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Vor 75 Jahren erstmals präsentiert
Als der erste Bikini zündete

Mit dem neuen Badeanzug, den Louis Réard am 5. Juli 1946 vorstellte, ehrte der Designer die Nukleartests am Bikini-Atoll - für ihn Inbegriff des Fortschritts. Anders als die Atombomben trug sein "Bikini" zur Befreiung des weiblichen Körpers bei - indes sehr ambivalent.

Von Beatrix Novy |
    Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt Louis Reard im Jahr 1974 neben einer Modepuppe, die einen gepunkteten Bikini trägt.
    Bikini-Erfinder Louis Réard 1974 neben einer Modepuppe (picture-alliance/ dpa | UPI)
    "Nein, nein! Genug, stopp aufhören!..." - Ein endlos gedudelter Bikini-Schlager als sowjetische Verhör-Schikane: so ist das in Billy Wilders Berlin-Komödie "Eins Zwei Drei". Dabei hatte damals, 1963, der Bikini seinen weltweiten Durchbruch erst vor sich. Noch 1968 galt im städtischen Freibad von Passau die Regel: "Das Tragen der sogenannten 'Bikini'-Badeanzüge ist verboten."
    Letztes Aufbäumen gegen einen Siegeszug, der seinen zündenden ersten Moment einer geschickten Inszenierung verdankte: Am 5. Juli 1946 präsentierte der Ingenieur und Designer Louis Réard im überfüllten Pariser Molitor-Schwimmbad seine Erfindung. Eine junge Nackttänzerin - andere Models hatte Réard nicht überreden können - zeigte sich in einem zweiteiligen Badeanzug, der, davon gibt es ein Foto, in eine Streichholzschachtel passte. Die Öffentlichkeit überwand den Schock und tat erstmal, als sei nichts geschehen.

    Der Bikini als Antwort auf den "Atom"

    Wenige Tage vor dem Beinahe-Skandal im Molitor-Schwimmbad hatten die Amerikaner das südpazifische Bikini-Atoll mit einem Atomtest in die Geschichtsbücher befördert. Die Faszination des als Fortschritt getarnten Zerstörungswerks überwog zunächst den Schrecken, Atom wurde buchstäblich Mode. Ein Konkurrent von Réard, der einen ähnlich sparsamen Zweiteiler kreiert hatte, nannte ihn "Atom" und warb mit dem Slogan: 'Das kleinste Badekostüm der Welt". Darauf hatte Louis Réard eine Antwort. Seine Kreation taufte er "Bikini":

    "Noch kleiner als das kleinste Badekostüm der Welt"

    Ein Schwarz-Weiß-Bild zeigt einen Fotografen, der durch eine Kamera auf das Model Micheline Bernardini blickt, die am 5. Juli 1946 in einem Schwimmbad den ersten Bikini vorführt
    Die Nackttänzerin Micheline Bernardini bei der Präsentation des ersten Bikinis am 5. Juli 1946 in einem Schwimmbad in Paris (picture-alliance/ dpa / UPI)
    Der Bikini - so revolutionär wie eine Atomexplosion. Der skurrile Wettbewerb überrannte den langsamen Prozess hin zu einem neuen Körperbewusstsein, der mit der Badekultur im 18. Jahrhundert begonnen hatte. Am Meer, Jahrtausende lang bloß feindliche Natur, vertrieben nun die Betuchten ihre Zipperlein und ihre Langeweile. Und mit den neuen Badeorten entstand die Bademode. Für Frauen waren das züchtig-stoffreiche Kreationen, die sich im Wasser naturgemäß aufblähten; mit der Folge eines unvorteilhaften Zusammenfallens an Land.

    Neues Material für ein neues Frauenbild?

    Reformbewegungen und der aufkommende Schwimmsport ließen endlich das praktische, schon fast beinfreie Trikot triumphieren; industriell erzeugte neue Materialien hatten weitreichende Folgen, wie die Modehistorikerin Dagmar Venohr erklärt: "Der Sport brauchte das Material und die Gesellschaft brauchte natürlich ein anderes Frauenbild."
    Jedoch kein Fortschritt ohne Stolpern: Während sich zweiteilige, aber nur selten nabelfreie Badeanzüge längst durchsetzen, sah sich die preußische Regierung 1932 zu ihrem berühmten "Zwickel-Erlass" genötigt: volle Bedeckung von Brust und Bauch samt Stoffverstärkung im Schambereich, dem Zwickel. Für den Spott musste dann nicht weiter gesorgt werden.

    Der Bikini zeigt präzise, was er verbirgt

    Louis Réauds Bikini bestand aus vier Dreiecken: zwei unten, zwei oben. Die Brisanz lag im kalkulierten Widerspruch: Der Bikini zeigt präzise, was er verbirgt. Und: er steht für eine Befreiung aus jahrhundertelangen Restriktionen, unterstreicht Dagmar Venohr: "Je mehr Körper ich zeigen durfte, um so mehr konnte ich als Frau gesellschaftliche Freiheiten genießen."
    Luft und Sonne auf der Haut fühlen, sich ungebremst bewegen können - dieses kreatürliche Recht war Frauen fast aller sogenannten Hochkulturen äonenlang verwehrt. Lange lief die Befreiung des weiblichen Körpers mit dem Erkämpfen gesellschaftlicher Teilhabe parallel. Aber, sagt Dagmar Venohr: "Das schlägt ja irgendwann um."

    Bikini versus "Fatkini"

    Porträt von Bibi neben ihrem eigenen Pappaufsteller.
    Soziale Medien und Ess-Störungen Das einseitige Schönheitsideal Ein perfektes Make-Up, eine gekonnte Pose - vor allem aber ein makelloser "Body": Das inszenierte Schönheitsideal von "Influencerinnen" auf Instagram und Tiktok setzt ihre weiblichen Fans unter enormen Druck.
    Nämlich in die sexualisierte Ausbeutung eines Körpers, der nun abhängig ist von seiner geforderten Perfektheit. Jahrelang hatte der Film, hatten Brigitte Bardot, Marilyn Monroe und all die anderen den Bikini salonfähig gemacht. Gegen diese Trugbilder treten heute, identitätspolitisch gestärkt, gewichtige Frauen demonstrativ mit "Fatkinis" an. Hier zeige sich, sagt Dagmar Venohr, " dass es immer noch um Selbstermächtigung geht, aber um ein anderes Selbst- und Körperbild."
    Frankreichs Polizei kontrolliert am Strand ob die Frauen Burkinis tragen.
    Frankreich - Raus aus dem Burkini, rein in den Burkini
    Frankreichs Prinzip der Laizität wird auch am Strand und im Schwimmbad verteidigt. Religiöse Kleidung ist oft unerwünscht. Doch Musliminnen protestieren dagegen.
    Den enormen Einfluss des Bikinis als Begriff und Wirklichkeit belegt der Name seines muslimisch korrekten Gegenteils: immer noch ein "Burkini". Die Wege zur Selbstermächtigung sind lang und verschlungen.