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Vor 400 Jahren
Der britische Mediziner Harvey entdeckt den Blutkreislauf

Es war eine der größten Revolutionen der Medizingeschichte: Vor 400 Jahren präsentierte der britische Mediziner William Harvey seine Forschungen über den Blutkreislauf vor dem Britischen Ärzteverband. Bis dahin hatte man geglaubt, dass Blut aus verdautem Essen in der Leber gebildet werde. Harvey konnte diese Theorie erstmals mit wissenschaftlichen Experimenten widerlegen.

Von Irene Meichsner | 17.04.2016
    Zeitgenössischer Stich des englischen Arztes und Anatoms William Harvey. Harvey der Arzt in London und von 1618-1647 königlicher Leibarzt war, entdeckte den großen Blutkreislauf. William Harvey wurde am 1. April 1578 in Folkestone (Kent) geboren und starb am 3. Juni 1657 in Hampstead
    Zeitgenössischer Stich des englischen Arztes und Anatoms William Harvey. (dpa/picture alliance)
    "An der Struktur des Herzens kann man erkennen, dass das Blut kontinuierlich durch die Lungen zur Aorta fließt. Von den Arterien geht das Blut in die Venen über. Daraus folgt, dass sich das Blut ständig im Kreise bewegt, was durch den Herzschlag herbeigeführt wird."
    London, 17. April 1616. Im Auditorium des britischen Ärzteverbands, des "College of Physicians" an der Paternoster Row, ganz in der Nähe von St. Paul‘s Cathedral, hält der Arzt William Harvey eine Vorlesung über den Aufbau des menschlichen Körpers. Mit seiner Theorie vom Kreislauf des Blutes vollzieht der 38-Jährige eine medizinische Revolution. Er widerspricht damit Galen, dem berühmten griechischen Mediziner, der im 2. Jahrhundert nach Christus die Behauptung aufgestellt hatte, das Blut werde in der Leber aus verdauter Nahrung ständig neu gebildet und die Aufgabe des Herzens bestehe im Wesentlichen darin, es mit "Lebensgeist" anzureichern. Dass sich diese Vorstellung fast 1500 Jahre lang halten konnte, lag nach Meinung des Kölner Medizinhistorikers Peter Moog auch an Galens "Wortgewalt".
    "Seine Meinungen hat er so rabiat, kann man wirklich sagen zum Teil, vorgetragen - dass er alles andere erstickt hat, und wenn Galen eben glaubte, dass dieses System, wie er dieses da entwickelt hat, so sei, dann nahm man das hin. Wobei man sagen musste: Dieses System hatte in sich auch eine gewisse Geschlossenheit."
    Medizinische Experimente nicht nur in der Theorie
    William Harvey war der erste Mediziner, der im modernen Sinne wissenschaftliche Forschung betrieb. Er hatte erst in Cambridge studiert, dann in Padua, an der berühmtesten medizinischen Fakultät der damaligen Zeit, wo er 1602 auch seinen Doktortitel erwarb – zur gleichen Zeit übrigens, als an dieser Universität auch Galileo Galilei lehrte. Ähnlich wie der große Mathematiker, Physiker und Astronom wollte Harvey nur noch überprüfbare Tatsachen gelten lassen, was ihm den "Lorbeer der Unsterblichkeit" eintragen sollte, wie es der 1979 verstorbene Medizinnobelpreisträger Werner Forßmann einmal etwas pathetisch formulierte.
    "Er beschrieb nicht nur seine Theorie, sondern er maß im sinnvoll aufgebauten Experiment - und rechnete."
    Ausgehend vom Herzvolumen und einem mittleren Pulsschlag von 60 bis 70 Schlägen, kam Harvey zu dem Ergebnis, dass das Herz in einer halben Stunde 30 Liter Blut befördert, wahrscheinlich noch weitaus mehr. Das wären mindestens 1500 Liter pro Tag. Dass solche Unmengen von Blut Tag für Tag aus der Nahrung gewonnen und vom Körper verbraucht werden könnten, war unvorstellbar.
    "Das bedeutet zwangsläufig, dass das Blut einen Kreislauf beschreibt und dorthin zurückkehrt, wo es seinen Ausgang genommen hat", schrieb Harvey 1628 in seinem Buch "De Motu Cordis et Sanguinis" - Über die Bewegung des Herzens und des Blutes". Galen zufolge floss das Blut durch winzige Poren in der Herzscheidewand. Harvey untersuchte Dutzende von verschiedenen Tieren, sezierte viele auch bei lebendigem Leibe. "Aber, beim Herkules! Keinerlei Poren lassen sich nachweisen, in Wahrheit gibt es sie nicht."
    Rätsel über helles und dunkles Blut
    Für einen Blut-Kreislauf sprachen nicht zuletzt die Venenklappen, die den Rücktransport des Blutes zum Herzen unterstützen - wie Harvey richtig erkannte. Das Echo der Zeitgenossen war gespalten. Einige klärten Harvey für "verrückt", aber andere stimmten ihm bald auch zu. Jedenfalls machte er Karriere - als königlicher Leibarzt, als Lehrbeauftragter, Vorsitzender und Schatzmeister des "College of Physicians". Nur ein Puzzlestein fehlte ihm noch: Harvey konnte sich nicht erklären, wie das helle arterielle zum dunklen venösen Blut wird.
    "Das war ihm als einem sehr soliden, analytisch genauen Forscher ein Stachel im Fleisch, dass er an einer entscheidenden Stelle seines Systems eine Lücke hatte. Und da war er offen und ehrlich und sagte: Hier ist eine Stelle in meinem System, die noch nicht geklärt ist."
    1661, vier Jahre nach Harveys Tod, entdeckte der Italiener Marcello Malpighi die zarten Kapillaren, die für den Austausch des arteriellen und venösen Bluts verantwortlich sind. 1688 sah der Niederländer Antoni van Leeuwenhoek zum ersten Mal unter einem Mikroskop, wie rote Blutkörperchen durch Kapillaren zirkulierten. Es war der endgültige Beweis für den Kreislauf des Blutes, von dem wir heute so selbstverständlich ausgehen, dass wir uns etwas anderes kaum noch vorstellen können.