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Vor 50 Jahren
Erst die zweite Verfassung der DDR war sozialistisch

1968 bekam die DDR eine neue Verfassung, die zweite seit der Staatsgründung 1949. Mit Werbung und einer Volksabstimmung wollte sich die SED die nötige Zustimmung besorgen. Denn anders als 1949 wurden nun der Sozialismus und die führende Rolle der SED in der Verfassung verankert.

Von Winfried Sträter | 09.04.2018
    Der Erste Sekretär des Zentralkomitees der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) und Vorsitzender des Staatsrats der DDR, Walter Ulbricht, am 15. Februar 1968 im Ost-Berliner Friedrichstadt-Palast. Als Vorsitzender der Verfassungskommission besuchte er die Großveranstaltung der Werktätigen Berlins zur neuen sozialistischen Verfassung der DDR.
    Walter Ulbricht auf einer Großveranstaltung in Ost-Berlin zur neuen sozialistischen Verfassung der DDR. (picture alliance / dpa / ADN)
    "Der Volksentscheid des Staatsvolkes unserer Deutschen Demokratischen Republik ergab folgendes Ergebnis: Ja-Stimmen: 94,54 Prozent der Stimmberechtigten."
    Heinrich Homann, der Vorsitzende der staatlichen Wahlkommission, verkündet das Ergebnis.
    "Es ist ein neuer schöner Beweis des Eins-Seins von Volk und Staat."
    Eigentlich hatte die DDR eine Verfassung, seit 1949. Doch damals war noch nicht klar, ob die DDR überhaupt eine Zukunft hatte.
    "Also die 49er-Verfassung lief ja explizit noch unter der Erwartung, dass es auch demnächst eine Wiedervereinigung geben wird", sagt Christoph Kleßmann, einer der einflussreichsten Historiker der deutsch-deutschen Geschichte und langjähriger Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam. In den 60er-Jahren hatten sich die Verhältnisse jedoch geklärt, nachdem die SED die letzte Lücke in ihrem Herrschaftsbereich geschlossen hatte.
    Walter Ulbricht: "Über die Mauer gibt's nichts mehr zu diskutieren."
    Nun konnte Walter Ulbrichts SED relativ ungestört den Staat nach ihrem Bilde formen.
    "Auf dem Boden der Deutschen Demokratischen Republik haben die geeinte Arbeiterklasse und ihre marxistisch-leninistische Partei die Führung der Gesellschaft übernommen. Dieses Ergebnis der geschichtlichen Entwicklung wird im Artikel 1 unseres Verfassungsentwurfs staatsrechtlich fixiert", verkündete Friedrich Ebert, Sohn des ersten Präsidenten der Weimarer Republik, 1968 in der Volkskammer.
    Demokratie als Definitionsfrage
    Christoph Kleßmann: "Artikel Eins der 68er-Verfassung lautet: 'Die Deutsche Demokratische Republik ist ein sozialistischer Staat deutscher Nation. Sie ist die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen.' Das ist der zentrale Einstieg in die neue Verfassung, aber auch in die neue Verfassungswirklichkeit."
    1968 traute sich die SED, ihr Machtmonopol in der Verfassung zu verankern.
    Walter Ulbricht: "Unsere Verfassung wird die demokratischste Verfassung sein, die es jemals in Deutschland gegeben hat."
    Das war eine Definitionsfrage: Man musste nur der Annahme folgen, dass die SED die Verkörperung des Volkswillens war. Aber – die DDR-Verfassung von 1968 enthielt auch Elemente einer bürgerlichen Demokratie.
    "Die Redefreiheit, die Versammlungsfreiheit, den Schutz vor Verhaftung und allem möglichen, die religiöse Freiheit wird noch mal in einem extra Paragrafen auch erwähnt, was man erwartet von der Verfassung als Schutz, ist dort drin", so Christoph Kleßmann. Aber: "Da ist das Hauptproblem, dass es eigentlich keine unabhängige Justiz gab, gegenüber der man auch im Zweifelsfalle Rechte einklagen konnte."
    In der DDR kritisierte der kommunistische Regimekritiker Robert Havemann:
    "Das ist kein Sozialismus, wenn die ungeheure Mehrheit der Menschen vollständig ausgeliefert ist den Entscheidungen einer kleinen, winzigen Gruppe."
    Der Weg in die kommunistische Verfassung
    Eine Verfassung gibt den Bürgern Rechte, die sie auch gegen den Willen der Herrschenden im Staat einklagen können: So kennen wir das aus dem Grundgesetz. Die DDR-Verfassung hingegen hatte ein anderes – erzieherisches Ziel.
    "Kann eine Verfassung Menschen formen?" lautete der Titel einer Radiodiskussion 1968:
    "Da wir in unserem Staat die Macht besitzen, machen wir die Verfassung, und die Verfassung, die wir geschaffen haben, wirkt natürlich auch in erzieherischem Sinne formend in diesem Sinne auf unsere Menschen zurück."
    Christoph Kleßmann:
    "Ja, das ist natürlich ein zentrales Stück der kommunistischen Utopie, dass man den Menschen so umbauen kann, dass er die wesentlichen Elemente der kommunistischen Ideologie dann auch wirklich aus eigener Motivation praktiziert und sich nicht nur von oben aufoktroyieren lässt - dass man auf dem Marsch zum Kommunismus ist."
    In einer Hinsicht war die DDR-Verfassung, die am 9. April 1968 in Kraft trat, noch nicht entschieden: Die DDR war noch "ein sozialistischer Staat deutscher Nation".
    1974 wurde die Verfassung wieder geändert, der Bezug zur deutschen Nation verschwand. Stattdessen war die DDR nun, Zitat: "für immer und unwiderruflich mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken verbündet".