
In Padua zumindest will man von der gruseligen Entdeckung der Erfurter Erziehungswissenschaftlerin Susanne Zeller nichts wissen. Touristen werden über den Leichenraub zumindest bis heute nicht aufgeklärt:
"Das Teatro Anatomico ist eines der großen Sehenswürdigkeiten in Padua. Bei den Führungen wird nicht auf diese ungeheuerliche Geschichte eingegangen, die sich an der medizinischen Fakultät dann zwei Jahrhunderte ungefähr zugetragen hat. Nach meinen Forschungserkenntnissen haben die Medizinstudenten ihre dringend benötigten Forschungsobjekte für die Anatomiestudien auf regelrechten Raubzügen oftmals einfach selbst besorgt und sich hierfür an der sozial ausgegrenzten Minderheit der Juden schadlos gehalten."
Dass in Padua jüdische Leichen geklaut wurden, und das zu Forschungszwecken, erstaunt Erziehungswissenschaftlerin Zeller umso mehr vor dem Hintergrund, dass in Norditalien die Situation für Juden verhältnismäßig entspannt war.
"Die liberale Kulturpolitik und Gesetzeslage hat möglich gemacht, dass die Juden dort studieren konnten, und auch Venedig ab 1405 hat erlaubt, dass jüdische Männer dort studieren können, allerdings nur Medizin."
Susanne Zeller lobt die für das Mittelalter bemerkenswerte Toleranz gegenüber Juden in Norditalien. Nicht wenige jüdische Studenten wurden später zugleich Ärzte und Rabbiner. Allerdings mussten Juden in Padua doppelt so hohe Studiengebühren bezahlen wie Christen. Gelang ihnen der Abschluss, sollten sie - anders als ihre christlichen Kommilitonen – gleich die ganze Fakultät zur Abschlussfeier einladen. Ein kostspieliges Unterfangen, das die ganze jüdische Gemeinde belastete. Wirtschaftliche Grundlage war für viele der Geldverleih. Doch da gab es seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts weitere Einschränkungen, vor allem seitens der Franziskaner.
Im 17. Jahrhundert wurde ein Getto errichtet
"Eigentliches Ziel war die Ausschaltung der Juden aus dem gesamten Wirtschaftsleben."
Nicht nur wirtschaftlich, auch räumlich wurden die Juden Paduas weiter bedrängt. Anfang des 17. Jahrhunderts mussten sie in ein eigens für sie eingerichtetes Getto ziehen. Und dort wurde es mit wachsender Bevölkerung immer enger. Damit nicht genug. Es kam noch schlimmer. Padua galt als Reformuniversität. Und die angehenden Ärzte sollten nicht nur medizinische Bücher lesen, sondern praktische Erfahrungen sammeln, im Teatro Anatomico. Das elliptisch konstruierte zwölf Meter hohe Amphitheater im Herzen der Fakultät bot Platz für rund 500 Zuschauer. Die Medizinstudenten studierten an echten Leichen, auch gegen den anfänglichen Widerstand der damals noch mächtigen Kirche. Susanne Zeller:
"Wenn der jeweilige Bischof oder der Klerus noch nicht einverstanden war mit Vivisektion, also das Öffnen von Tieren, das gab es schon und auch das heimliche Öffnen von Menschen gab es auch schon. Aber das offizielle, das an einer Universität zu lernen, da war der Klerus sehr ambivalent, dann hat man immer ein Tier auch auf der Bahre gehabt mit einem Kippmechanismus. Und wenn also ein Bischof oder einer von der Ordensgemeinschaft dieser Sektion beigewohnt hat, hat man ganz schnell die Leiche verschwinden lassen und hat ein Tier drauf gelegt."
Doppelt so hohe Studiengebühren für Juden
Woher aber menschliche Leichen nehmen? Hingerichtete oder Selbstmörder, die auf dem Schindanger landeten, reichten nicht aus. Also, so die Entdeckung von Susanne Zeller, musste man sich menschliche Körper gewaltsam besorgen, bevor sie verwesten. Nämlich bei denen, die in der Stadt die wenigsten Rechte besaßen: bei Juden. Die Toten der jüdischen Gemeinde wurden auf ihrem Weg zum Friedhof einfach geklaut. Die wenigen jüdischen Studenten konnten ihre mehrheitlich christlichen Kommilitonen kaum davon abhalten. Es muss immer wieder zu Tumulten gekommen sein.
"Um den Raubzügen zu entgehen, verlegte die jüdische Gemeinde Padua die Trauerzüge zunehmend auf die frühen Morgenstunden, an denen Studenten meist noch schliefen oder heute manchmal noch schlafen. Die Universitätsleitung verbot den Studenten diese Raubzüge und drohte den Rädelsführern dieses Unwesens mit Prügelstrafen und Strafgebühren. Die Studenten hielten sich aber nicht daran, denn sie wollten ihre Forschungsobjekte haben."
Eine ungeheuerliche Entdeckung. Nun will Susanne Zeller weiter forschen und darüber publizieren. Auch, ob diese schreckliche Praxis im alten Padua einzigartig war, oder ob es auch in anderen Universitäten üblich war, jüdische Leichen für die Wissenschaft zu rauben.