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Vor 30 Jahren
Bundesregierung warnte spät vor gepanschtem Wein

1985 wurde bekannt, dass österreichische und deutsche Weine mit dem Frostschutzmittel Glykol gepanscht wurden - damit sie "lieblicher" schmecken. Die Bundesbehörden wiegelten zunächst ab, bis der damalige Gesundheitsminister Heiner Geißler schließlich vor der Chemikalie warnte. Deutsche Weine wurden daraufhin weltweit geächtet.

Von Andrea Westhoff | 09.07.2015
    Zwei Krefelder Bürger bringen am 31. Juli 1985 Flaschen mit gepanschtem Wein zu einem eigens dafür aufgestellten Container.
    Nach der Entdeckung von Frostschutzmitteln (Glykol) in Ruster Weinen im Juli 1985 wurden in Deutschland die Weine aus der österreichischen Region aus dem Handel gezogen. (picture alliance / dpa / Roland Scheidemann)
    Österreichische Weine waren weltweit beliebt, vor allem auch in Deutschland; und hier schätzte man bis in die 80er Jahre besonders die süßen. Dass die ihre "Lieblichkeit" manchmal einer giftigen Chemikalie verdankten, ahnte niemand - bis im Dezember 1984 bei Wiener Behörden ein anonymer Hinweis einging: Einige Winzer würden billige Weine mit "Diethylen-Glykol" versetzen, einem Industriealkohol, der eigentlich als Frostschutzmittel dient. Der ließe minderwertigen Rebsaft süßer, vollmundiger erscheinen, so dass man ihn als Spätlese oder Beerenauslese verkaufen könne.
    Eigentlich hätte man schon viel eher stutzig werden müssen, beklagten deutsche Winzer später, als nämlich die angeblichen Edeltropfen tankwagenweise und zu sensationell günstigen Preisen von Österreich nach Deutschland gebracht wurden:
    "Man hat ja schon lange Jahre gezweifelt daran, wo diese vielen Sachen überhaupt wachsen, und vor allen Dingen für dieses wenige Geld. Da muss doch irgendwas faul sein an der Sache." Die illegale Praxis des Hochzuckerns gab es allerdings auch bei deutschen Weinbauern. Aber dass statt Flüssigzucker jetzt ein Frostschutzmittel benutzt wurde, war doch um einiges krimineller. Denn Diethylenglykol ist gesundheitsschädlich, kann neben Übelkeit, Krämpfen und Durchfall zu Leber-, Nieren- und Nervenschäden führen.
    Österreicher informierten im April '85 zuständige Behörden
    Nachdem die Österreicher tatsächlich zahlreiche glykolverseuchte Weine gefunden hatten, informierten sie im April 1985 die zuständigen Behörden von Rheinland-Pfalz, die das an die anderen Bundesländer weiterleiten sollten. Aber nichts passierte, beklagte Werner Chory, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium: "Ich hätte mir schon gewünscht, dass wir von Rheinland-Pfalz früher informiert worden wären, wir haben von der ganzen Sache aus der Zeitung erfahren."
    Und erst dann - inzwischen war es Mitte Mai - wurden einzelne Landesbehörden informiert, um österreichische Weine zu untersuchen, notfalls aus dem Handel zu nehmen - und endlich die Verbraucher zu warnen. Doch auch das klappte nicht, musste Klaus Töpfer zugeben, der 1985 Landesminister für Umwelt und Gesundheit in Rheinland-Pfalz war. "Auch meine erste Unterrichtung entstammt aus den Medien, das zeigt Ihnen noch einmal, dass auf der Ebene der Ämter eine unterschiedliche Gewichtung dieser Information gegeben ist, im Nachhinein war dies eine Fehlbewertung."
    Bundesgesundheitsministerium warnt erst im Juli
    Tatsächlich gab es in jenen Wochen immer wieder abwiegelnde Äußerungen zum
    "Di-Glykol", so etwa von Ferdinand Stark, Staatssekretär im Bonner Landwirtschaftsministerium: "Wenn der so gefährlich wäre, müsste der ja unter den Giftstoffen eingereiht sein - das ist er aber nicht." Erst am 9. Juli 1985 warnte das Bundesgesundheitsministerium von Heiner Geißler die Öffentlichkeit vor dem Genuss österreichischer Weine. Die Opposition zeigte sich empört, allen voran der SPD-Landtagsfraktionsvorsitzende in Rheinland-Pfalz Rudolf Scharping:
    "Wir ziehen daraus den Schluss, dass es erhebliche Schlampereien gegeben hat zu Lasten einer Gesundheitsgefährdung, und schließlich halten wir an der Forderung fest, dass der Staatsekretär Stark entlassen werden muss, denn er hat zu einem Zeitpunkt, in dem das Ausmaß des Skandals vollständig bekannt war, gesagt, man könne nicht wegen eines ungewissen Verdachtes eine ganze Branche lahmlegen."
    Weine aus Österreich und Deutschland weltweit geächtet
    Stark wurde tatsächlich entlassen, aber damit war der Glykolwein-Skandal noch längst nicht vom Tisch. Denn schon Mitte Juli 1985 tauchte die Chemikalie auch in deutschen Produkten auf, vor allem bei der rheinland-pfälzischen Großkellerei Pieroth. Denn ein Teil der Abfüllungen war mit dem billigen glykolverseuchten Wein aus Österreich gepanscht worden. Über tausend Namen standen schließlich auf der offiziellen "Giftliste". Österreichische und nun auch deutsche Weine wurden weltweit geächtet, der Export kam fast völlig zum Erliegen, hunderte, vor allem kleine Winzer waren verzweifelt.
    "Wir sind hier in einen Skandal reingezogen worden. Wir wussten gar nichts, und das hat uns mit voller Härte getroffen." Mittlerweile ist der gute Ruf österreichischer und deutscher Weine wiederhergestellt, - sicher auch, weil die Weingesetze und -kontrollen in beiden Ländern verschärft wurden. Dennoch war der Glykolweinskandal nur der Anfang einer schier unendlichen Reihe von Betrug und Behördenschlamperei in Sachen Lebensmittelsicherheit, allerdings auch gestützt durch die Schnäppchen-Mentalität vieler Verbraucher.