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"Vor 2014, 2015 wird der erste Netzausbau nicht anfangen"

Der Bundesbedarfsplan sehe 2800 Kilometer an neuen Stromtrassen vor, sagt Jochen Homann. Wenn möglich würden sie entlang von Eisenbahnstrecken, Autobahnen oder vorhandenen Leitungen gebaut. Der Plan ziele auf das Jahr 2022. Auf dem Weg dorthin könne sich aber "Anpassungsbedarf" ergeben, so der Präsident der Bundesnetzagentur.

Jochen Homann im Gespräch mit Friedbert Meurer | 27.12.2012
    Friedbert Meurer: Deutschland setzt auf erneuerbare Energien. Wind, Wasserkraft und Sonnenenergie sollen den Atomstrom ab dem Jahr 2022 ablösen. Den Kritikern zum Beispiel aus der Industrie geht das alles zu schnell. Es wird teurer, gerade auch die Verbraucher, also wir, müssen wohl tiefer in die Tasche greifen, und teilweise wird auch Strom importiert werden müssen, zum Beispiel aus Frankreich mit seinen Atommeilern. Und um den Strom, der aus den Windanlagen der Nord- und Ostsee gewonnen wird, nach Süden zu transportieren, müssen neue Leitungen gebaut werden, Hoch- und Höchstspannungsleitungen, und dagegen rührt sich vielerorts der Protest. Jochen Homann ist Präsident der Bundesnetzagentur. Guten Morgen, Herr Homann!

    Jochen Homann: Einen schönen guten Morgen!

    Meurer: Zum Jahresende hin, Herr Homann, haben Sie ja neue Stromleitungen genehmigt, knapp 3000 Kilometer etwa. Sind das alles komplett neue Trassen, die angelegt werden müssen?

    Homann: Ja, genehmigt sind sie ja noch nicht, sondern es gibt bisher nur einen Entwurf für einen Bundesbedarfsplan und in der Tat, darin enthalten sind 2800 Kilometer an neuen Stromtrassen und etwa 2900 Kilometer, wo in vorhandenen Trassen die Leitungen optimiert oder verstärkt werden.

    Meurer: Die letzten Atommeiler in Deutschland sollen im Jahr 2022 abgeschaltet werden. Ist das auch Ihr Zieldatum, bis 2022 sollen die Anlagen, die Leitungen stehen?

    Homann: In jedem Fall werden die Kernkraftwerke bis 2022 abgeschaltet. Der Netzentwicklungsplan jetzt zielt auch auf das Jahr 2022, aber er wird jährlich erneuert und sozusagen um ein Jahr nach hinten dann verlängert.

    Meurer: Das klingt fast so, als würden Sie damit rechnen, dass Sie bis 2022 oder man bis 2022 nicht fertig wird mit den Stromleitungen?

    Homann: Nein, man muss ja sehen, dass die Energiewende auf das Jahr 2050 zielt und dass natürlich auf dem Weg dort hin sich immer wieder Anpassungsbedarf ergibt, und deswegen ist das sinnvoll, dass man auch die Netzentwicklung dann Jahr für Jahr sich genau anschaut und gegebenenfalls adjustiert.

    Meurer: Wann rechnen Sie damit, dass die ersten Leitungen gebaut werden'?

    Homann: Ja, als nächster Schritt ist erst mal das Parlament dran, um das Gesetz zu beschließen, dann werden die Netzbetreiber entsprechende Bauanträge stellen, dann beginnt das Raumordnungsverfahren, anschließend das Planfeststellungsverfahren – das heißt im Ergebnis, vor 2014, 2015 wird der erste Netzausbau nicht anfangen.

    Meurer: Gedacht ist ja daran, dass es sozusagen drei Nord-Süd-Autobahnen geben soll. Wie sehr haben Sie den Verlauf dieser Trassen da schon vorgegeben?

    Homann: Der Verlauf ist derzeit noch offen, sondern es sind festgelegt worden praktisch der Anfangspunkt, wo der Strom eingespeist wird, der Windstrom also im Norden, und wo er wieder ausgespeist wird, das ist typischerweise an den Orten, wo dann Kernkraftwerke abgeschaltet werden sollen. Aber der genaue Verlauf dazwischen, der wird sich erst in den weiteren Verfahrensschritten, Raumordnung und Planfeststellung dann ergeben.

    Meurer: Wer entscheidet das? Oder nach welchen Kriterien wird der Verlauf entschieden?

    Homann: Die Entscheidung wird von der Bundesnetzagentur letztlich getroffen, denn für solche Trassen, die Ländergrenzen überschreiten, hat die Politik beschlossen, dass die Bundesnetzagentur in Zukunft zuständig sein soll und nicht mehr die verschiedenen Länder, die sozusagen am Verlauf der Trasse liegen.

    Meurer: Das heißt, Sie können das entscheiden, und die Länder müssen dann zuschauen?

    Homann: Ja, wir werden die Verfahren durchführen, da sind natürlich die Länder ganz eng beteiligt und die Kommunen. Das wird ja alles nur so gehen können, wenn man wirklich im engen Schulterschluss das macht. Aber die Entscheidungs- oder die Planungs- oder Genehmigungsbefugnis liegt für diese Leitungen dann bei der Bundesnetzagentur.

    Meurer: Für die Energiewende sind fast alle, aber so richtig glücklich über eine neue Hochspannungsleitung ist kaum jemand. Mit wie viel Protest rechnen Sie?

    Homann: Ja, ich denke, dass wir erst mal einen sehr guten Schritt gemacht haben, dass wir jetzt schon sehr früh informiert haben über den Bedarf und über die Anfangs- und Endpunkte der Leitungen. Und natürlich wird es dann nachher vor Ort die Diskussionen geben. Ansatzweise haben wir das ja jetzt auch schon erlebt, aber wenn es konkret wird, wenn die Leitungen sozusagen irgendwo in der Nähe vorbei gehen, dann werden natürlich die Bürger auch noch einmal nachfragen, aber der Prozess ist jetzt erst mal, denke ich, ganz gut aufgesetzt.

    Meurer: Werden Sie versuchen, nun den Protest in Grenzen zu halten, zum Beispiel entlang von Autobahnen zu bauen?

    Homann: Ja, das ist ja sowieso auch gesetzlich vorgegeben mit dem sogenannten Bündelungsgebot. Das heißt, wo immer das geht, müssen wir entlang von Eisenbahnstrecken oder Autobahnen, Wasserwegen, was auch immer, oder an vorhandenen Trassen entlang bauen.

    Meurer: Warum geht das eigentlich nicht unterirdisch? Wäre das zu teuer?

    Homann: Ja, manches geht auch unterirdisch, nur auf der Höchstspannungsebene ist das halt schwierig, aber ich denke, bei den Hochspannungsgleichstromübertragungsleitungen, also die Autobahn sozusagen von Nord nach Süd, da werden wir auch Verkabelungsteile sehen.

    Meurer: In Prozent ausgedrückt: Wie viel Prozent der 2800 Kilometer werden unterirdisch verlegt?

    Homann: Das kann Ihnen heute keiner sagen, denn dazu muss es erst mal Anträge geben der Netzbetreiber.

    Meurer: Auch überhaupt keine Vorstellung? Zehn Prozent, ein Prozent, die Hälfte?

    Homann: Na, mehr als ein Prozent würde ich schon wagen, die Voraussage, aber weiter würde ich mich nicht festlegen wollen in dieser frühen Phase.

    Meurer: Gut. Klingt jetzt nicht so, als würde das der Standard werden, unterirdisch zu bauen. Wie viel kostet das alles? Der Bau von 2800 Kilometer neuer Hochspannungsnetze?

    Homann: Die Netzbetreiber, die ja ursprünglich einen größeren Netzausbau geplant haben, haben uns eine Zahl von 20 Milliarden über zehn Jahre genannt, 20 Milliarden Euro. Es werden weniger jetzt im Moment ja bestätigt an Leitungen, werden also da drunter bleiben. Ist aber auch nur eine Hausnummer, eine grobe Hausnummer, denn letztlich hängen die Kosten ja davon ab, wie die jeweilige Topografie ist, wo die Leitungen dann liegen, auch, welche Techniken verwendet werden.

    Meurer: Erfahrungsgemäß wird ja alles teurer bei solchen gigantischen Projekten. Muss man da hier in diesem Fall auch damit rechnen?

    Homann: Ja, deswegen sag ich ja, wenn Sie zum Beispiel alles erdverkabeln, wird es natürlich deutlich teurer, als wenn Sie Freileitungen bauen. Und so hängt es eben auch an der Technik und eben auch daran, wo die Leitungen genau verlaufen. Und deswegen kann Ihnen keiner eine genaue Zahl sagen, aber ein zweistelliger Milliardenbetrag wird es in jedem Fall werden.

    Meurer: Wenn es die Energiewende nicht gäbe, bräuchten wir dann diese 2800 Kilometer an neuen Leitungen?

    Homann: Das Leitungsnetz muss ja ständig erneuert und verstärkt werden, und die 2800 Kilometer neue Leitungen bräuchten wir dann wahrscheinlich nicht, denn die dienen ja im Wesentlichen dazu, den Windstrom von Nord nach Süd zu transportieren.

    Meurer: In den Bürgerinitiativen heißt es, bisher war es doch so, dass Strom beispielsweise in Süddeutschland produziert wurde in den Atommeilern, dann nach Norden geschickt wurde – warum kann man das jetzt nicht einfach umdrehen? Wieso müssen da so viele Kilometer neue Leitungen gebaut werden?

    Homann: Das ist ja nicht richtig, diese Darstellung, sondern der Strom, der im Süden produziert wurde in den Kernkraftwerken, der wurde ja auch im Süden gebraucht. Denn es sind ja im Süden und Südwesten die größten Industriezentren. Der musste also nicht nach Norden transportiert werden. Dies hat sich jetzt geändert. In Zukunft wird der Strom, Windstrom, überwiegend im Norden transportiert, und deswegen braucht man neue Leitungen, um die Zentren im Süden zu erreichen.

    Meurer: Anderes Argument: Warum muss es unbedingt Windstrom von der Nordsee sein? Der dann 800 Kilometer weit nach Süden transportiert wird.

    Homann: Es ist ja nicht nur Windstrom aus der Nordsee, sondern auch aus der Ostsee und auch Onshorewind. Der Wind weht halt im Norden häufiger und intensiver und stetiger als im Süden und deswegen ist dort die Ernte einfach, wenn Sie so wollen, die Stromernte größer.

    Meurer: Was sagen Sie zum Argument der Bürgerinitiativen, die sagen, lasst uns doch die Energieversorgung dezentraler gestalten. In Süddeutschland zum Beispiel mithilfe der Sonnenenergie?

    Homann: Ja, aber das trifft ja zu, dass die Energieversorgung dezentraler sein wird, als Sie das bisher kennen, aber sie wird nicht dezentral sein. Geht schlicht nicht, weil einfach große Mengen an Strom produziert werden müssen, und da ist nun einmal die Lage im Norden so, dass man dort eben große Mengen auch an Windstrom ernten kann.

    Meurer: Wir haben jetzt relativ viel über die Kosten geredet, Herr Homann, wir eines Tages mal die Situation kommen, die Leitungen sind gebaut und bezahlt, die Windanlagen sind gebaut und bezahlt, Energie wird dann billig werden?

    Homann: Billig nicht, aber ich glaube schon, dass dann auch die Kosten im Zaum oder auch gesenkt werden können, weil ja wir jetzt praktisch investieren in ein neues Energiesystem, und in Zukunft dann natürlich die Betriebskosten, die ja nicht anfallen bei Sonne und Wind, dann natürlich sehr viel niedriger sein werden als heute mit importierter Energie.

    Meurer: Um wie viel niedriger?

    Homann: Das hängt davon ab, wie sich der Preis, der Weltmarktpreis für Öl und Gas entwickelt, und das weiß natürlich auch keiner heute. Aber ich glaube schon, dass dies eine kluge Investition ist.

    Meurer: Jochen Homann, der Präsident der Bundesnetzagentur zur Energiewende und zu den geplanten Stromleitungen, die von Nord nach Süd in Deutschland gebaut werden sollen. Herr Homann, besten Dank und auf Wiederhören!

    Homann: Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.