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Vor 40 Jahren hat der Deutschlandfunk seinen Sendebetrieb aufgenommen

Lange: Gestern vor 40 Jahren hat der Deutschlandfunk seinen Sendebetrieb aufgenommen, ein runder Geburtstag also, den die Zeitfunkredaktion in diesen Tagen begeht, in dem sie an besonders profilierte Sendungen erinnert und in dem sie besonders rekapituliert, wie über wichtige Ereignisse der Zeitgeschichte im Deutschlandfunk berichtet wurde. Zu einem Geburtstag gehört es sich, dass man Gäste einlädt. Das haben wir heute morgen auch getan. Ich begrüße hier im Studio Hanns Gorschenek, den langjährigen Nachrichtenchef des Deutschlandfunks. Er ist sozusagen ein Mann der ersten Stunde. Guten Morgen.

    Gorschenek: Guten Morgen, Herr Lange.

    Lange: Und ich begrüße Reinhard Appel, den Intendanten des Deutschlandfunks in der Zeit von 1973 bis 1976. Guten Morgen.

    Appel: Schönen guten Morgen, Herr Kollege.

    Lange: Danke zunächst, dass Sie sich den Weg hier hin gemacht haben. Herr Gorschenek, können Sie sich noch daran erinnern, worüber Ihr erster Bericht oder Ihre erste Meldung handelte, die Sie für den Deutschlandfunk gemacht haben?

    Gorschenek: Ja, die erste Meldung begann mit folgender Ansage: mit dieser Nachrichtensendung beginnt die gemeinnützige Anstalt des öffentlichen Rechts mit dem Namen Deutschlandfunk ihr Programm, und das war am 1. Januar um 16 Uhr. Anschließend natürlich die üblichen Neujahrsgrüße und Neujahrsbotschaften der Politiker bis hin zum Wetter. Diese erste Nachrichtensendung kam nicht aus Köln, sondern sie kam aus Hamburg. Der Vorläufer des Deutschlandfunks war der Deutsche Langwellensender, der in Hamburg betrieben wurde, und für den wir schon seit Jahren gearbeitet hatten. Das war Musik am Nachmittag bis um Mitternacht und dazwischen ein paar Nachrichten und ein bisschen Presseschau, bis dann am 1. Januar aus Hamburg, aus einem kleinen Studio - das muss ich sagen, wenn ich das Funkhaus heute sehe. Als ich hier reingegangen bin, war ich ganz erstaunt, wie sich alles entwickelt hat. - der Deutschlandfunk seinen Betrieb begann. Herr Appel, Sie können sich sicher noch an die ersten Tage in Köln-Marienburg in der Lindenallee 7 erinnern. Wir haben dort ganz klein angefangen, allerdings erst Wochen später, nachdem einige aus Hamburg nach Köln übersiedelt waren. Ich ging ja damals zunächst nach Bonn und kam erst 1965 als Nachrichtenchef wieder zurück nach Köln.

    Lange: Herr Appel, wissen Sie noch, in welchem Zusammenhang Sie zum ersten Mal mit dem Deutschlandfunk zu tun hatten?

    Appel: Ja, ich war ja in Bonn Parlamentsjournalist für die Stuttgarter Zeitung, dann für die Süddeutsche Zeitung, und war nebenbei Hörfunkkommentator, darunter auch für den Deutschlandfunk. Ich habe am Sonntag Abend mit anderen Kollegen, z.B. Peter von Zahn, Herr Schwarzkopf, Kommentare gesprochen. Außerdem war ich als politischer Journalist als Beobachter bei der Entstehung des Rundfunkgesetzes beteiligt. Und wenn Herr Gorschenek an den Langwellensender erinnert, erinnert er an eine kämpferische Phase, die über zehn Jahre andauerte.

    Lange: Wieso hat es so lange gedauert?

    Appel: Weil es ein großes Misstrauen gegen Adenauer gab, der ein Bundesrundfunkgesetz durchsetzen wollte und entsprechende Entwürfe im Innenministerium auch schon hatte ausarbeiten lassen. Aber dagegen waren die Alliierten, denn der Adenauer war ja ein sehr machtbewusster Politiker, der den Rundfunk für sich praktisch als Staatsrundfunk requirieren wollte. Dagegen waren wir Journalisten - wir haben dagegen immer geschrieben - und auch die Bundesländer, weil es inzwischen Landesrundfunkanstalten gab.

    Gorschenek: Vor allem Hessen.

    Appel: Nicht nur Hessen. 1960/61 kam schließlich das Bundesrundfunkgesetz, eine Rechtsgrundlage für die Deutsche Welle, den Kurzwellensender, eine Rechtsgrundlage für den Deutschlandfunk, Bundesrecht zu haben und das Deutschlandfernsehen zu gründen, das dann für verfassungswidrig erklärt wurde, worauf wiederum das ZDF seine Geburt zu verdanken hatte.

    Lange: Also eine schwere Geburt.

    Appel: Eine sehr schwere Geburt. Sehr umstritten.

    Lange: Herr Gorschenek, was war das denn am Anfang für ein Betriebsklima? Was waren das für Kollegen, die zusammenkamen?

    Gorschenek: Das Betriebsklima war ausgezeichnet. Wir waren in Aufbruchstimmung, versteht sich. Einige kamen vom NDR, einige kamen vom Südwestfunk, vom Saarländischen Rundfunk. Das hat sich alles sehr gut zusammengefügt.

    Lange: Gab es so etwas, wie eine gemeinsame Motivation?

    Gorschenek: Ja sicher, wir waren vor einer neuen Aufgabe als Informationssender. Wir wollten keine Nachrichtenorgel für ganz Deutschland sein, aber ein paar Register haben wir schon gezogen. Wir waren auch bald sehr im Gespräch, wir mussten uns bekannt machen. Der damalige Pressechef sagte mir immer, wissen Sie, wenn man uns schon so schlecht hört - wir haben ja nur eine Langwelle und eine Mittelwelle vom Südwestfunk -, dann müssen wir bitteschön für uns Propaganda machen, im besten Sinne des Wortes. Wir müssen in die Presse, wir müssen in den Medienspiegel, wir müssen einfach für uns werben. Und das geschah dann auch. Wir waren sehr motiviert. Wir hatten zunächst verschiedene Blöcke. Wir hatten erst den Abendblock, dann hatten wir den Frühblock, dann hatten wir den Mittagsblock und dann haben wir die Nacht geschlossen, also das Programm war etwas stufenförmig. Die Nachrichten spielten damals eine zentrale Rolle, und wir haben uns bemüht, Nachrichten grenzüberschreitend zu gestalten, also wir haben bei der Nachrichtenauswahl schon darauf hin gewirkt, dass über die Sender der Langwelle und später der Mittelwelle grenzüberschreitend berichtet wird. Das betraf sowohl die Auswahl als auch die Stoffdisposition, vor allem auch - worauf ich größten Wert legte - die Trennung von Nachrichten und Meinung. Das fing schon beim Leadsatz an, ohne Quelle gab es nichts. Wenn Sie heute die Leadsätze hören, da staune ich zwar, aber ich sage, es ist halt modern.

    Lange: Da hat sich vieles geändert. Wie lange haben Sie denn Ihrem Bekanntenkreis noch erklären müssen, was Sie da machen? Dieser Sender war ja im Westen nur schwer zu hören.

    Gorschenek: Das ging sehr schnell. Wir hatten auch aus dem Osten sehr viele positive Reaktionen, natürlich nicht direkt durch Briefe oder Anrufe, das ging ja damals nicht, sondern über westdeutsche Bekannte, die Briefe wieder uns zugeleitet haben, also die Leute haben nicht direkt an den Deutschlandfunk geschrieben, und der Osten hat ja auch erst mal gar nicht reagiert, bis wir ihm dann ein bisschen auf die Nerven gegangen sind. Dann kam das neue Deutschland und hat uns als NATO-Sender bezeichnet, was wir gar nicht waren, aber das musste man halt durchstehen. Es ging sehr gut. Das Klima unter den Mitarbeitern war wunderbar. Jeder war gefordert und wollte immer dabei sein.

    Lange: Wie viele waren Sie denn in der Anfangszeit?

    Gorschenek: Das lässt sich schwer sagen. Wir waren sehr wenige, zwei Tontechniker, die aus Köln nach Hamburg kamen, die Sprecher kamen vom NDR, und wir hatten einen kleinen Haufen von fünf, sechs, sieben Redakteuren, dann hatten wir drei, vier Nachrichtenredakteure.

    Lange: Die älteren Kollegen vom ZDF sagen, sie sind in der Anfangszeit von der ARD von oben herab behandelt worden. War das mit dem Deutschlandfunk auch so?

    Gorschenek: Ich kann das eigentlich für uns nicht bestätigen. Wir haben uns da eingefügt, wir wollten mit unseren Sendungen nicht provozieren und nicht angeben, aber die Kollegen von der ARD haben uns eigentlich akzeptiert und gesagt, da ist etwas Neues, mal sehen, wie es weiter geht. Und es ging sehr gut weiter. Wir wurden im Kreis der Nachrichtenchefs in der ARD gut angenommen. Wir hatten unsere jährlichen Zusammenkünfte, und es war sehr harmonisch.

    Lange: Herr Appel, vor den Nachrichten haben wir in den Informationen am Morgen die (alte Deutschlandfunk-) Sendung 'Aus Ostberliner Zeitungen' porträtiert. Von Ihnen weiß ich, dass Sie diese Sendung nicht sonderlich geschätzt haben. Warum?

    Appel: Die habe ich aus verschiedenen Gründen nicht geschätzt, aber ich würde gerne auf Herrn Gorschenek eingehen. Er schildert die Kollegialität mit der ARD sehr harmonisch. Das war die kollegiale Ebene von Journalisten. Im Übrigen war der Deutschlandfunk ein unbeliebter Sender innerhalb der ARD, das habe ich als Intendant zu spüren bekommen, als man praktisch eine Klage androhte, um uns, wie das Deutschlandfernsehen, als verfassungswidrig zu erklären. Ich musste Etliches in Bewegung setzen, um die Ministerpräsidenten gegen diese Strömungen innerhalb der ARD zu aktivieren, denn der damalige ARD-Vorsitzende kämpfte gegen den Deutschlandfunk. Er sagte, das hätte die ARD alleine machen können, wieso braucht man dafür ein Bundesrundfunkgesetz, weil es eben schon sozusagen das Geschmäckle eines Staatsrundfunks hatte. Und die erste personelle Ausstattung hier im Sender war natürlich auch sehr stark konservativ geprägt. Und nachdem ich ja 1973 bewusst als ein Mann, der die Ostpolitik unterstützte, gewählt wurde, habe ich in meiner ersten Ansprache als Intendant vom Dialogsender gesprochen. Ich wollte sozusagen den Dialog mit dem Osten beginnen, und die Ostberliner Presseschau war natürlich sehr aggressiv und tendenziös aufgemacht, und deswegen habe ich darauf Wert gelegt, dass sie etwas neutraler und unabhängiger formuliert wurde.

    Lange: Waren sie mit zu viel Schadenfreude oder Häme versehen? Wie ist das zu verstehen?

    Appel: Na ja, sie haben die Zitate aus Ostberliner Zeitungen jeweils so ausgewählt, dass man den Eindruck einer Kampfpresseschau haben musste. Der Deutschlandfunk war eben nicht nur ein Sender für die Hörer in der DDR, sondern für die Hörer in ganz Deutschland. Und deswegen habe ich diese spezielle Ausrichtung in dem Osten nicht geschätzt.

    Lange: Man kann Ihnen nicht zu nahe treten, wenn man sagt, Sie sind wirklich angetreten, um diesen Sender auf die Ostpolitik dieser Regierung sozusagen auszurichten?

    Appel: Ostpolitik der Regierung, das hört sich so an, als ob ich in einem Regierungsauftrag gehandelt hätte. Ich bin ein unabhängiger, freier Journalist gewesen, und ich habe in meinen Kommentaren als Zeitungsmann, Hörfunkmann und vor allem als Fernsehmann - ich hatte längst meine Fernsehsendung "Journalisten fragen, Politiker antworten" - meine eigene Meinung gehabt. Und meine eigene Meinung war, dass man in diesem gespaltenen Deutschland nur über eine Ost- und Versöhnungspolitik weiterkommen kann.

    Lange: Wie schwer war das intern durchzusetzen? Es ist ja doch ein Richtungswechsel.

    Appel: Der war im Haus erstaunlich positiv bewertet worden, denn ich habe ja gleich zu Beginn eine kleine Kulturrevolution veranlasst, indem ich alle Mitarbeiter aufgefordert habe, an einer Programmstrukturreform mitzuarbeiten, wobei ich einen ausdrücklich ausnehmen muss, und das mit einem großen Kompliment für Herrn Gorschenek verbinden muss, denn er hat den Sender tatsächlich vorher durch die Nachrichtensendungen in einer Weise profiliert, dass er das, was er vorhin geschildert hat, vor allem durch die Nachrichtensendungen, 29 Mal am Tag, zustande gebracht hat. Wir waren schnell, wir waren umfassender als andere Sender, und deswegen war das ein wichtiger Punkt, der uns im Deutschlandfunk vorangebracht hat.

    Lange: Wie haben die Leute der ersten Zeit diese Reformüberlegungen betrachtet?

    Gorschenek: Das haben wir eigentlich wenig mitgekriegt, wie Herr Appel schon sagt. Wir waren immer zwei da und haben unsere Aufgaben erfüllt, aber ich möchte ganz gerne auf die Presseschau zurückkommen, nicht auf die Ostberliner Presse, sondern auf die, die wir hier in Köln aufgebaut und verantwortet haben. Diese Presseschau hatte einen ganz bestimmten Zweck, und zwar nicht eine Kampfansage nach drüben, sondern Informationen und Assoziationen zu entwickeln. Auch Nachrichten wirken ja assoziativ, und die Presseschau war ein sehr wichtiges Instrument unseres Hauses. Herr Appel, Sie werden sich daran erinnern, wir hatten eigentlich niemals Konflikte, was die Inhalte, die Stoffdisposition oder die Interpretation der Stimmen betrifft. Wir wussten, dass die Menschen drüben keine Westzeitungen lesen durften. Und das war natürlich eine ganz besondere Aufgabe für den Deutschlandfunk, dieses zu vermitteln. Und das ist eigentlich ganz gut gelungen, wir haben sehr viel Lob für unsere Presseschau bekommen, aber es war nicht sehr einfach, diese Pressestimmen auf den Tisch zu bekommen. Die Agenturen haben sich zwar bemüht, uns irgendwelche Auszüge zu schicken, aber das war uns nicht gut genug. Wir haben dann versucht, die Zeitungen früh zu bekommen - spätestens um 6 Uhr -, so dass wir direkt aus den Zeitungen zitieren konnten. Wir hatten mittags die internationale Presseschau, die es heute noch gibt, und das war auch ein sehr wichtiger Programmbeitrag, weil die Leute drüben auch keine internationale Presse lesen konnten, vielleicht ein paar SED-Funktionäre oder Gewerkschaftsfunktionäre, aber sonst waren wir diejenigen, die die Pressestimmen so ausgewählt haben, dass die Menschen drüben, die sie hörten, auch ein Bild davon bekommen haben, was in Deutschland und in der Welt passierte.

    Lange: Herr Appel, in Ihrer Amtszeit sind die Programmstrukturen erheblich verändert worden. Was ist aus heutiger Sicht für Sie das Wichtigste gewesen?

    Appel: Das Wichtigste waren zwei Dinge: einmal, dass wir die Morgenmagazine eingeführt haben, die von 5 Uhr an vor allen Dingen die Bundespolitik wiedergespiegelt haben. Das gab es vorher im Deutschlandfunk nicht, der, abgesehen von den Nachrichtensendungen, konservativ ausgerichtet war, während andere Sender mit dem Morgenmagazin viel aktueller reagiert haben. Und diese Morgenmagazinsendungen, die es bis heute gibt - in einer reden wir gerade -, haben den Sender vor allen Dingen in Bonn, bei den Politikern sehr profiliert. Und daraus habe ich die zweite Konsequenz gegen den Willen der ARD gezogen, nämlich einen ersten UKW-Sender in Bonn mit Hilfe der Bundespost zu installieren, und dadurch wurden wir in Bonn eigentlich der Sender, der von den Politikern wahrgenommen wurde, was für die Weiterexistenz und Weiterentwicklung des Deutschlandfunks von großer Bedeutung war, denn erst dadurch sind die ARD-Intendanten gefügiger geworden und haben den Deutschlandfunk schließlich akzeptiert.

    Lange: Geburtstagskinder dürfen sich etwas wünschen. Der Deutschlandfunk wünscht sich sicher viele Hörer und ein langes Leben. Was wünschen Sie darüber hinaus dem Deutschlandfunk?

    Appel: Dass er so zuverlässig und seriös bleibt wie bisher, und dass er auch ein Gegengewicht gegen das Infotainment anderer Sender, gegen die Spaßgesellschaft bildet und seine Unabhängigkeit von der Werbung auch nutzt, um als unabhängiger Sender sein Profil zu bewahren.

    Gorschenek: Ich wünsche mir natürlich, dass die Nachrichtengebung so bleibt, wie sie jetzt ist, dass wir keine O-Töne in die Nachrichtensendungen einschieben, das war ja immer mein Hobby, dass das nicht geschieht. Insgesamt können wir mit dem, was heute hier passiert, sehr zufrieden sein.

    Appel: Vielen Dank für den Besuch.

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    Link: Interview als RealAudio