Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Vor 300 Jahren geboren
Gellert - ein fast vergessener Aufklärer

Christian Fürchtegott Gellert war Mitte des 18. Jahrhunderts einer der meistgelesenen deutschen Dichter und ein begehrter Lehrer. Er schrieb für das große Publikum, trotzdem ist er beinahe vergessen. Ihm gelang es, Christentum und Aufklärung zu versöhnen. Vor 300 Jahren wurde der Pfarrerssohn und Literat geboren.

Von Christoph Schmitz-Scholemann | 04.07.2015
    Eine Hand führt eine Schreibfeder
    Auch Goethe studierte bei Gellert Literatur in Leipzig. (picture-alliance/ dpa / Bernd Thissen)
    "Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre" - dies alte Lied zum Lobe Gottes, der Natur und der Vernunft ist bis heute lebendig. Sein weithin vergessener Autor ist Christian Fürchtegott Gellert. Er kam am 4. Juli 1715 in der sächsischen Kleinstadt Hainichen zur Welt und war in der Mitte des 18. Jahrhunderts der meistgelesene deutsche Dichter.
    "Die Verehrung und Liebe, welche Gellert von allen jungen Leuten genoss, war außerordentlich. Es kostete einige Mühe, zu ihm zu gelangen. Seine zwei Famuli schienen Priester, die ein Heiligtum bewahren ..."
    So erinnerte sich Johann Wolfgang von Goethe, der bei Gellert in Leipzig studierte. Aufgewachsen ist Gellert als neuntes von 13 Kindern eines Pfarrers. Um die Erziehung des begabten Knaben kümmerte sich auch ein Freund der Familie, der zugleich Bürgermeister von Hainichen war.
    "Dieser Mann hielt mich hart, ich musste den Tisch decken, Bier auf der Gasse holen, Kinder wiegen. Gegen das eilfte und zwölfte Jahr schrieb ich Acten bey ihm ab. Dieses hat mir so viel geholfen, dass ich artig im Canzelleystil schrieb."
    Beim Volk berühmt: Gellerts Tierfabeln
    Der Weg vom Abschreiben zum eigenen Schreiben war für Gellert nicht weit. Schon als Gymnasiast im schönen Meißen, als Student in Leipzig und später als junger Gelehrter trat er mit amüsanten Charakter-Komödien hervor, in denen sich die Zuschauer wiedererkennen, über sich lachen und dadurch moralische Erkenntnisse gewinnen sollten und konnten. Diesen publikumsfreundlichen Ansatz verfolgte Gellert auch in seinen munter gereimten Tierfabeln. Er griff antike und französische Vorbilder auf und versah sie mit einer behaglichen Schlussmoral, wie zum Beispiel in der Geschichte von der Henne und der Biene, die sich darüber unterhalten, wozu man eigentlich Poesie braucht. Die kluge Biene sagt zum dummen Huhn:
    "Du siehst an dir, wozu sie nützt:
    Dem, der nicht viel Verstand besitzt,
    Die Wahrheit durch ein Bild zu sagen."
    Das klingt hübsch - und doch auch ein wenig harmlos. Der heutige Leser mag sich fragen, wie es kam, dass die Fabeln um 1750 das meistgedruckte Buch nach der Bibel wurden. Was war es, das sogar Friedrich den Großen zu einem geschworenen Bewunderer Gellerts machte?
    "Dass er diese humanistische Tradition, die Fabeltradition weitergeführt hat und sozusagen auch heruntergebrochen hat auf die Verwendbarkeit im allgemeinen Schulgebrauch, ich denke, das ist ein wichtiges Verdienst."
    Der Lyriker Arnfrid Astel hat an der Universität des Saarlandes lange Jahre Poetik gelehrt - und über die Frage nachgedacht, warum uns solche gereimten moralischen Appelle heute suspekt geworden sind.
    "Dass dies auch betulich war und, ja, fast spießig uns heute vorkommt: da müssen wir uns selber fragen, wie weit solche Vorstellungen verkommen sind, auch das Wort Moral, ob wir das positiv verwenden können oder moralisierend negativ."
    Für Christian Fürchtegott Gellert stellten sich solche Fragen nicht. Er glaubte an das Gute. Für ihn als Aufklärer sollte die Literatur ein Forum öffentlichen Nachdenkens über die richtige Ordnung in der Gesellschaft sein. Zeugnis für seinen anrührenden Optimismus sind nicht zuletzt seine Kirchenlieder und sein tränenreicher Roman über eine schwedische Gräfin, die auf ihrem Weg durch halb Europa eine Spur goldenen Edelmuts hinterlässt:
    "Vernimm's, und siehe die Wunder der Werke,
    Die die Natur dir aufgestellt!
    Verkündigt Weisheit und Ordnung und Stärke
    Dir nicht den Herrn, den Herrn der Welt?"
    Mozart: "Neues weiß ich Nichts, als dass Herr Gellert gestorben ist"
    Dass Christentum und Vernunft kein Gegensatz sind, sondern zusammen gehören, brachte der sanftäugige und zierliche Professor Gellert einer ganzen Studentengeneration bei. Da der Raucher und ewige Junggeselle oft kränkelte, waren mehrmals falsche Todesmeldungen über ihn im Umlauf. Anfang 1770 schrieb der damals 13-jährige Wolfgang Amadeus Mozart aus Mailand an seine Schwester:
    "Neues weiß ich Nichts, als dass Herr Gellert gestorben ist und dann nach seinem Tode keine Poesien mehr gemacht hat."
    Diesmal stimmte die Nachricht. Christian Fürchtegott Gellert war am 13. Dezember 1769 in Leipzig gestorben.