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Vor 225 Jahren: der Sturm auf die Tuilerien
Blutiges Zwischenspiel der Revolution

Als die Bürger von Paris am 10. August 1792 das königliche Tuilerien-Schloss stürmen, um die Monarchie endgültig abzuschaffen, kommen Hunderte zu Tode. Es sollte nur das Vorspiel einer langen Gewaltspirale werden.

Von Jochen Stöckmann | 10.08.2017
    Parkanlage "Jardin des Tuileries " (dahinter der Louvre).
    Die Parkanlage "Jardin des Tuileries " (dahinter der Louvre). (picture alliance / Reinhard Kaufhold)
    Aufgebrachte Bürger marschieren am Morgen des 10. August 1792 durch Paris, Richtung Tuilerien. Dort residiert Ludwig XVI. – als König unter Hausarrest. Das Stadtschloss muss er sich seit 1789, seit dem Sturm auf die Bastille mit der Nationalversammlung teilen, und die kontrolliert ihn wie einen Staatsdiener der Republik. Doch radikalen Revolutionären geht das nicht weit genug, sie wollen den König samt Hofstaat endgültig vertreiben. Meist nur mit Piken bewaffnet, endet ihr erster Versuch im Gewehrfeuer der Schweizergarde. Zu Hunderten liegen die Toten übereinander.
    "So kriecht die schreckliche Pariser Kommune aus dem Ei"
    Die Revolutionshymne der "Carmagnole" mobilisiert erneut die Menge, richtet den Volkszorn gegen "Madame Veto", die "ganz Paris erwürgen" will. Gemeint ist Marie Antoinette, die Königin. Während Ludwig XVI. mit seinem Veto Reformansätze blockiert, möchte sie gleich die ganze Republik "erdrosseln" lassen von österreichischen Truppen, die sich an Frankreichs Grenzen sammeln. Das wollen Anwälte und Handwerker, Ladenbesitzer, Marktfrauen und Arbeiter verhindern. Sie haben in den 48 Pariser Sektionen Revolutionskomitees gebildet und sich zusammengeschlossen zur "Pariser Kommune". Diese neue, revolutionäre Stadtregierung hat die Alarmglocken läuten lassen – ihrem Aufruf zum Marsch auf die Tuilerien sind Zehntausende gefolgt: "So kriecht die schreckliche Pariser Kommune aus dem Ei, und die Viper zischt schon, ehe sie noch ihr Nest verlassen. Vor dem scheußlichen Tier weichen die weisen Staatsmänner zurück und machen bis zum letzten Augenblick Anstrengungen, um die Schlange am Beißen zu hindern."
    Heimtückische Mordlust dichtet der Historiker Hippolyte Taine den Parisern an, die zu den Tuilerien marschieren. Tatsächlich aber bleiben die Kolonnen friedlich – bis dann aus dem Schloss heraus geschossen wird. Der deutsche Journalist Georg Kerner berichtet: "Die Menge von Chevaliers und Hof-Canaille, die in die Tuilerien kam, um vermutlich von den Fenstern aus zu schießen, hatte ebenfalls viel zum unglücklichen Ausgang dieses Tages beigetragen."
    Abgeordnete der Nationalversammlung, die nebenan tagt, drängen den König, das Feuer einstellen zu lassen. Da stürmt schon die zweite Welle heran. Wütend und aggressiv, weil nach dem blutigen Gemetzel auch der letzte friedliebende Bürger sich aufgestachelt fühlt durch die immer noch frischen Erinnerungen an die ersten Tage der Revolution, an das Jahr 1789.
    Fatale Logik des Schreckens
    "Da ist als erstes die Gewalt des Staates, der Monarchie. Etwa die Attacke von Lambesc in den Tuilerien. Die Revolution ist ein Kampf, in dem Gewalt eine Konstante ist." So der Historiker Michel Vovelle. Er deutet auf einen damals weit verbreiteten Kupferstich: Der Prinz von Lambesc, wie er 1789 hoch zu Ross einen Greis mit blankem Säbel niederhaut und über Frauen und Kinder hinwegreitet – ebenfalls in den Tuilerien. Am selben Ort müssen die Pariser nun erleben, dass der in seinen Machtbefugnissen eingeschränkte Monarch immer noch mit brutaler Gewalt reagiert. Aber diesmal sind unter den Revolutionären viele, die den Spieß umkehren wollen, endgültig. So heißt es über die als "Amazone" gefeierte Théroigne de Méricourt, "eigenhändig hat sie fünf, sechs Schweizergarden umgebracht und deren Köpfe durch die Straßen tragen lassen. Das verbreitete jenen Schrecken, der den Erfolg der Aufständischen garantierte."
    Diese fatale Logik des Schreckens führt geradewegs zum Jakobiner-Regime der "terreur" mit Massenhinrichtungen unter der Guillotine. Bereits vor den Tuilerien, als die Gewaltspirale in Gang gesetzt wurde, hat es zwei - bis dreitausend Tote gegeben - und das war nur ein Vorspiel. Aber der Erfolg scheint den radikalen Politikern recht zu geben, vorerst: Noch am Abend wird der König entlassen, fortan regiert ein Exekutivrat die Republik. Und zum Justizminister steigt ein Volkstribun auf, der für den Sturm auf die Tuilerien getrommelt hat: Danton.
    Doch schon 1794 wird auch dieser prominente Politiker dem von ihm selbst entfesselten Gewaltregime zum Opfer fallen und durchs Fallbeil hingerichtet. Im Namen der Revolution.