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Vor 75 Jahren
Erster Auftritt der "Dutch Swing College Band"

Die "Dutch Swing College Band" wurde gegen Ende des Zweiten Weltkriegs im Untergrund in den Niederlanden gegründet. Jugendliche begeisterten sich für Musik, die von den Nazis als "entartet" bezeichnet wurde. In Europas Metropolen präsentierte die Clique adaptierten New Orleans-Jazz von Louis Armstrong & Co.

Von Karl Lippegaus | 05.05.2020
    Der amerikanische Jazz-Trompeter und Sänger Louis Armstrong spielt Trompete
    Der amerikanische Jazz-Trompeter und Sänger Louis Armstrong war Vorbild für die Jugendlichen aus den Niederlanden, die während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg heimlich in Kellern Jazz spielten. (imago / CTK Photo)
    "Das geschah schon in 1943. Jazz war verboten durch die deutsche Besetzung, bis '43 konnte man da noch spielen, aber nicht mit amerikanischen Titeln. Wir mussten alles übersetzen in Holländisch. Aber wir taten das in einer Weise, dass das Publikum gleich verstand, was wir meinten. Nur die Deutschen selber nicht."
    Peter Schilperoort, der Klarinettist, Saxofonist und Gründer der dienstältesten europäischen Jazzband. Er erinnert sich, wie er per Nazi-Dekret mit seinen drei Freunden aufhören musste, öffentlich Oldtime Jazz zu spielen, ein angeblich von "Negern mit Hilfe des Juden" vollführter musikalischer "Dressurakt", wie der Musikforscher Heribert Gehrik 1938 im "Lexikon der Juden in der Musik" schrieb.
    Das war die revolutionäre improvisierte Musik aus New Orleans, die in Peter Schilperoort und seiner Clique eine Saite zum Schwingen brachte. Im Untergrund starteten sie eine winzige Jazzschule, die sie "Dutch Swing College" nannten. Zu einer Zeit, als man sogar für den Besitz eines Radiogerätes verhaftet und abgeführt werden konnte. Ganz zu schweigen vom heimlichen Hören der amerikanischen Originale.
    Der Rundfunk für die kämpfenden US-Truppen hieß AFN - American Forces Network - und die beliebteste Sendung war die "Stunde Jazz" von Willis Conover.
    Die Stimme Amerikas
    "This is the voice of America, Jazz Hour."
    Ein paar junge Leute waren es, die um 1943 im Krieg in den Niederlanden heimlich Jazz - nicht nur hörten, sondern auch - spielten, zeitlich später als in den Metropolen Paris, Berlin und London. Die "Dutch Swing College Band" bestand am Anfang nur aus einer Handvoll Musikern, die sich gemeinsam trafen, um die Schallplatten von Louis Armstrong und anderen Jazz-Legenden im Verborgenen zu hören. Bereits am 5. Mai 1945 hatte sie ihren ersten öffentlichen Auftritt.
    Ein Pianist, ein Bassist, ein Schlagzeuger und der bereits erwähnte Peter Schilperoort an der Klarinette bildeten die 'DSC', wie sie heute noch intern heißt. Die vier Gründer gaben, hinter mit Kleidern schalldicht verstopften Kellerfenstern, nicht nur Musikunterricht. In dieser Band arbeiteten sie mit Feuereifer an ihrem zukünftigen Repertoire für bessere Zeiten.
    "Das ging alles schön, bis die Freiheit wieder da war. Gleich am nächsten Tag traten wir auf bei den großen Festen, die entstanden. Und innerhalb von drei Wochen waren es schon sieben Leute geworden. Da bekamen wir ein Engagement für die kanadischen Truppen, die in Holland, in Apeldoorn, ein Depot hatten."
    Chris Barber war schon früh ein Fan
    Hier und da hatte es Jazz im Radio gegeben, erinnert sich der britische Musiker und sehr erfolgreiche Chris Barber, der sich als 12-jähriger Klassikhörer den seltenen Jazz-Virus einfing.
    "In Großbritannien wie in den meisten europäischen Ländern wurde vor dem Zweiten Weltkrieg im Radio kaum populäre Musik gespielt. Rundfunk wurde damals von Leuten aus der Oberschicht und von Intellektuellen gemacht. Während des Krieges sah man sich irgendwann gezwungen, die vielen Stunden Sendezeit zwischen den Nachrichten mit populärer Musik zu füllen. Damals hörte ich diese Musik zum ersten Mal. Eines Tages spielte ein Discjockey eine Platte und sagte: ‚Das war Jazz.‘ Es klang so anders – mir gefiel es."
    Merkwürdig, die einschlägige Geschichtsschreibung im Jazz verzeichnet fast nichts über die "Dutch Swing College Band", die es immer noch gibt, inzwischen sogar als "eingetragenes Warenzeichen". Über den Oldtime-Jazz von Peter Schilperoort, Künstlername Pat Bronx, der von Königin Beatrix zum Ritter geschlagen wurde, rümpften die Jazzpuristen noch lange die Nase. Oldtime Jazz gilt noch immer als bloßer Aufguss, als verfälschend und spießig. Ihr Publikum sah das anders: "Die Dutch Swing College Band" wurde weltberühmt.