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Vor 70 Jahren
Die Sprengung des Stadtschlosses in Ost-Berlin beginnt

Am 7. September 1950, vor 70 Jahren, begann die DDR im sowjetischen Sektor von Berlin das im Zweiten Weltkrieg durch Bomben beschädigte Stadtschloss zu sprengen. Übrig blieben die Fundamente – auf denen seit einigen Jahren ein Nachbau des einstigen Barockschlosses für das Humboldt-Forum errichtet wird.

Von Jochen Stöckmann | 07.09.2020
    "Die Sprengungen erfolgten planmäßig, ohne daß der Verkehr über die danebengelegene Liebknechtbrücke gestört wurde."
    Als sei der drohende Verkehrsstau das größte Problem einer im Zweiten Weltkrieg zerbombten Stadt – so berichtete die Berliner Zeitung über den 7. September 1950. Im sowjetischen Sektor hatte die DDR begonnen, die Ruine des Hohenzollern-Schlosses endgültig zu beseitigen - mit Dynamit. Einige der Jahrhunderte alten Mauern waren immerhin noch drei bis fünf Meter stark, aber auf Seiten der DDR war einhellig die Meinung: "Man hätte also wirklich das Ding einhausen müssen, zumindest ein Gerüst oder dann ein großes Dach darüber. Aber wer hätte das damals finanzieren sollen und wo hätte das Material herkommen sollen?"
    Die Propagandaschlacht zwischen Ost und West begann
    Ursula Picht sollte 1950 als Mitarbeiterin eines "wissenschaftlichen Aktivs", einer Gruppe von Architekten und Kunsthistorikern, kunsthistorisch wertvolle Trümmer bergen. Eine Arbeit, die von der DDR-Presse mit großen Reportagen begleitet wurde: "Es sind Männer und Frauen, Wissenschaftler und Techniker, die helfen, aus dem Wenigen, was die sinnlosen amerikanischen Terrorangriffe von diesem Bauwerk übrigließen, so viel wie möglich zu retten."
    Das las sich wie ein Frontbericht. Der Kalte Krieg, die Propagandaschlacht zwischen Ost und West, hatte begonnen. Als die DDR-Volkskammer über den Abriss des Baudenkmals entschied, gaben die Redner den einstigen Alliierten mit ihrem, so wörtlich, "angloamerikanischen Bombenterror" die Schuld an der Zerstörung nationaler Kulturgüter: "Aber auch das möge man nie vergessen: Wie die großen Bauwerke, die der Stolz unserer Nation waren, unter den Bomben zusammenfielen."
    Komplett zusammengefallen war das Berliner Schloss aber keineswegs. In der von leeren Fensterhöhlen markierten Ruine ragten aus den Bauabschnitten, die sich seit 1450 neben- und übereinandergelegt hatten, immer noch die Arbeiten des um 1700 tätigen Architekten und Bildhauers Andreas Schlüter heraus.
    Schlüterhof war fast vollständig erhalten
    "Es waren Teile ausgebrannt. Aber einzelne Flügel waren vollständig erhalten. Der Schlüterhof, der war fast vollständig erhalten." Wolf Jobst Siedler hatte sich die Schlossruine nach Kriegsende ganz genau angesehen. Daran erinnerte der Westberliner Verleger noch Jahrzehnte später – und widersprach der DDR-Version vom "ausgeglühten Schutt" mit Wänden, die wie Sand zerbröselt seien, sobald man sie berührte. In einem derart baufälligen Zustand wäre wohl kaum eine Ausstellung zur künftigen Stadtplanung möglich gewesen, über die "Der Augenzeuge", die Wochenschau aus Ost-Berlin, noch 1949 stolz berichtet hatte:
    "Die Ausstellung ‚Berlin plant‘ im Weißen Saal des Schlosses zieht viele Besucher an. – Wie wird man diese einzigartige Situation einer voll entwickelten, lebendigen und doch fast völlig zerstörten Stadt jetzt benutzen, um vernünftig zu planen und alte Bausünden wiedergutzumachen?"
    Den Plänen von DDR-Staatschef Walter Ulbricht stand das Schloss im Wege – und damit einer neuen Bausünde: Für einen öden Aufmarschlatz mit Funktionärstribüne sollte der Schlüterbau weichen. Wolf Jobst Siedler aber hoffte, die SED-Politiker mit flammenden Appellen umstimmen zu können.
    "Das Schloss war ein so markanter Bau, dass im Grunde alle Parteien, alle Zeitungen dagegen protestierten – und zwar zonenübergreifend! Es war also eine allgemeine Übereinstimmung: diese Architektur müsste gerettet werden."
    "In seinem architektonischen Organismus noch lebensfähig"
    Dagegen setzte Ulbricht sich durch. Das Schloss wurde gesprengt – und die Wochenschau-West konnte in befremdlich triumphierendem Ton anklagen: "Im Kriege schwer getroffen, doch in seinem architektonischen Organismus noch lebensfähig, vernichtete 1950 traditionsfeindlicher Wille das letzte, großartigste Zeugnis der Genialität Schlüters."
    Versöhnlicher hörte sich an, was 1950 Ernst Gall schrieb, der ehemalige Direktor der preußischen Schlösser und Gärten: "Schlüter baute in höheren Sphären. Es gibt eine Schönheit der Form, die sich über den anfänglichen Zweck erhebt; so wird auch niemand deshalb zum Monarchisten, weil Schlüters streng geformte Wände des Berliner Schlosses ihn bewundernd aufschauen lassen."
    Ideologisch unbedenklich, so lautete das ästhetisch abgewogene Urteil. Es kam zu spät: Als die Zeitschrift "Kunstchronik" im Herbst 1950 mit Galls Artikel erschien, war das Schloss bereits verschwunden.