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Vor 70 Jahren
Citroën präsentiert die "Ente"

Als der französische Autohersteller Citroën vor 70 Jahren sein Modell 2CV in Paris präsentierte, erntete er Hohn und Spott: "Konservendose für vier Sardinen" hieß es in der Presse. Doch die Ente erlangte Kultstatus. In Deutschland avancierte sie bei den 68ern zum mobilen Ausdruck gegen das Establishment.

Von Hartmut Goege | 07.10.2018
    Ein gelber Citroën 2 CV, bekannt als Ente, steht neben einem Rapsfeld
    1990 stellte Citroen die Produktion der "Ente" ein (picture-alliance / dpa / Dieter Moebus)
    Die einen bezeichneten ihr Motorengeräusch als sanftes Knattern, andere als hohles Tuckern, meine Ente gab ein blechernes Blubbern von sich: Der legendäre luftgekühlte 2-Zylinder-Boxer-Motor des Citroën 2 CV, oder "Deux Chevaux", wie die Franzosen ihn liebevoll nannten, hatte auf jeden Fall einen unverwechselbaren Sound.
    Als der "Deux Chevaux" am 7. Oktober 1948 auf dem Pariser Autosalon der erstaunten Öffentlichkeit präsentiert wurde, machte sich die Fachpresse noch lustig und spottete über eine "Konservendose für vier Sardinen". Angeblich ein holländischer Journalist bezeichnete ihn gar als hässliches Entlein. Offenbar in Anlehnung daran wurde er bald bei uns schlicht "Ente" getauft.
    Vier Räder unter einem Regenschirm
    Dabei hatte der Konstrukteur André Lefèbvre nichts weiter umgesetzt, als das, was ihm Mitte der 1930er Jahre der damalige Citroën-Chef Pierre Boulanger aufgetragen hatte: so etwas wie vier Räder unter einem Regenschirm zu entwickeln:
    "Entwerfen Sie ein Auto, das Platz für zwei Bauern in Stiefeln und einen Zentner Kartoffeln oder ein Fässchen Wein bietet, mindestens 60 km/h schnell ist und dabei nur drei Liter Benzin verbraucht. Aufs Aussehen kommt es nicht an."
    Aber gerade das Aussehen hat die Ente unverwechselbar gemacht. Spartanisch ausgerüstet mit Klappfenstern, die auch dem kleinsten Schraubenzieher die Chance zum Aufhebeln boten, sollte sie immerhin so gut gefedert sein, dass man einen Korb Eier auf den Gartenstuhl ähnlichen Sitzen sicher über holprige Feldwege transportieren konnte. Das französische Volksauto, Pendant zum deutschen Käfer, war geboren.
    Dank eines Anschaffungspreises von unter 4.000 Mark, also weniger als 2.000 Euro, konnte sich jetzt fast jeder ein Auto leisten. Und während der "Deux Chevaux" in den 50er und 60er Jahren zum Inbegriff französischer Lebensart aufstieg, der Fahrer möglichst mit einer Gauloises zwischen den Lippen, entwickelte sich die "Ente" in Deutschland zum studentischen Kultauto und mobilen Ausdruck gegen das Establishment.
    Mobiler Ausdruck gegen das Establishment
    Meine war hellblau und hatte, ganz dem Klischee entsprechend, einen Anti-Atomkraft-Aufkleber. Übernommen hatte ich sie von der vom Geist der 68er beseelten älteren Schwester. Mein Interesse als Führerscheinfrischling war aber weniger einer konsumkritischen Lebenshaltung geschuldet, als vielmehr der Jagd nach persönlichen Rekorden und Abenteuertrips.
    Mit möglichst wenig Geld in 14 Tagen 5.000 km Frankreich-Spanien oder 4.000 km Skandinavien, den Kofferraum voller Konservendosen inklusive Spirituskocher, Zelt, 20 Liter Reservekanister und neben mir ein 130 kg-Copilot. Mit dieser ungleichen Gewichtsverteilung offenbarte die Ente immer wieder ihr phänomenales Kurvenverhalten:
    Dank leichter Karosserie und tief liegendem Motor war sie praktisch nicht umzukippen. Leisteten die ersten Motoren noch bescheidene 9 PS, war ich schon mit sportlichen 28 unterwegs und lieferte mir auf Autobahnen Wettrennen mit LKW. Und wenn einmal der Auspuff verloren ging, aus ein paar Bockwurst-Dosen war schnell ein Ersatz-Topf gebastelt. Zum Weltenbummler reichte das allerdings längst nicht. Da gab es andere wie die Legende unter Entenfahrern, Sänger Manfred Müller mit seinem Musiker-Kumpel Paul-Ernst Lührs und ihrer Ente Difty:
    "Wir waren aus Bremerhaven und wir waren natürlich auch dat Schietwetter gewöhnt, und wir wollten mal sehen, wo die Sonne scheint, andere Kulturen und viele Menschen kennenlernen."
    Produktion wurde 1990 eingestellt
    1964 brachen die beiden auf, reisten 20 Jahre lang um die Welt und legten rund 350.000 Kilometer zurück. Das war Weltrekord: Niemand hatte bis dahin eine längere Reise mit einem Auto gemacht.
    Als die Produktion des 2CV 1990 eingestellt wurde, war die Ente technisch völlig veraltet. Fast 3,9 Millionen Stück waren insgesamt produziert worden. Ein paar Tausend werden alle Jahre wieder auf nationalen und internationalen Ententreffen bestaunt und von einer eingeschworenen Fangemeinde gehegt und gepflegt, so wie von Rentner Uwe Faßbender.
    "Eine Ente muss man erleben. Das kann man schlecht beschreiben. Es ist die Art, wie dieses Auto fährt, wie sie schaukelt, wie sie urig ist, auch sehr kommod ist."
    Meine Ente hatte die Strapazen der Anfangsjahre leider nicht überstanden und schon früh das Zeitliche gesegnet.