"2. September 1666 je dunkler es wurde, desto größer erschien das Feuer … in allen Winkeln leuchtete die schreckliche, böse, blutrote Flamme, ein grauenhafter Krach, wenn die Häuser einstürzen ... "
Die große Feuersbrunst in London ist nur eine der Katastrophen, von der das geheime Tagebuch des englischen Beamten Samuel Pepys berichtet. Auch die verheerende Pest von 1665, der Krieg gegen die Niederlande – alle Unglücksfälle und Umwälzungen der Jahre 1660 bis 1669 spiegeln sich in seinen Aufzeichnungen – ebenso wie die verluderten Sitten am Königshof:
"Wie Mr. Povy sagt, verbringt der König die meiste Zeit damit, die Frauen, die man ihm nackt ans Bett schickt, abzutatschen und abzuküssen. Er wird seine Geilheit nie los."
Sohn einer Waschfrau und eines Herrenschneiders
Samuel Pepys wurde 1633 als Sohn einer Waschfrau und eines Herrenschneiders in London geboren. Gesang und Gottesfurcht, Familiensinn und puritanische Moral waren die Grundlagen seiner Erziehung. Da er viel kränkelte, schickten ihn seine Eltern oft aus der schmutzigen Hauptstadt aufs Land. Dort hatte die Familie vornehme Verwandtschaft, die dem lebensfrohen und begabten Jungen den Weg zur Universität und danach in die Beamtenkarriere bahnte.
Pepys heiratete, ließ sich 1658 in einer lebensbedrohlichen Operation einen tennisballgroßen Blasenstein entfernen und trat ins königliche Marineamt ein. Am 1. Januar 1660 begann er sein Tagebuch:
"Gott sei Dank war ich am Ende des letzten Jahres bei guter Gesundheit … Der neue Stadtrat will hoch hinaus … Mittagessen in der Dachstube, wo meine Frau die Reste eines Truthahns zubereitete, dabei verbrannte sie sich die Hand ..."
Tagebuch in einer Geheimschrift
Die Aufzeichnungen machen den Leser zum Teilnehmer einer aufwühlenden Epoche.
"Nach Charing Cross, um zuzuschauen, wie Major Harrison gehängt, ausgedärmt und gevierteilt wurde. Er sah sehr vergnügt dabei aus. Anschließend … in den Gasthof zur ‚Sonne‘, wo ich … Austern spendierte."
Der Essayist und Übersetzer Joachim Kalka stellt ein weiteres Merkmal der Tagebücher heraus:
"Dieses Tagebuch ist auch insofern historisch ungewöhnlich, als es zum ersten Mal in solcher Breite alles Private ausbreitet. So sehr ins Private hinein, dass er es in einer Code-Schrift verfassen musste, damit niemand Unberufener, vor allem seine Frau nicht, lesen konnte, wohin er dann mit seiner Hand ging bei den Dienstmädchen."
Pepys geizt in seinen geheimschriftlichen Aufzeichnungen weder mit Berichten über seine häufigen Schürzenjägereien – noch mit ausführlichen Reuebekenntnissen und rührenden Versöhnungsszenen mit seiner Frau Elizabeth.
Kalka: "Es ist ein Monument des Allzumenschlichen, insofern können wir uns damit identifizieren, empfinden Sympathie und können auch ein wenig Bewunderung für das tätige, arbeitsreiche und auch in den Genussmomenten sehr energische Leben dieses Mannes empfinden."
Innenansicht einer Bürokratie
Pepys war ein überaus geschickter Organisator der Royal Navy. Seine Tagebücher illustrieren die Innenansicht einer Bürokratie mit all ihren Grabenkämpfen, Eifersüchteleien, Bissigkeiten und aufgeplusterten Leerläufen. Neben der jährlich wiederkehrenden Feier der gelungenen Nierensteinoperation von 1658 und dem unverblümt beschriebenen Glück leichten Stuhlgangs finden wir philosophische Gespräche, Theaterbesuche, Trinkgelage - und vor allem Musik.
"Bei Mr. Harris Mittagessen … bis abends um 11. Alle sehr vergnügt. Ich sang und fiedelte."
Im Frühjahr 1669 beschloss Pepys, der zunehmend unter Augenschmerzen litt, das Tagebuchschreiben aufzugeben. Die sechs Bände seiner Eintragungen stellte er in seine Bibliothek. In seinem letzten Notat vom 31. Mai lesen wir:
"Nachmittags nach Whitehall … von wo mich meine Frau abholte. Im 'Weltuntergang' eingekehrt, sehr lustig."
Samuel Pepys starb 1703. Gut ein Jahrhundert später wurden die Tagebücher in Cambridge entdeckt, entziffert und nach und nach veröffentlicht. Heute ist Pepys einer der meistzitierten englischen Schriftsteller.