Sonntag, 28. April 2024

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Vor 25 Jahren
Ende der Jagd nach dem "Unabomber"

Ab 1978 verschickte Mathematik-Genie Ted Kaczynski Briefbomben an Universitäten in den USA, schrieb ein Manifest und forderte eine Abkehr vom "industriellen System". Erst am 3. April 1996 konnte der sogenannte Unabomber vom FBI verhaftet werden - sein Schreibstil hatte ihn verraten.

Von Andreas Baum | 03.04.2021
    Ein Farbfoto zeigt einen Mann mit mittelangem, gescheitetem Haar und grauem Vollbart, in orangefarbener Häftlingskleidung zwischen zwei Polizeibeamten in blauen FBI-Uniformen
    "Unabomber" Ted Kaczynski kurz nach seiner Verhaftung am 3. April in 1996 in Montana (imago stock&people)
    Die Agenten kommen am frühen Morgen – und umstellen die Holzhütte tief in der Wildnis Montanas. Eine Million Arbeitsstunden und 50 Millionen US-Dollar hat es das FBI gekostet, Theodore "Ted" Kazcynski aufzuspüren. Am 3. April 1996 überwältigen sie ihn mit einer List, wie Chris Waits erzählt, ein Nachbar.
    Jerry Burnes ist einer der Forest Ranger aus unserer Gegend. Ted kannte Jerry. Mit einer Karte unter dem Arm ist Jerry zu Teds Hütte gegangen und hat unter dem Vorwand, die Grenze zwischen seinem Grundstück und dem staatlichen Wald überprüfen zu müssen, bei ihm angeklopft. Als Ted rauskommt, springen die FBI-Agenten aus der Deckung. Er versucht noch, zurück in die Hütte zu kommen, wo eine 25er Automatik griffbereit lag, aber sie halten ihn fest. So konnten sie ihn festnehmen und abführen

    Gefühlsarmer Eigenbrötler

    Ted Kaczynski war der "Unabomber". Diesen Namen hatte ihm die Polizei gegeben, weil er vor allem Universitäten und Fluglinien – Universities And Airlines - zu bedrohen schien. Er hatte drei Menschen getötet und 23 verletzt.
    Mehr als 25 Jahre lang lebte er allein im Wald, jagte, baute Gemüse an und stellte Fallen. Wäre es nach ihm gegangen, würden alle Menschen irgendwann zu diesem Lebensstil zurückfinden. Chris Waits zufolge kannte er in der Wildnis jedes Tal, jede Schlucht, jeden Gipfel:
    "Wann und wo immer er durch die Wälder streifte, trug er den Weg mit Bleistift in eine Karte ein. Er wusste nicht nur, wo die besten Jagdreviere sind, er kannte auch sämtliche Verstecke, Höhlen, verlassene Minen. Er klaubte ja ständig altes Zeug zusammen. Wenn er eine leere Plastikflasche irgendwo liegen sah, nahm er sie mit, um sie als Behälter zu benutzen."

    Polizei über fast zwei Jahrzehnte genarrt

    Theodore Kaczynski, geboren 1942 in Chicago, galt in seiner Jugend in den 50er-Jahren als Mathegenie. Dass aus einem glücklichen Kind ein gefühlsarmer Eigenbrötler wurde, erklärten seine Eltern mit einer Nesselsucht, in deren Folge ihm Kontakte zu anderen Kindern verboten wurden. 1969 brach er eine erfolgversprechende Universitätskarriere in Berkeley plötzlich ab. 1978 begann Kaczynski, Sprengsätze in Briefen und Paketen an wissenschaftlich-technische Einrichtungen zu verschicken. 1985 starb durch ihn der erste Mensch, ein Computerladenbesitzer in Kalifornien. Jahrelang stocherten die Ermittler im Dunkeln:
    "Er war raffiniert, wenn es darum ging, das FBI an der Nase herumzuführen. Als er wieder einmal mit dem Bus unterwegs war, fand er im Toilettenraum der Busstation ein fremdes Haar. Er nahm es mit nach Hause und baute es in eine seiner Bomben ein. Als die Spurensicherung den Tatort untersuchte, fand sie das Haar und glaubte, ein belastendes Beweismittel gefunden zu haben."
    Vielleicht wäre der "Unabomber" nie gefasst worden, hätte er sich nicht 1995, nach zwei Attentaten, bei denen jeweils ein Mensch starb, entschlossen, ein Manifest zu veröffentlichen. Mehrere Zeitungen druckten es. Danach, versprach Kaczynski, würden die Anschläge enden:
    "Die Folgen der Industriellen Revolution haben sich für die Menschheit als eine Katastrophe erwiesen. Unsere Lebenserwartung ist in den ‚fortgeschrittenen‘ Ländern gestiegen, gleichzeitig aber trat eine Destabilisierung der Gesellschaft ein, das Leben wurde unerfüllt, die Menschen gerieten in eine unwürdige Abhängigkeit. Diese Entwicklung hat zu weit verbreiteten psychischen Problemen geführt, und der Natur wurde unermesslicher Schaden zugefügt."
    Der Angeklagte Stephan B. (Mitte) wird von Justizpersonal in den Saal des Landgerichts begleitet und nimmt neben seinem Verteidiger Thomas Rutkowski (rechts) Platz.
    Rechtsextremismus-Experte - "Einen Einzeltäter gibt es im Internet-Zeitalter nicht"
    Die Einzeltäter-These zum antisemitischen Anschlag in Halle hält David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus in Sachsen-Anhalt für problematisch. Sie blende den technischen und ideologischen Kontext aus, derer sich der Täter ganz offenkundig bedient habe, sagte er im Dlf.

    Radikaler Aufruf zur Gewalt

    Was sich in den ersten Zeilen las wie die Forderung nach einer ökologischen Wende, entpuppte sich als radikaler Aufruf zur Gewalt. Kaczynski verlangte nicht weniger, als die moderne Zivilisation zu zerstören. Nur so würde der Mensch zu einem glücklichen Leben zurückfinden. Dass es Opfer geben würde, nahm er in Kauf. Das Wiedererlangen von Freiheit und Würde wog für ihn schwerer als physischer Schmerz oder Menschenleben. Und "Deshalb treten wir für eine Revolution gegen das industrielle System ein."
    Am Ende verriet ihn sein Stil. Sein Bruder, David Kaczynski, erkannte ihn an seinen Formulierungen – und zeigte ihn an. Ted Kaczynski wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.

    Inspiration für heutige Rechtsterroristen

    Möglicherweise hat er unbeabsichtigt eine ganze Generation von Rechtsterroristen beeinflusst. Spuren seines Denkens finden sich in Pamphleten militanter Neonazis, der US-amerikanischen White Supremacy-Bewegung, des norwegischen Massenmörders Anders Breivik und der Teilnehmer des Sturms auf das Kapitol in Washington. Bis heute korrespondiert er mit Hunderten von Anhängern. Die Innenausstattung seiner Holzhütte ist in einem Museum in Washington zu besichtigen.