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Vor 25 Jahren - "Ode an die Freiheit"
Bernstein dirigiert in Ost-Berlin

Es war ein musikalisches Denkmal für den Mauerfall: Am Weihnachtag 1989 dirigierte der Amerikaner Leonard Bernstein im Ost-Berliner Schauspielhaus Beethovens 9. Sinfonie. An dem berühmten Finalsatz "Ode an die Freude" nahm er dabei eine Textänderung vor.

Von Wolfgang Schreiber | 25.12.2014
    Leonard Bernstein dirigiert am 25. Dezember 1989 das mit einem internationalen Ensemble besetzte Ost-West-Konzert in Berlin.
    Leonard Bernstein dirigiert am 25. Dezember 1989 das mit einem internationalen Ensemble besetzte Ost-West-Konzert in Berlin. (picture-alliance / dpa)
    Leonard Bernstein, der amerikanische Dirigent und Komponist, war ein Bewunderer der deutsch-österreichischen Kultur und ihrer Musik: Haydn, Beethoven, Brahms, Schumann, Mahler – das waren seine Götter. Bernstein dirigierte, wenn er nach Europa kam, am liebsten die Klangkörper in Wien und München - nach Berlin reiste er eher seltener.
    Aber der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989, Deutschlands historischer Augenblick, das ging ihm unter die Haut. Bernstein dirigierte ein paar Wochen später in Berlin gleich zwei Konzerte: in der Philharmonie West-Berlins und, am ersten Weihnachtstag 1989, im Ost-Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Beide Male Beethovens Neunte Symphonie.
    Leonard Bernstein besaß ein fragiles Lebensgefühl, er spürte die schwindende Zeit. Einem Berliner Radioreporter erzählte er von seinen Zeitängsten, auch seiner Zerrissenheit zwischen zwei Berufen - Dirigent und Komponist.
    Leonard Bernstein: "Ich muss komponieren. Ich werde jetzt alt und ich bin sehr eifersüchtig auf meine bleibenden Jahre. Wie viele sie sind, weiß ich nicht – Aber mit sechzig fängt man eifersüchtig zu sein an."
    Komponist der "Westside Story" und begnadeter Dirigent
    "Der populäre Charismatiker der Musik" – so wurde Leonard Bernstein auch genannt. Zu Recht. Er verstand es wie kein anderer, beide Sphären der Musik zu verteidigen, sie zu leben - die klassische ernste und die leichtere, eben populäre. Der Komponist der "Westside Story" war der erste Dirigent, der alle Symphonien Mahlers auf Platten aufnahm. Und der die klassische Musik auch in Fernsehserien und Büchern für jedermann verständlich machte.
    Leonard Bernstein: "Die Musik ist der tiefste Ausdruck von Humanität, den es in der Welt gibt … - ein Menschenrecht – alles ist mit Musik verbunden."
    Ein Musiker der spontanen Eingebung, der seiner Gefühlswahrheit vertraute - das war Leonard Bernstein, der Visionär, der auf seine Intuition horchte. Der Grenzen überschritt. Genau das wurde bei seinem Berliner Konzert am Weihnachtstag 1989, übrigens ein Jahr vor seinem Tod, greifbar.
    Der Klangkörper wurde zum Symbolträger der historischen Situation
    Was passierte da? Bernstein hatte sich für eine Textänderung im berühmten Finalsatz von Beethovens Neunter entschieden, Schillers Ode "An die Freude". Der befreiende Moment des Berliner Mauerfalls war es, der Bernstein dazu antrieb, das Wort "Freude" zu ersetzen durch "Freiheit". Also "Ode an die Freiheit". Und der Klangkörper wurde zum Symbolträger der historischen Situation: Bernstein hatte die Symphoniker des Bayerischen Rundfunks mit Orchestermusikern aus Paris, London, New York und Leningrad erweitert – mit Musikern also aus Ländern der alliierten Kriegsmächte gegen Hitler-Deutschland. Schillers "Götterfunke" hatte gezündet, der Mauerfall wurde plötzlich zur künstlerischen Tat.
    Leonard Bernstein wurde wegen dieser Verwandlung von Freude in Freiheit auch angegriffen. Aber gerade Beethoven, verteidigte er sich, hätte die Eroberung der Freiheit in diesem Augenblick verherrlicht, die Textaktualisierung gewiss anerkannt. "Musik die offene Frage" hatte eines von Bernsteins Büchern geheißen. Sein Musik- und Lebensbegriff war allumfassend.
    Leonard Bernstein: "Alles im Leben ist eins, auch die Liebe, auch Hamburgers, Beefsteak tartare, Mahler, Beethoven, Spaziergänge, Alles, Natur – das ist alles Freude. Und das Leben ist das Leben."