Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv

Vor 25 Jahren
Der jiddische Schriftsteller Isaac B. Singer gestorben

Als Isaac Bashevis Singer 1978 die Nachricht erreichte, ihm sei der Nobelpreis für Literatur zugesprochen worden, glaubte er zunächst an einen schlechten Scherz. Für den Preis bedankte er sich in Stockholm in der Sprache seiner jiddischen Herkunft. Heute vor 25 Jahren starb Singer.

Von Christian Linder | 24.07.2016
    Der Vizevorsitzende der schwedischen Bank (Svenska Handelsbanken), Tore Browald (l), beobachtet den Literatur-Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer (r, "Mein Vater der Rabbi") beim Unterschreiben des Nobelpreis-Schecks am 11. Dezember 1978 in Stockholm.
    Literatur-Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer (r) beim Unterschreiben des Nobelpreis-Schecks am 11. Dezember 1978 in Stockholm. (A0001_UPI)
    Ein jiddisch schreibender Schriftsteller, der in Vorträgen und Diskussionen allerdings bereitwillig englisch sprach und amerikanischen Studenten folgenden Ratschlag gab:
    "Literatur kann jedoch nur aus einem Zuhause, aus einem Ursprung kommen. Sie sind verhaftet mit Ihrer Sprache und Ihrer Lebensweise. Stehen Sie dazu und bleiben Sie dabei!"
    Seinen Ursprung, die alte Welt des osteuropäischen Judentums, hat Isaac Bashevis Singer nie vergessen und in seinen Büchern das "Schtetl", wie man die jüdische Ghetto-Welt seiner Heimat nannte, lebendig gehalten:
    "Wir Juden leiden an vielen Krankheiten, aber Gedächtnisschwund gehört nicht dazu."
    Den elterlichen religiösen Konflikt hat Singer in seinem Werk ausgetragen
    Geboren 1904 im polnischen Radzymin als Sohn eines Rabbiners, erlebte der junge Singer, nach dem Umzug der Familie nach Warschau, mitten im Zentrum dieser alten Welt auch religiöse Konflikte hautnah mit: während der Vater, der in Warschau das traditionelle jüdische Gericht "beth din" abhielt, einem mystizistischen Chassidismus anhing, vertrat die Mutter einen auf die klassische Thora gründenden Rationalismus – und diesen Konflikt hat Singer in seinem Werk ausgetragen. Die Suche nach einer Antwort auf die hinter diesem Konflikt lauernde alte Frage "Wie soll man da leben?" verführte ihn aber nicht zu intellektuellen Spiel- und Gedankenbüchern:
    "Die Literatur soll Ereignisse beschreiben, nicht Ideen analysieren; ihr Thema ist das Individuum, nicht die Masse … Literatur ist die Beschreibung des wilden Sturms menschlicher Leidenschaften und des Kampfes mit ihnen."
    1935 nach Amerika ausgewandert, begann Singer in New York, das ihm als Stadt "mit allen Anzeichen eines wildgewordenen Gehirns" vorkam, für die Zeitung "Jewish Daily Forward" Erzählungen, Kurzgeschichten und Fortsetzungsromane zu schreiben. An diese Anfänge hat er sich später gegenüber einem Besucher erinnert, diesmal, da der Besuch aus Deutschland kam, in deutscher Sprache:
    "In meinem Notizbuch hatte ich mir die drei Charakteristika notiert, die ein Roman besitzen musste, um wirklich gut zu sein: Erstens, er muss eine genaue und spannende Handlung haben. Zweitens, der Verfasser muss den leidenschaftlichen Wunsch haben, dieses Werk zu schreiben. Drittens, der Autor muss der Überzeugung sein oder zumindest die Illusion haben, der einzige zu sein, der dieses besondere Thema behandeln kann."
    Die Liebe zwischen Mann und Frau war eines der großen Themen
    Den besonderen Singer’schen Blick auf die Welt verrieten allein schon Buchtitel wie "Der Zauberer von Lublin", "Der Spinoza von der Marktstraße", "Mein Vater der Rabbi" oder "Feinde, die Geschichte einer Liebe". Auch das Personal seiner Bücher, Frauen überwiegend mit kurzen Haaren und Männer mit langen Bärten und Schläfenlocken, erschien besonders und ungewöhnlich, wurde einem weltweiten Publikum aber schnell vertraut. Und es waren natürlich Einsichten wie diese, die Singers großer Leserschar gefielen:
    "Zweifellos besteht diese Welt nur in unserer Einbildung, aber sie liegt von der wirklichen Welt nur einen Katzensprung entfernt … Man soll lieber das ganze Leben ein Narr, als eine Stunde lang schlecht sein … Die Wahrheit ist, dass es keine Wahrheit gibt … Der Mensch lebt nicht nach den Regeln der Vernunft …"
    Gemäß solchen Einsichten wurde auch die Liebe zwischen Mann und Frau eines der großen Themen Singers, wobei er sich nicht scheute, in seinen Schilderungen manchmal sehr drastisch zu werden. In seiner Autobiographie "Verloren in Amerika" schrieb er:
    "Ich machte die Entdeckung, dass der Sexualtrieb auf das engste mit geistiger Stärke, nicht mit physischer verbunden ist. Liebe und Sex sind Funktionen der Seele."
    Wie mächtig der Ausdruckswunsch war, sich die besondere Ursprungsposition seiner osteuropäisch-jüdischen Herkunft immer vor Augen zu führen, machte Singer auch deutlich, als er sich 1978 in Stockholm für den Literaturnobelpreis in einer auf Jiddisch gehaltenen Rede bedankte. Als der letzte große Repräsentant der jiddischen Literatur bestand er auf seiner Herkunftssprache:
    "I don’t think that jiddish is a dying language. But even if it would be a dying language, I would try with all my power to revive it."
    Isaac Bashevis Singers Stimme verstummte am 24. Juli 1991, in einem Pflegeheim in Miami.