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Vor 60 Jahren
Start der Krimi-Serie "Blaulicht" in der DDR

Die erste westdeutsche Kriminalfilmserie "Stahlnetz" war auch in der DDR zu empfangen. Die ostdeutschen Programm-Macher mussten einen ähnlichen "Straßenfeger" bringen, wollte man nicht die eigenen Zuschauer ans "Westfernsehen" verlieren.

Von Hartmut Goege | 20.08.2019
    Absperrposten der Deutschen Volkspolizei kurz vor der Sprengung der Paulinerkirche am 30. Mai 1968 in Leipzig. Im Hintergrund der Turm der Nikolaikirche. Neben der Paulinerkirche wurde auch das Augusteum einschließlich Johanneum und Albertinum der Universität Leipzig, von 1953 bis Februar 1991 Karl-Marx-Universität Leipzig, gesprengt. Die Universität Leipzig (Alma mater lipsiensis) feiert 2009 ihr 600-jähriges Bestehen. Foto: Universität Leipzig +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
    DDR-Polizisten im Einsatz 1968: In der TV-Serie sollte die Volkspolizei möglichst positiv dargestellt werden (Picture Alliance / dpa / Universität Leipzig)
    "Die Sektorengrenze! Sie alle wissen, welche unheilvolle Bedeutung für unsere Arbeit diese harmlose, schwarze Linie hat. Sie geht mitten durch Straßenzüge, Häuserblocks, Kanalisationsanlagen."
    "Sie teilt sogar unsere gute alte Spree in zwei Hälften."
    Ostberlin 1959. Lagebesprechung im Kommissariat der Volks-Polizei mit den Offizieren Wernicke, Thomas und Timm. Als das Trio am 20. August 1959 im DDR-Fernsehen erstmals seine Ermittlungen aufnahm, war Berlin eine Vier-Sektoren-Stadt mit noch offener Grenze.
    "Das Schlimmste aber ist: Diese Grenze ist geradezu zu einem Tummelplatz für Verbrecher aller Art geworden. Einbrecher, Schieber, Agenten, Betrüger. Sie alle benutzen diese Grenze, ich möchte sagen, als Wildwechsel."
    Enge Grenzen bei den Storys
    Ein Jahr zuvor war die erste deutsche Krimiserie, die ARD-Reihe "Stahlnetz", erfolgreich auf Sendung gegangen. Die Serie, die auf wahren Kriminalfällen basierte, wurde auch in Ostdeutschland empfangen. Das brachte die DDR-Oberen in Zugzwang, einen ähnlichen "Straßenfeger" im Arbeiter-und Bauern-Staat anzubieten, wollte man nicht Zuschauer an den "Klassenfeind" verlieren.
    Doch anders als "Stahlnetz", das Kapitalverbrechen wie Mord und Bankraub thematisierte, ging es bei "Blaulicht" um Betrug, Diebstahl von "Volkseigentum" und andere kriminelle Aktivitäten, die die DDR als Staat zu sabotieren drohten:
    "Das Auftreten von organisierten Banden, die durch Mittelsmänner besonders wertvolle Produkte unserer Industrie aufkaufen lassen, nimmt immer mehr zu."
    "Neuerdings versuchen sie es mit alten Mütterchen, Rentnern und jungen Burschen. Eine 72 Jahre alte Rentnerin haben wir vor ein paar Tagen festnehmen müssen."
    "Aus der Arbeit der Volkspolizei" hieß es denn im Untertitel. Echte, aktenkundige Fälle, die der ehemalige Gerichtsreporter Günther Prodöhl für die Serie bearbeitet hatte: alle waren ausnahmslos grenzüberschreitend, ihre Wurzeln lagen natürlich in West-Berlin. Schließlich sollten Verbrechen im Sozialismus überwunden sein, sie passten nicht in das offizielle Gesellschaftsbild.
    So waren "Blaulicht"-Regisseuren wie Manfred Mosblech enge Grenzen gesetzt:
    "Da geht´s ja erst mal los: wenn du das schreibst, oder wenn du das machst, sagst, das kannst du nicht schreiben, das kriegst du nicht durch. Oder aber du sagst dir: Du kriegst das durch, wenn du einen Gegenpart schreibst. Du kannst diesen Satz sagen oder du kannst die Figur so und so handeln lassen, wenn du einen dagegensetzt, der das Gegenteil beweist."
    Kontrolle durch das Innenministerium
    Gleichzeitig durften sich die DDR-Zuschauer sowohl von der Unfähigkeit der Westberliner Polizei, als auch von der Überlegenheit der Volkspolizei überzeugen lassen, wenn etwa Betrüger aus dem Westen erst im Ostteil überführt werden konnten. Dabei mussten die Kriminalbeamten immer als hundertprozentiges Vorbild ideologisch einwandfrei arbeiten.
    Mitarbeiter des Innenministeriums kontrollierten die Dreharbeiten mit sogenannten Fachberatern wie Kurt Großkopf. Er musste auch darauf achten, dass die TV-Ermittler keinem Laster frönten:
    Kurt Großkopf: "Wir haben zwar alle gequalmt, aber es war nicht erwünscht, dass wir dort rauchende Kriminalisten sehen. Es wurde natürlich darauf geachtet, dass die Kriminalisten auch entsprechend angezogen sind, so wie wir also auch korrekt angezogen waren in der operativen Arbeit."
    Mit dem Bau der Mauer 1961 aber standen die Macher vor einem Dilemma. Kamen bisher die Täter aus dem kapitalistischen Westen, so standen sie nun vor einer geschlossenen Grenze, konnten im Osten also keine Straftaten mehr begehen.
    Die Autoren mussten sich gezwungenermaßen auf DDR-spezifische Delikte konzentrieren. Und das war heikel. Denn natürlich gab es Täter-Tabus: Hierzu zählten Leitungskader, Parteifunktionäre, Volkspolizisten, Staatsanwälte, Ärzte, Lehrer und natürlich Arbeiter.
    Regisseur Manfred Mosblech: "Im Grunde genommen sollte man immer versuchen die Arbeiterklasse rauszuhalten. Also das waren so die Edlen, die Guten, aber unter den Edlen und Guten gab es ja auch immer mal ein schwarzes Schaf, das wurde dann auch in der Führung und in der Erzählweise als die Ausnahme erzählt."
    Obwohl "Blaulicht" bei den Zuschauern ankam, blieb den politisch Verantwortlichen die ständige Sorge, dass die Krimi-Serie das Ansehen der DDR und seiner Bürger schädigen könnte. Was Machart und Spannung betraf, konnte "Blaulicht" mit "Stahlnetz" konkurrieren. Als aber Anfang 1968 die westdeutsche Konkurrenz-Serie eingestellt wurde, nahmen ein halbes Jahr später auch die DDR-Fernsehverantwortlichen nach 29 Folgen "Blaulicht" aus dem Programm.