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Vor 75 Jahren
Deutschen Truppen vor Moskau treten den Rückzug an

Im Juni 1941 überfiel Deutschland ohne Kriegserklärung die Sowjetunion. Die Wehrmacht wollte die Rote Armee in einem Blitzkrieg besiegen. Im Dezember waren die deutschen Truppen noch 30 Kilometer von Moskau entfernt, als der Winter hereinbrach. Der Angriff kam zum Erliegen, die Rote Armee ging zur Gegenoffensive über. Am 15. Januar 1942 erteilte Hitler den Befehl zum Rückzug.

Von Otto Langels | 15.01.2017
    Ein Panzerfahrzeug der Wehrmacht, gefolgt von Soldaten auf Motorrädern, in der Stadt Minsk während des Rußland-Feldzuges im August 1941.
    Ein Panzerfahrzeug der Wehrmacht, gefolgt von Soldaten auf Motorrädern, in der Stadt Minsk während des Rußland-Feldzuges im August 1941. (picture-alliance / dpa / UPI)
    "Deutsche Panzer haben den äußeren Verteidigungsring von Moskau erreicht. Auf der Autostraße Smolensk – Moskau sammeln sie sich zum Angriff auf eine 14 Kilometer tiefe Schutzstellung, die sich auf dem historischen Schlachtfeld von Borodino in mehreren Linien hintereinander aufbaut."
    Die deutsche "Wochenschau" berichtete im Herbst 1941 vom Aufmarsch der Wehrmacht in Borodino, 100 Kilometer westlich von Moskau. Dort hatten sich 1812 französische Truppen unter Napoleon und die russische Armee eine der blutigsten Schlachten des 19. Jahrhunderts geliefert. Knapp 130 Jahre später startete hier das "Unternehmen Taifun", der deutsche Angriff auf Moskau.
    "Soldaten der Ostfront, meine Kameraden: Der Endsieg ist zum Greifen nah."
    Verkündete Adolf Hitler am 2. Oktober in einem Tagesbefehl.
    "Die Voraussetzungen sind geschaffen zu dem letzten gewaltigen Hieb, der noch vor dem Einbruch des Winters diesen Gegner zerschmettern soll. Dieser Feind besteht nicht aus Soldaten, sondern zum großen Teil nur aus Bestien."
    Hitler verwies auf riesige Verpflegungs- und Munitions-Lager, die für den Angriff bereitstünden. Doch das Heer war nach den vorherigen blutigen Kämpfen im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion dezimiert und erschöpft. Zudem funktionierte der Nachschub angesichts großer Entfernungen und miserabler Straßen schlecht.
    Der Historiker Jörg Baberowski, Osteuropa-Experte der Berliner Humboldt-Universität:
    "Die Deutschen hatten im Winter gar keine Quartiere, es gab keine Kasernen, es gab nur Dörfer mit kleinen Hütten, und sie konnten ihre Soldaten überhaupt nicht unterbringen, das heißt, die Wehrmacht verwandelte sich in eine plündernde Truppe. Das war eine Landsknechts-Armee für eine kurze Zeit."
    Die sowjetische Führung unter Josef Stalin befürchtete dennoch eine Einnahme Moskaus und ließ Ministerien, Industriebetriebe und Teile der Bevölkerung evakuieren. Stalin selber blieb aber in der Stadt und verabschiedete öffentlichkeitswirksam Soldaten, um demonstrativ die Heimatfront zu stärken.
    Wintereinbruch mit verheerenden Folgen
    Nach anfänglichen Geländegewinnen blieb der Vormarsch der Wehrmacht kurz vor Moskau im Schlamm und Schneeregen stecken. Der anschließende plötzliche Wintereinbruch mit eisigen Temperaturen hatte verheerende Folgen für die deutschen Soldaten, die nur für einen Sommerfeldzug ausgerüstet waren.
    "Die meisten Soldaten kamen aufgrund von Erfrierungen um, durch Krankheiten, Hunger und Epidemien. Und man kann sagen, dass das die Truppe auf schrecklichste Weise demoralisiert hat."
    Anfang Dezember ging die Rote Armee mit frischen Kräften zur Gegenoffensive über. Generaloberst Erich Hoepner konstatierte angesichts der Übermacht des Gegners:
    "Die Masse der Russen erdrückt uns. Unsere Leute sind übermüdet, schlafen im Stehen ein, sind so stumpf, dass sie sich nicht mehr hinwerfen, wenn geschossen wird. Erfrierungen sind fast zahlreicher als blutige Verluste."
    Wie andere Generäle warnte Hoepner vor dem Zusammenbruch der Ostfront und ordnete trotz der Durchhalteparolen Adolf Hitlers den Rückzug seiner Einheiten an, was ihm umgehend die unehrenhafte Entlassung aus der Wehrmacht wegen Feigheit und Ungehorsam einbrachte. Hitler übernahm selber die Führung des Heeres und forderte bedingungslosen Einsatz.
    "Größere Ausweichbewegungen können nicht durchgeführt werden. Unter persönlichem Einsatz der Befehlshaber ist die Truppe zum fanatischen Widerstand in ihre Stellungen zu zwingen."
    Doch die Rote Armee setzte ihre massiven Angriffe unvermindert fort. Hitler hatte keine Wahl, am 15. Januar 1942 gab er den Befehl zum Rückzug.
    "Rotarmisten!
    Das war die Division,
    Die als die erste Einzug halten sollte.
    In Moskau. Sie ist nicht mehr.
    Für Feinde führt kein Weg nach Moskau."
    Entscheidende Kehrtwende im Verlauf des Zweiten Weltkrieges
    Das Lied "Winterschlacht um Moskau", komponiert von Hanns Eisler, gesungen von Ernst Busch, hatte der vor den Nazis in die Sowjetunion geflohene kommunistische Schriftsteller Johannes R. Becher Ende 1941 in Taschkent verfasst. Dorthin war er mit anderen Einwohnern Moskaus evakuiert worden. Im Frühjahr 1942 kehrte er in die Hauptstadt zurück, nach der ersten schweren Niederlage der Wehrmacht, einer entscheidenden Kehrtwende im Verlauf des Zweiten Weltkriegs. Jörg Baberowski:
    "Es war im rückständigen Russland passiert und nicht an der Westfront. Das hat am Mythos der Unbesiegbarkeit gekratzt, und von dort an war es eine Möglichkeit, dass die Nazis auch verlieren würden."