Archiv

Vor 200 Jahren geboren
Gustave Courbet - Realist und Rebell

Der Maler Gustave Courbet gehörte zu den bekanntesten und einflussreichsten französischen Malern des 19. Jahrhunderts. Seine ungeschminkte Darstellung der bäuerlichen Bevölkerung stieß in der Kunstszene auf Unverständnis - doch Courbet ließ sich davon nicht abschrecken.

Von Björn Stüben | 10.06.2019
    AUsschnitt eines Selbstporträts Gustave Courbets mit dem Titel "Le Fou de peur"
    Ein Selbstporträt Gustave Courbets mit dem Titel "Le Fou de peur". (Nasjonalmuseet for kunst, arkitektur og design, Oslo)
    Die tiefe Grube, in die der Sarg hinabgelassen werden soll, ist bereits ausgehoben. Die Totengräber, der Pfarrer, die Dorfvorsteher und die bäuerliche Trauergemeinde strömen auf den Friedhof. Am schmalen Horizontstreifen, der die in düsteren Farben gemalte Menschenmenge überfängt, bäumen sich bedrohliche Regenwolken auf.
    Diese Szene spielt sich auf dem 1850 entstandenen und heute im Pariser Musée d’Orsay ausgestellten Monumentalgemälde "Ein Begräbnis in Ornans" ab. Dem Maler Gustave Courbet war das Thema vertraut, zeigte es doch die Bewohner seines Heimatdorfes Ornans im Osten Frankreichs, in dem er am 10. Juni 1819 geboren wurde. Der offizielle Pariser Kunstbetrieb zeigte sich schockiert vom ungeschminkten Realismus der Darstellung und der "Banalität" des bäuerlichen Themas. Lediglich der Kunstkritiker Jules Champfleury verteidigte das Werk seines Freundes Courbet:
    "Was die angebliche Hässlichkeit der Bürger von Ornans betrifft, so ist sie in keiner Weise übertrieben, es ist die Hässlichkeit der Provinz, die es von der Pariser Hässlichkeit zu unterscheiden gilt. Ist es die Schuld des Malers, wenn die materiellen Interessen, das Kleinstadtleben, schäbige Selbstsucht und provinzielle Engherzigkeit dem Gesicht ihren Stempel aufdrücken, den Augen ihren Glanz nehmen, der Stirn Falten eingraben, dem Mund harte Züge geben? So sehen viele Bürger aus, Courbet hat Bürger gemalt."
    Kunst für alle Menschen
    Vom offiziellen Pariser Salon 1850 ausgeschlossen, errichtete sich Courbet mit finanzieller Unterstützung wohlgesonnener Mäzene kurzerhand einen eigenen Pavillon. "Realismus" stand provokativ über dessen Eingang geschrieben. Hierin befand sich ein weiteres großformatiges Gemälde, das sein eigenes Atelier und im Zentrum ihn selbst beim Malen zeigte.
    Für den Courbet-Spezialisten Thomas Schlesser stellt das heute ebenfalls im Musée d’Orsay aufbewahrte Bild ein Schlüsselwerk in Courbets Œuvre dar:
    "Gustave Courbet wollte immer wissen, was das Publikum über ihn und seine Werke dachte. Er wollte nicht nur das gebildete Bürgertum, sondern alle Menschen mit seiner Kunst erreichen. Auf seinem Atelierbild stellt er einen kleinen Straßenjungen dar, der interessiert das Gemälde betrachtet, das der Maler, also Courbet selbst, gerade anfertigt. Das lässt sich eigentlich nur als Allegorie verstehen. Der unbedarfte Junge steht für den frischen und unschuldigen Blick des Betrachters, der für Courbet eine zentrale Rolle spielte."
    Von den Eltern finanzierter Bohémien
    Der aus einer vermögenden Grundbesitzerfamilie des Jura stammende Courbet fand über Besançon, wo er seinen ersten Zeichenunterricht nahm, den Weg nach Paris. Hier widmete er sich ganz der Malerei, allerdings ohne je die Kunstakademie besucht zu haben. Die alten Meister im Louvre waren seine Vorbilder. Er führte in Paris ein von seinen Eltern finanziertes Leben als Bohémien. Einige wenige Sammler und befreundete Literaten wie Charles Baudelaire schätzten und förderten seine Malerei, in der Themen seiner Heimat mit Bauern-, Landschafts- und Jagdszenen auftauchten. Die offizielle Historienmalerei, wie sie die Pariser Kunstakademie propagierte, lehnte Courbet als unzeitgemäß ab:
    "Keine Epoche kann anders als von ihren eigenen Künstlern dargestellt werden, das heißt von den Künstlern, die in ihr gelebt haben. Ich halte die Künstler eines bestimmten Jahrhunderts für völlig außerstande, die Dinge eines vergangenen Jahrhunderts zu schildern, mit anderen Worten, die Vergangenheit zu malen. In diesem Sinne lehne ich die auf Vergangenheit gerichtete Historienmalerei ab. Die Historienmalerei ist ihrem Wesen nach zeitgenössisch."
    Lossagen vom Idealismus
    Was er hierunter verstand, hatte er mit seinem im Monumentalformat eines Historienbildes auf eine 3x6 Meter große Leinwand gemalten Skandalbild "Begräbnis in Ornans" deutlich gemacht. Von der Kunstkritik ausschließlich als Realist betitelt zu werden, gefiel ihm jedoch weniger.
    "Die Bezeichnung Realist ist mir aufgedrängt worden, so wie den Männern von 1830 die Bezeichnung Romantiker aufgedrängt wurde. Ich wollte ganz einfach aus der umfassenden Kenntnis der Tradition das begründete Gefühl der Unabhängigkeit meiner eigenen Individualität schöpfen - mit einem Wort, lebendige Kunst zu machen, das ist mein Ziel."
    Als erster Realist unter den Malern ebnete Courbet den Weg für die kommende Generation der Impressionisten und für ein Kunstverständnis, das sich endgültig vom Idealismus lossagen sollte.