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Vor 475 Jahren
Die Eroberung der Amazonas-Mündung

Die Erforschung des Amazonas gilt als eine der großen Entdeckungsreisen: Nach achtmonatiger Irrfahrt über das weitläufige Flussgebiet erreichte der spanische Eroberer Francisco de Orellana am 26. August 1542 die Atlantikmündung. Gesucht hatte er etwas anderes.

Von Julia Macher | 26.08.2017
    Luftbild, Flusslandschaft, kleine Inseln im Fluss Rio Tapajos im Amazonas-Regenwald, geplanter Staudamm Sao Luiz do Tapajos, Distrikt Itaituba, Bundesstaat Parß, Brasilien, Südamerika Copyright: imageBROKER/FlorianxKopp ibxflk04349919.jpg Luftbild River landscape small Islands in River Rio Tapajos in Amazon Rain forest planned Dam Sao Luiz Do Tapajos District Itaituba Federal state Parß Brazil South America Copyright image broker FlorianxKopp ibxflk04349919 JPG
    Der Rio Tapajós, ein Nebenfluss des Amazonas (imago stock&people)
    Als Francisco de Orellana am 26. August 1542 endlich am Atlantik ankommt, fällt die Besatzung dankbar auf die Knie - und flickt Segel. Die Irrfahrt über den Amazonas hat nicht nur die Mannschaft an den Rand ihrer Kräfte geführt, sondern auch den beiden Schiffen arg zugesetzt. In acht Monaten hatten die Spanier den längsten und wasserreichsten Strom der Erde befahren. Dabei wollten sie eigentlich nur das legendäre Zimtland finden. Das Gewürz galt als eines der wertvollsten der Erde.
    Für die Expedition hatte Gonzalo Pizarro, der Gouverneur von Quito, 200 spanische Konquistadoren um sich geschart. Auch sein kleiner Cousin Francisco de Orellana verpflichtete sich. Er war, gerade 16 Jahre alt, im Gefolge der Pizarros in die Neue Welt gefahren, hatte mit ihnen das Inkareich erobert, gegen den verfeindeten Almagros-Clan gekämpft und suchte jetzt nach einer neuen Aufgabe. Juan de Marchena, Experte für die Geschichte der Eroberer an der Universität Sevilla:
    "Während es den älteren aus dem Clan der Pizarros und der Almagros um die Conquista, die Eroberung des Gebiets ging, suchte die zweite Generation eher nach Geschäftsmöglichkeiten, nach Reichtümern. Auch Orellana sieht darin seine große Chance. Und die vermutet er im Zimtland, das sich irgendwo flussabwärts, im Osten befinden muss."
    Suppen aus Schuhsohlen gekocht
    Im Februar 1541 bricht Pizarro von Quito auf, begleitet von Hunderten indianischen Trägern. Sein Cousin stößt im Cocatal dazu. Der Abstieg aus dem Andenhochland hat die Männer geschwächt, die erpressten Auskünfte der Indios sind vage. Als sie nach wochenlangem Herumirren an einen großen Fluss kommen, lässt Pizarro ein Segelschiff bauen und fährt flussabwärts. Nach 40 Tagen sind alle Lebensmittel, samt der mitgebrachten 200 Schweine, aufgezehrt. Während Pizarro am Ufer das Hauptlager aufschlägt, soll Orellana nach Proviant suchen. Der mit ihm reisende Dominikanermönch Gaspar de Carvajal vermerkt in seiner Chronik:
    "Kapitän Orellana nahm 57 Männer mit und fuhr flussabwärts, mit der Absicht zurückzukehren, wenn wir Essen fänden. Als wir am zweiten Tag ein Leck in unserem Boot reparierten, riss uns die Strömung 25 Meilen fort. Drei Tage fuhren wir, ohne auf ein Dorf zu stoßen."
    Wochenlang segelt die San Pedro durch dichten Wald. Die Männer kochen aus Schuhsohlen und Urwaldkräutern dünne Suppen, ab und zu finden sich Papageien und Fische auf ihrem Speiseplan. Erst im Januar 1542 treffen sie auf ein Dorf mit ausreichend Lebensmitteln für sich und die Zurückgebliebenen. Doch Orellana hält eine Rückkehr zum Hauptlager für ausgeschlossen. Um nicht als Verräter zu gelten, legt er vor dem mitgereisten Notar die Gründe dar und beschließt mit einem zweiten, neu gebauten Boot flussabwärts Richtung Atlantik zu segeln. Dass dazwischen 6000 Kilometer liegen, ahnen die Spanier nicht. Juan de Marchena legt dar:
    "Technisch war die Reise einfach, die Expedition fuhr ja einfach mit dem Boot flussabwärts. Zur eigentlichen Herausforderung wurde die Begegnung mit den riesigen, starken, indigenen Gesellschaften, deren Geschichte Linguisten, Historiker, Archäologen bis heute beschäftigt."
    Orientierungslosigkeit durch Gezeiten
    Am Río Trinidad staunen die Spanier über die gewaltigen Städte dieser Zivilisationen und bewundern kunstvolle Keramik- und Glasarbeiten. Am Río Negro werden sie von Kriegerinnen attackiert. Fray Gaspar de Carvajals Bericht über die Amazonenbeflügelt noch lange Zeit die Fantasie der Europäer:
    "Sie sind hellhäutig, groß und tragen das lange Haar geflochten um den Kopf gewickelt. Jede von ihnen kämpft so viel wie zehn Indios, sie beschossen unsere Segelschiffe, sodass diese danach wie Stachelschweine aussahen. Der Indianer Coynyco erzählte uns, dass es in der Stadt der Königin Conori fünf herrlich geschmückte, der Sonne gewidmete Häuser gäbe. Wenn die Sonne untergehe, dürfe kein Mann mehr in ihren Siedlungen sein."
    Im 190 Kilometer breiten Amazonasbecken machen den Spaniern die Gezeiten zu schaffen. Immer drohen sie wieder die Orientierung zu verlieren.
    Am Ende der Reise muss sich Francisco de Orellana vor Gericht verantworten. Pizarro hat seinen Cousin des Verrats angeklagt. Orellana wird freigesprochen, doch besiedeln wird er das ihm als "Entdecker" übertragene Gebiet nicht. Seine zweite Amazonas-Expedition scheitert an Geldmangel und chaotischer Planung. Im November 1546 stirbt Francisco de Orellana an Sumpffieber. Sein Leichnam ruht irgendwo am Rande des Amazonas.