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Vor 60 Jahren
Das erste Treffen zwischen Adenauer und de Gaulle

Die deutsch-französische Nachbarschaft war über Jahrhunderte feindselig. Alte Gegensätze überwinden - das war eine der größten Herausforderungen für Bundeskanzler Konrad Adenauer, als er am 14. September 1958 den französischen Regierungschef Charles de Gaulle besuchte.

Von Winfried Sträter | 14.09.2018
    West German chancellor Konrad Adenauer (L) and French president Charles de Gaulle (C) shake hands in front of "la Boisserie", de Gaulle's home, in Colombey-les-Deux-Eglises on September 14, 1958 during their first meeting. AFP PHOTO / AFP PHOTO / INTERCONTINENTALE / -
    Auf de Gaulles abgelegenem Landsitz fand das erste Treffen mit Adenauer statt (AFP)
    Sie trafen sich am 14. September 1958 in einem kleinen Dorf im Nordosten Frankreichs, in Colombey-les-Deux-Églises, auf de Gaulles abgelegenem Landsitz. Adenauer war auf dem Rückweg nach Bonn, von einem Urlaub am Lago di Como. "Auf der Hinfahrt war der Empfang durch die Bevölkerung überall außerordentlich herzlich", sagte Adenauer.
    Das waren freundliche Worte. Adenauer suchte die deutsch-französische Freundschaft, in de Gaulle aber fand er einen schwierigen Gesprächspartner: den Helden der Résistance, der nicht nur Deutschland reserviert gegenüber stand, sondern auch der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG. Während für Adenauer die EWG überaus wichtig war, für die Integration Westdeutschlands in das westliche Europa. Aber Adenauer kam um de Gaulle nicht herum: der General und Europaskeptiker hatte die Macht in Frankreich an sich gerissen.
    Charles de Gaulle: "Vive la République! Vive la France!" Wenige Tage vor dem Adenauer-Besuch hatte de Gaulle auf einer patriotischen Massenkundgebung seine Kampagne für eine neue Verfassung, für die 5. Republik, gestartet.
    13 Jahre nach Kriegsende
    Immerhin - dass de Gaulle in diesen Tagen den deutschen Bundeskanzler zwei Tage lang auf seinem privaten Landsitz empfing, konnte Adenauer als Zeichen persönlicher Wertschätzung verbuchen. Andererseits ließ de Gaulles Gattin den Kanzler spüren, dass er kein willkommener Gast war - für ihn kam nur das Alltagsgeschirr auf den Tisch. Es war kein Wunder, sagte Adenauer nach dem Gespräch, "dass in dieser Besprechung unter vier Augen sehr spezielle Themen gar nicht berührt worden sind," weil sich die Vertreter der beiden Länder, die 13 Jahre zuvor noch Krieg gegeneinander geführt hatten, erst mal kennenlernen mussten.
    Adenauer: "Wir haben uns ausgesprochen über die geistige Grundlage, wie sie zur Zeit im deutschen Volke besteht und wie sie im französischen Volke besteht."
    Darin bestand die hohe diplomatische Kunst der beiden Herren (die unter sechs Augen miteinander redeten, ein Dolmetscher war auch dabei): vorsichtig zu erkunden, wie der andere dachte. Adenauer: "Ministerpräsident de Gaulle hat mit voller Klarheit darauf hingewiesen, dass Frankreich bis vor diesen Jahren immer in der Furcht gewesen sei, eines Tages von Deutschland angegriffen zu werden, aber das sei alles nun vorüber, sei alles vorbei ..."
    ... alles vorbei? Haben sie sich wirklich so gut verstanden? Für de Gaulle hatte Deutschland sein internationales Ansehen verspielt, also sah er Frankreich als Primus in einer deutsch-französischen Partnerschaft. Für Adenauer war die dunkle Vergangenheit überwunden, sie sollte keine Rolle mehr spielen: "Und Frankreich und Deutschland könnten sich deswegen gemeinsam und freundschaftlich den größeren Aufgaben widmen in Europa und in der Welt."
    Gegensätzliche Sichtweisen
    Kurios ist, wie unterschiedlich die beiden in ihren Memoiren über die Gespräche berichten. Adenauer meint gehört zu haben, dass de Gaulle über die Probleme des französischen Nationalismus geredet habe; de Gaulle erinnert sich, dass man über die Problematik des deutschen Nationalismus geredet habe. Als hätten die beiden alten Herren nicht nur aneinander vorbeigeredet, sondern nicht einmal zugehört, was der andere sagt.
    Scheinbar. In Wirklichkeit werden sie genau wahrgenommen haben, wie gegensätzlich die Sichtweisen der beiden waren. Die Differenzen nicht hervorzukehren war ein Gebot der Diplomatie. Erst im Nachhinein, in den Memoiren, konnte es nicht schaden, wenn man seine eigene Sicht hervorkehrte, als Rechtfertigung vor der eigenen Bevölkerung.
    Beide verstanden die Regeln diplomatischer Kunst, um die Annäherung der ehemals verfeindeten Nachbarn auf den Weg zu bringen und die Gespenster der Vergangenheit zu vertreiben. De Gaulle: "Monsieur le chancelier fédérale, vous êtes en France le très bienvenu!"
    Als de Gaulle Adenauer 1962 in Frankreich empfing, war es ein Staatsbesuch, dem wenig später sein Staatsbesuch am Rhein folgte und 1963 der deutsch-französische Freundschaftsvertrag. Charles de Gaulle: "Es lebe die deutsch- französische Freundschaft!"