Freitag, 29. März 2024

Archiv

Vor 50 Jahren
Gewaltsame Befreiung von Andreas Baader durch die RAF

Die Rote Armee Fraktion verstand sich als antiimperialistische Stadtguerilla. Auf ihr Konto gingen mehr als 30 Morde, dazu Entführungen und Raubüberfälle. Am Anfang des RAF-Terrors stand die gewaltsame Befreiung des Strafgefangenen Andreas Baader am 14. Mai 1970 in Berlin.

Von Wolfgang Stenke | 14.05.2020
    Andreas Baader und Gudrun Ensslin bei der Eröffnung des Kaufhausbrandstifter-Prozesses am 14. Oktober 1968 in Frankfurt am Main
    Kern der ersten Generation der RAF: Andreas Baader und Gudrun Ensslin beim Frankfurter Kaufhausbrandstifter-Prozesses im Oktober 1968 (AP)
    "Mit Waffengewalt haben heute mehrere maskierte Männer und Frauen den Frankfurter Kaufhausbrandstifter Andreas Baader aus der Haft befreit und entführt."
    Mit dieser Nachricht beginnt die Geschichte der sogenannten Rote Armee Fraktion, kurz RAF.
    "Der offenbar sorgfältig geplante Überfall erfolgte gegen Mittag im Bibliotheksraum des Zentralinstituts für soziale Fragen im Villenbezirk Berlin-Dahlem."
    Kern der ersten RAF-Generation
    Ein Angestellter des Instituts wurde durch Schüsse lebensgefährlich verletzt. Insgesamt waren an dieser Aktion sieben Personen beteiligt - darunter die Journalistin Ulrike Meinhof. Für Vorbereitung und Flucht sorgten Baaders Gefährtin Gudrun Ensslin, der Rechtsanwalt Horst Mahler und Astrid Proll.
    Damit war der Kern der ersten Generation der RAF beisammen. Man kannte sich aus Zirkeln der allmählich zerfallenden 68er Protestbewegung, die geprägt war von der Entrüstung über den amerikanischen Krieg in Vietnam: eine selbst ernannte antiimperialistische Avantgarde, die vom Protest zur revolutionären Aktion gegen die Staatsgewalt schreiten wollte. In einem Aufruf, der nach der Gefangenenbefreiung dem "Spiegel" zugespielt wurde, hieß es:
    "Und natürlich kann geschossen werden"
    "Der Typ in der Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch (…) Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden, (…) und natürlich kann geschossen werden."
    Schon im April 1968 hatten Baader und Ensslin mit einem Brandanschlag auf zwei Frankfurter Kaufhäuser ein Zeichen setzen wollen. Sie wurden deshalb 1969 zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Im Zuge einer Revision kamen sie vorläufig frei und tauchten unter. Nach dem Hinweis eines V-Mannes wurde Andreas Baader erneut verhaftet.
    Haus in der Miquelstraße 83 in Berlin-Dahlem - ehemalige Adresse des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen und Schauplatz der gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader am 14. Mai 1970
    Haus in der Miquelstraße 83 in Berlin-Dahlem - Schauplatz der gewaltsamen Befreiung von Andreas Baader 14. Mai 1970 (www.imago-images.de)
    Recherchen zu einem Buchprojekt über "randständige Jugendliche", das er gemeinsam mit Ulrike Meinhof realisieren wollte, lieferten den Vorwand zu seiner "Ausführung" aus dem Gefängnis Tegel in das "Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen". Dort traf Baader mit Meinhof zusammen. Und eben dort drangen, wie geplant, an diesem 14. Mai 1970 drei Personen ein, um ihn zu befreien. Es kam zur Schießerei mit zwei Justizwachtmeistern. Das Kommando flüchtete mit Baader und Meinhof und tauchte in Berlin unter. Via Ost-Berlin setzte man sich später nach Jordanien ab - in ein Camp der Al Fatah. Zitat aus dem Manifest der Roten Armee Fraktion:
    "Zu lernen haben wir von den revolutionären Bewegungen der 3. Welt (…): vom Vietcong, von der Palästinensischen Befreiungsfront, von den Tupamaros (…) et cetera."
    Baader nach der Befreiung RAF-Anführer
    Andreas Baader, diese schillernde Figur - halb Dandy, halb Macho - warf sich während der militärischen Ausbildung im Palästinenserlager zum Führer der RAF auf. Nach der Rückkehr im August 1970 setzte die Gruppe das Gelernte bei Attentaten und Banküberfällen um. 1972 wurde Baader zusammen mit Jan-Carl Raspe und Holger Meins in Frankfurt gefasst.
    "Kommen Sie raus! Kommen Sie raus!" (Schuss, Rufe, Schmerzensschrei, Stimmengewirr) - "Der ist verletzt." - "Ich fordere Sie nochmals auf, kommen Sie heraus, Sie haben keine Chance mehr."
    Vor Gericht in Stuttgart-Stammheim
    Ab Mai 1975 stand die Führung der ersten Generation der RAF in Stuttgart-Stammheim vor Gericht. Aus dem Gefängnis steuerte sie mit Hilfe einiger ihrer Anwälte die Hungerstreikaktionen inhaftierter Gesinnungsgenossen und gab der zweiten Generation der RAF, die draußen den blutigen Kampf fortführte, Direktiven. Im Strafprozess sahen die Terroristen nichts als Klassenjustiz. Der Staat reagierte mit Verschärfung des Strafrechts.
    Dazu Andreas Baader: "Eure juristischen Kategorisierungen sind nur kodifizierter Ausdruck realer Machtverhältnisse."
    Deutscher Herbst als Anfang vom Ende
    Meinhof erhängte sich noch während des Verfahrens im Stammheimer Gefängnis. Baader, Ensslin und Raspe wurden im April 1977 wegen vierfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Als der Versuch scheiterte, die Gefangenen durch die Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut freizupressen, nahmen sie sich in der Nacht zum 18. Oktober 1977 das Leben. Daraufhin ermordeten Mitglieder der RAF den entführten Wirtschaftsfunktionär Schleyer. Erst mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Deutschen Herbst gaben ihre Nachfolger das Scheitern des umstürzlerischen Projektes zu und lösten die Rote Armee Fraktion auf.