anderen war es ein bisschen aus der Vorstellung, der Stern hat da fast zehn Millionen Mark dafür bezahlt und das können andere Blätter nicht machen. Ich glaube nicht, dass wir entsetzlich viel aus dieser Geschichte gelernt haben. Es hat sich ja sehr vieles auf eine andere, kleine Weise wiederholt. Wenn ich nur an Sebnitz denke, das war die Geschichte des kleinen Joseph, der im Schwimmbad angeblich wie eine Katze ertränkt wurde, 50 Neonazis hätten ihn umgebracht, 200 Leute hätte zugesehen, das stand nicht nur in der Bildzeitung, sondern auch in seriösen Blättern wie meiner Zeitung. Ich glaube, dass wir aus vielen Dingen so nicht lernen. Wir haben eine Vorstellung davon, dass da etwas passiert ist und lassen uns dann doch wieder in die nächste Geschichte treiben.
Müller: Lernt man nicht daraus, weil man Geld verdienen muss?
Leyendecker: Der Pressemarkt hat sich sehr verändert seit dieser Tagebuchgeschichte. Früher war es so, dass es ein paar Blätter gab, die exklusive Meldungen haben wollten, heute haben sie ein Rattenrennen. Sie haben ganz viele Sender und Zeitungen, die sich bemühen in irgendwas vorne zu sein. Und weil dies nun so ist, dass man eine Nachrichtenagentur absetzen möchte von der eigenen Geschichte, haben sie immer wieder Fehlerquellen, die enorm sind und es wird auch zu wenig geprüft, man hält nicht inne, hat auch nicht die Zeit, innezuhalten, sondern sehr oft die Vorstellung, das muss jetzt raus und ob ich das jetzt noch mal geprüft habe oder nicht, es wird schon richtig sein so. Und da stellen sich auch, natürlich auf eine andere Weise als bei den Tagebüchern, oft katastrophale Fehler raus.
Müller: Vermeintlich exklusive Informationen, Herr Leyendecker, werden immer noch hoch bezahlt. Muss das sein?
Leyendecker: Ich glaube nicht, dass es richtig ist, was Sie sagen, dass exklusive Informationen hochbezahlt werden, dass der Scheckbuchjournalismus blüht. Das ist nicht unser Problem, das haben ohnehin ein paar Blätter machen können, da gehörten Stern und Spiegel wie einige andere auch dazu. Das Dilemma ist ein anderes, dass sich viele Menschen um irgendeinen Kleinstoff balgen und um den besonders wichtig zu machen, irgendeine angebliche Exklusivität raushauen, die es nie gegeben hat. Das ist mehr das Dilemma und unter anderem auch, dass wir Listen darüber führen, welche Zeitung, welcher Sender mit angeblichen Exklusivnachrichten vorneliegt, ohne dass diese überprüft werden, ob sie exklusiv, falsch oder richtig waren. Das ist das Dilemma unseres Journalismus in diesen Tagen.
Müller: War das auch beim Golfkrieg so?
Leyendecker: Ich fand, dass wir in Deutschland ganz gut berichtet haben. Ich war sehr erstaunt, was die amerikanischen Kollegen nicht nur FOX gemacht haben, sondern auch Teile von CNN und einige Blätter auch, von denen man es nicht erwartet hat. Ich glaube, wir sind ganz vernünftig rangegangen, haben immer gesagt: Man weiß es nicht und diese Nachrichten, die wir jetzt weitergeben, können wir nur weitergeben, weil wir dieses oder jenes erfahren haben, sie können richtig oder falsch sein. Viele Blätter haben sich anständig verhalten, andere haben ein ganz verrücktes Rennen gemacht. Wenn wir überlegen, was hat es an ABC-Waffen-Geschichten gegeben, wie groß ist die Bedrohung durch biologische Waffen Saddams, hat er zwei Atombomben oder drei? Das heißt, man hat sich von der Desinformation der Dienste reinlegen lassen und hat ein Bild gemalt, ein Horrorgemälde. Das Regime von Saddam Hussein war ein verbrecherisches System, es hat Menschen unterdrückt und gefoltert, aber dieses System einer militärischen Allmacht, die über alle Massenvernichtungswaffen verfügt und sie einsetzen kann, die mit El Kaida zusammenarbeitet, das war von der ersten Stunde an nicht richtig und es haben doch einige Blätter mitgemacht. Die müssen sich jetzt vorhalten lassen, dass sie sich da auch an einer Desinformation beteiligt haben.
Müller: Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung war das. Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Müller: Herr Leyendecker, sind Sie damals dem Stern zunächst einmal auf den Leim gegangen?
Leyendecker: Ich war Leser und damals beim Spiegel, da waren hervorragende Historiker, die waren von Anfang an skeptisch, die fanden das auch sehr trivial und schlicht und meinten, sie hätten es sich gerne mal angesehen um festzustellen, ob es denn richtig sein kann oder nicht. Es waren da Zusammenhänge, von denen sie meinten, das kann so gar nicht gewesen sein. Von daher gab es beim Spiegel so eine Grundskepsis.
Müller: Gab es damals ein anderes Thema in diesen Tagen?
Leyendecker: Nein, das war das große Thema. Es war ja das Jahr, wo Helmut Kohl gewählt worden war, wo man ein paar andere Geschichten hatte, aber es war so riesig und die Vorstellung, dass man nun Zeitgeschichte umschreiben muss, das war ja das große Wort, die geheimsten Dokumente seien aufgetaucht und die Geschichte des Dritten Reiches muss umgeschrieben werden, das posaunte der Stern ja raus. Das war eine Megaereignis damals.
Müller: Wie groß war denn diese Fehlerquelle beziehungsweise das Informationsmanagement beim Stern?
Leyendecker: Das Problem lag eigentlich darin, dass sie die falschen Leute genommen haben, dass sie nicht die richtigen Historiker genommen haben, um das zu überprüfen. Sie haben einen englischen Historiker genommen, dem jegliche Spezialkenntnisse in dem Bereich fehlten. Das heißt, sie hatten ihre eigene Geschichte, ihre eigene Lüge glauben wollen und darin liegt das Verhängnis. Bei so einer Geschichte hätte man eine vernünftige Dokumentation, wie es der New Yorker oder auch der Spiegel hat, nehmen müssen, die hätte sich hingesetzt, Experten dazugeholt und das noch mal Stück für Stück überprüft. Das war ja auch keine Geschichte, die kaputtgehen konnte auf die Weise, dass ein anderer sie hat. Man hatte Zeit, man musste das überprüfen, wenn man so einen ungeheuerlichen Vorgang hat und dass man das nicht machte zeigt natürlich, dass man eine gewisse Gier hatte, mit einer Sensation rauszukommen und damit der Größte und Beste zu sein.
Müller: Inwieweit, Hans Leyendecker, war denn dieser Skandal ein effektiver Warnschuss für den effektiven Journalismus in der Zukunft?
Leyendecker: Für den Stern war es sicherlich ein GAU, Herr Osterkorn hat das ja auch gesagt. Für den Stern ging es von da an nur noch bergab und für die anderen war es ein bisschen aus der Vorstellung, der Stern hat da fast zehn Millionen Mark dafür bezahlt und das können andere Blätter nicht machen. Ich glaube nicht, dass wir entsetzlich viel aus dieser Geschichte gelernt haben. Es hat sich ja sehr vieles auf eine andere, kleine Weise wiederholt. Wenn ich nur an Sebnitz denke, das war die Geschichte des kleinen Joseph, der im Schwimmbad angeblich wie eine Katze ertränkt wurde, 50 Neonazis hätten ihn umgebracht, 200 Leute hätte zugesehen, das stand nicht nur in der Bildzeitung, sondern auch in seriösen Blättern wie meiner Zeitung. Ich glaube, dass wir aus vielen Dingen so nicht lernen. Wir haben eine Vorstellung davon, dass da etwas passiert ist und lassen uns dann doch wieder in die nächste Geschichte treiben.
Müller: Lernt man nicht daraus, weil man Geld verdienen muss?
Leyendecker: Der Pressemarkt hat sich sehr verändert seit dieser Tagebuchgeschichte. Früher war es so, dass es ein paar Blätter gab, die exklusive Meldungen haben wollten, heute haben sie ein Rattenrennen. Sie haben ganz viele Sender und Zeitungen, die sich bemühen in irgendwas vorne zu sein. Und weil dies nun so ist, dass man eine Nachrichtenagentur absetzen möchte von der eigenen Geschichte, haben sie immer wieder Fehlerquellen, die enorm sind und es wird auch zu wenig geprüft, man hält nicht inne, hat auch nicht die Zeit, innezuhalten, sondern sehr oft die Vorstellung, das muss jetzt raus und ob ich das jetzt noch mal geprüft habe oder nicht, es wird schon richtig sein so. Und da stellen sich auch, natürlich auf eine andere Weise als bei den Tagebüchern, oft katastrophale Fehler raus.
Müller: Vermeintlich exklusive Informationen, Herr Leyendecker, werden immer noch hoch bezahlt. Muss das sein?
Leyendecker: Ich glaube nicht, dass es richtig ist, was Sie sagen, dass exklusive Informationen hochbezahlt werden, dass der Scheckbuchjournalismus blüht. Das ist nicht unser Problem, das haben ohnehin ein paar Blätter machen können, da gehörten Stern und Spiegel wie einige andere auch dazu. Das Dilemma ist ein anderes, dass sich viele Menschen um irgendeinen Kleinstoff balgen und um den besonders wichtig zu machen, irgendeine angebliche Exklusivität raushauen, die es nie gegeben hat. Das ist mehr das Dilemma und unter anderem auch, dass wir Listen darüber führen, welche Zeitung, welcher Sender mit angeblichen Exklusivnachrichten vorneliegt, ohne dass diese überprüft werden, ob sie exklusiv, falsch oder richtig waren. Das ist das Dilemma unseres Journalismus in diesen Tagen.
Müller: War das auch beim Golfkrieg so?
Leyendecker: Ich fand, dass wir in Deutschland ganz gut berichtet haben. Ich war sehr erstaunt, was die amerikanischen Kollegen nicht nur FOX gemacht haben, sondern auch Teile von CNN und einige Blätter auch, von denen man es nicht erwartet hat. Ich glaube, wir sind ganz vernünftig rangegangen, haben immer gesagt: Man weiß es nicht und diese Nachrichten, die wir jetzt weitergeben, können wir nur weitergeben, weil wir dieses oder jenes erfahren haben, sie können richtig oder falsch sein. Viele Blätter haben sich anständig verhalten, andere haben ein ganz verrücktes Rennen gemacht. Wenn wir überlegen, was hat es an ABC-Waffen-Geschichten gegeben, wie groß ist die Bedrohung durch biologische Waffen Saddams, hat er zwei Atombomben oder drei? Das heißt, man hat sich von der Desinformation der Dienste reinlegen lassen und hat ein Bild gemalt, ein Horrorgemälde. Das Regime von Saddam Hussein war ein verbrecherisches System, es hat Menschen unterdrückt und gefoltert, aber dieses System einer militärischen Allmacht, die über alle Massenvernichtungswaffen verfügt und sie einsetzen kann, die mit El Kaida zusammenarbeitet, das war von der ersten Stunde an nicht richtig und es haben doch einige Blätter mitgemacht. Die müssen sich jetzt vorhalten lassen, dass sie sich da auch an einer Desinformation beteiligt haben.
Müller: Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung war das. Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio