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Vor 30 Jahren
"Mr. Tagesschau" sagt Servus

Als das Fernsehen seinen Siegeszug in die deutschen Haushalte startete, war von Anfang an ein Mann dabei, der allabendlich das Weltgeschehen ins Wohnzimmer brachte. Nachrichtensprecher Karl-Heinz Köpcke wurde als "Mr. Tagesschau" zu einer Institution. Vor 30 Jahren verlas er zum letzten Mal die Tagesschau.

Von Hartmut Goege | 10.09.2017
    Der Sprecher der ARD-"Tagesschau", Karl-Heinz Köpcke, aufgenommen im Februar 1971 in der Kulisse der Nachrichtensendung.
    Nüchtern, knapp und souverän: Karl-Heinz Köpcke versorgte 28 Jahre lang die bundesdeutsche Fernsehgemeinde in über 5.000 Sendungen mit den wichtigsten Nachrichten des Tages (dpa / Dieter Klar)
    "Und nun noch eine Personalie, sie betrifft die Tagesschau und ist von morgen an wirksam." Nüchtern, knapp und souverän wie immer - im modisch sitzenden feierlich- schwarzen Anzug - kündigte Karl-Heinz Köpcke am 10. September 1987 die Top-Nachricht des Tages an: NDR-Intendant Peter Schiwy bereitete darin die Nation auf eine fernsehgeschichtliche Zäsur vor:
    "Guten Abend, meine Damen und Herren, hier bei uns im Ersten. Wenn ein Intendant die Ansage übernimmt, dann muss es dafür einen triftigen Grund geben. Eben haben Sie zum letzten Mal Karl-Heinz Köpcke als Chefsprecher der Tagesschau erlebt. Kein Zweifel, sein Sachverstand und seine Zuverlässigkeit verleihen unseren Nachrichtensendungen seit Jahrzehnten Glaubwürdigkeit."
    28 Jahre lang hatte er die bundesdeutsche Fernsehgemeinde korrekt und emotionslos in über 5.000 Sendungen mit den wichtigsten Nachrichten des Tages versorgt. Bei Radio Bremen als Sprecher ausgebildet, war er der erste Nachrichtensprecher, der der Tagesschau ab 1959 ein Gesicht und eine Stimme gab:
    Tagesschau 16.11.1960: "Knapp 14 Tage nach seiner Ansprache über alle französischen Rundfunk- und Fernsehstationen hat Staats-Präsident de Gaulle heute seine Ankündigung wahr gemacht und offiziell einen Volksentscheid über Algerien angekündigt."
    Eine Institution wie die Tagesschau-Fanfare
    Bis dahin war die Sendung ein Zusammenschnitt von Wochenschau-Film-Materialien gewesen. Mit seiner seriös wirkenden, sonoren Sprechweise, die sich wohltuend von dem zackig aufgeregten Ton der Wochenschau-Kommentare abhob, wurde der gebürtige Hamburger schnell ebenso zur Institution wie die eigene Tagesschau-Fanfare.
    Der rasant wachsende Fernsehmarkt der 60er-Jahre ließ Köpcke, der als Sohn eines Technikers nach dem Abitur direkt als Funker zum Kriegsdienst eingezogen wurde, bekannt werden wie einen Filmstar. Gelegentlich wurde er in Umfragen auch für den Bundeskanzler gehalten oder zumindest für seinen Regierungssprecher. Viele glaubten, dass er die Nachrichten selbst recherchiert hätte, und seine beamtenhafte Seriosität brachte ihm tägliche, zumeist weibliche Fan-Post ein:
    "Sie verhalten sich so absolut korrekt, dass ich mich einfach freuen muss an Ihrem Auftreten. Ob allen auffällt, mit welch eleganter Handbewegung Sie das Blatt halten? Mich alleine in meinem Zimmer macht es glücklich, dass dann und wann ein Mensch erscheint, der Vornehmheit ausstrahlt, die fern jeder Affektiertheit ist."
    Zwangsläufig taufte ihn die Fernsehnation "Mr. Tagesschau". Viele betrachteten ihn nicht nur als Teil ihres Wohnzimmerinventars: Nach ihm und seinem pünktlichen Erscheinen wurde auch manche Uhr gestellt. Tagesschau: "Aus Frankfurt nun die Wettervorhersage für den 11. September. Heute wieder mit dem Reisewetter zum Wochenende."
    Tagesschau strukturiert Familientag
    Unausgesprochene Regeln etablierten sich. 20-Uhr-Besuche oder Telefonate wurden zu Tabus. Köpke und seine Tagesschau ließen neue Rituale entstehen, wie sich Zeitungsverleger Hans-Joachim Fuhrmann - Jahrgang 1955 - erinnert:
    "Die Tagesschau hat schon den Tag meiner Eltern strukturiert, und damit wurde mein Tag als Kind strukturiert: 'Das machen wir noch vor der Tagesschau, du darfst aufbleiben bis zur Tagesschau.' Irgendwann hieß es dann: 'Okay, die Tagesschau darfst du noch gucken.' Die Tagesschau, das war das Weltgeschehen im Wohnzimmer. Jeden Abend."
    Und mindestens so wichtig wie die Nachricht war das Auftreten von Karl-Heinz Köpcke. Die seltenen Versprecher waren an einer Hand abzuzählen: "Ein sowjetischer Systemkritiker, der Mathematiker Leonid Pschurschtsch, ist heute zusammen mit seiner Familie in Österreich angekommen. Obwohl Pschurschtsch kein Jude ischt, haben ihm die sowjetischen Behörden ein Ausweise … Ausreisevisum nach Israel ausgestellt … Mensch, ich hab das ja mit dem sch …"
    Statt Aufputschmittel las er einmal Aufpitschmuttel, prompt fragte eine Boulevardzeitung "War Köpcke blau?" Als er 1974 mit einem Oberlippenbart aus dem Urlaub erschien, ging ein Aufschrei durchs Land, den sogar Rudi Carrell in seiner Show kommentierte: "Der Köpcke, der liest da abends um acht die schrecklichsten Nachrichten vor. Und da stell ich mir vor, ein Mann, der abends nach Hause kommt um viertel nach acht, fragt: 'War noch was Wichtiges in der Tagesschau?' Und die Frau sagt: 'Ja, der Köpcke hat einen Schnurrbart.'"
    Abmahnung vom Chefredakteur
    Der Bart musste ab, dafür gestattete ihm die Fernsehnation ein Toupet, das sein lichtes Haupthaar wieder füllte. Nur einmal gab es einen Eklat. Als die Tagesthemen 1978 eingeführt wurden, fühlte Köpcke sich am kleinen Pult neben dem Moderator wie an einen Katzentisch versetzt. Aus Protest gähnte und raschelte er im Hintergrund so laut mit den Papieren, dass er vom Chefredakteur abgemahnt wurde.
    Seinen Ruhestand wollte er vor allem mit Reisen und Schreiben genießen. Eine Krebserkrankung machte diese Träume zunichte. Karl-Heinz Köpcke starb 1991 kurz vor seinem 69. Geburtstag in Hamburg.