Archiv

Vor 70 Jahren
Als Anna Seghers aus dem Exil nach Berlin zurückkehrte

Werke wie "Transit" und "Das siebte Kreuz" bescherten der deutschen Schriftstellerin Anna Seghers Weltruhm. Als Jüdin und überzeugte Kommunistin ging sie 1933 ins Exil nach Mexiko. Nach Kriegsende folgte sie dem Ruf der Kommunistischen Partei und kehrte am 22. April 1947 nach Berlin zurück - um ein antifaschistisches Deutschland mitaufzubauen.

Von Regina Kusch |
    Anna Seghers hält am 2. November 1966 in Ost-Berlin die Eröffnungsrede zur Frühjahrstagung des Schriftstellerverbandes der DDR, dem sie als Präsidentin vorsteht.
    Anna Seghers hält am 2. November 1966 in Ost-Berlin die Eröffnungsrede zur Frühjahrstagung des Schriftstellerverbandes der DDR, dem sie als Präsidentin vorsteht. (picture alliance/dpa - ZB)
    "Vor allem schreibe ich, weil ich das Bedürfnis habe zu schreiben, von Kindheit an das Bedürfnis zu schreiben."
    Anna Seghers plädierte in ihrem Werk immer leidenschaftlich für Humanität und mehr soziale Gerechtigkeit. Die 1900 in Mainz als Netty Reilling geborene jüdische Schriftstellerin war mit 28 Jahren der KPD beigetreten und hatte in Berlin den "Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller" mitgegründet, so die Literaturwissenschaftlerin Irmela von der Lühe.
    "Sie wird die Stimme dessen, was man dann später den sozialistischen Realismus genannt hat, zumindest einer ‚littérature engagée‘ im Sinne der Veränderung der Gesellschaft … und für Aufhebung des sozialen Elends."
    1933 wurden Seghers Bücher verboten
    Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurden ihre Bücher verboten. Anna Seghers floh zunächst nach Frankreich und emigrierte 1941 mit ihrer Familie nach Mexiko. Die Erfahrungen ihrer Reise ins Exil verarbeitete sie in ihrem Buch "Transit". Weltberühmt wurde sie durch ihren Roman "Das siebte Kreuz", der 1942 auf Deutsch und Englisch erschien und mit Spencer Tracy in den USA verfilmt wurde. Er beschreibt die Geschichte eines Häftlings, dem die Flucht aus einem Konzentrationslager gelingt.
    "Da liegt das Besondere des Romans: Er schafft es, weil ihm geholfen wird. Von wem wird ihm geholfen? Nicht von expliziten kommunistischen Widerstandskämpfern. Nicht von überzeugten Antifaschisten, sondern von Menschen, die ihren Sinn für Hilfe, Nächstenliebe, für die Menschlichkeit noch nicht verloren haben. Und das ist die Botschaft."
    Nach dem Krieg folgte Anna Seghers sofort der Einladung der Kommunistischen Partei in der Sowjetischen Besatzungszone, die Exil-Autoren zur Heimkehr aufrief, um beim Aufbau eines antifaschistischen Deutschlands zu helfen. Obwohl sie sich in Mexiko sehr wohl gefühlt hatte, ging Anna Seghers am 22. April 1947 wieder zurück nach Berlin.
    "Es gab eine Lebensaufgabe und die hieß Kunst und Politik. Aus der Vergangenheit lernen und eine Gesellschaft aufbauen helfen, die diese schrecklichen Fehler aus der Vergangenheit nicht mehr machen würde."
    "Was aber geschrieben wird über den Aufbau, das wirkt zurück auf den Leser"
    Zunächst zog Anna Seghers in den westlichen Stadtteil Zehlendorf, wurde aber von der Partei gedrängt, im Ostteil zu leben. Doch wohlfühlte sie sich dort nicht. Sie vermisste die familiäre Wärme, die sie stets in der Partei gesucht hatte. Getrennt von ihrem Mann und den Kindern, die nicht nach Ost-Berlin mitgekommen waren, stürzte sie sich in ihre Arbeit als Vorsitzende des Schriftstellerverbandes der DDR und wurde nicht müde, die Bedeutung der Literatur für den Aufbau des Sozialismus hervorzuheben.
    "Was aber geschrieben wird über den Aufbau, das wirkt zurück auf den Leser. Ja, es wirkt dann wieder zurück auf die Wirklichkeit, wirkt auf den ganzen Aufbau, sogar manchmal auf Freundschaften und auf Liebe, auf die Arbeit, auf das Denken und Fühlen der Menschen, die das Geschriebene lesen."
    Weil die Partei die Literatur für sich in Dienst nehmen wollte, wurde die künstlerische Freiheit immer wieder reglementiert. Anna Seghers musste 1957 erleben, wie ihr enger Freund, der Verleger Walter Janka, in einem Schauprozess wegen konterrevolutionärer Verschwörung zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Und dennoch schwieg sie. Oft wurde ihr vorgeworfen, dass sie ihren Einfluss als hochdekorierte Persönlichkeit in der DDR nicht genutzt hätte.
    "Es gibt eine Erklärung, die mir einleuchtet: Sie ist davon ausgegangen, dass, wenn sie hinter den Kulissen etwas versucht, sie mehr Erfolg hat, als wenn sie öffentlich auftritt."
    Seghers wurde als Ikone des DDR-Literaturbetriebs gefeiert
    Während ihre innere Einstellung zur SED immer ambivalenter wurde, schwieg sie in der Öffentlichkeit bis zu ihrem Tod 1983 - und wurde als Ikone des DDR-Literaturbetriebs gefeiert. In ihren Lesungen trug Anna Seghers oft eine Passage aus dem "Siebten Kreuz" vor, in der sie den am Kreuz ermordeten KZ-Häftling Waller seine Haltung schildern lässt.
    "Bekennen Sie sich auch heute noch zu ihren alten Ideen? Das hätte man mich gestern fragen sollen. Heute kann ich nicht mehr antworten. Gestern hätte ich ‚ja’ rufen müssen. Heute darf ich schweigen. Heute antworten andere für mich. Die Lieder meines Volkes, das Urteil der Nachlebenden."