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Vor 75 Jahren gestorben
Erwin Schulhoff - Vermittler zwischen Jazz und Klassik

Erwin Schulhoff war einer der ersten europäischen Komponisten, der den Jazz in seinen klassischen Stücken integrierte. Vor allem in den 1920er-Jahren komponierte er vielgestaltige Stücke. Wie andere jüdische Künstler geriet er in Vergessenheit. Interniert in der Festung Wülzburg starb er am 18. August 1942.

Von Stefan Zednik | 18.08.2017
    Auf Partituren von Erwin Schulhoff sind am Sonntag (18.12.2011) im Schweriner Konservatorium die Stempel des Ghettos Theresienstadt zu sehen. In Schwerin wurde in den letzten Jahren eine umfangreiche Partiturensammlung von verfemten Komponisten zusammengetragen. Foto: Jens Büttner dpa/lmv (zu lmv-KORR: "Sammlung zu verfemter Musik in Schwerin" vom 22.12.2011) | Verwendung weltweit
    Schulhoff war in den 20er-Jahren kompositorisch ebenso offen wie produktiv. (dpa-Zentralbild)
    "'Da nimm', sagte er zu mir und reichte mir ein Paket. Es waren darin zwei Tabletten Schokolade. So promovierte mich Dvořák zum Musikanten."
    So erinnerte sich Erwin Schulhoff an die erste wichtige Anerkennung in seiner künstlerischen Laufbahn. Im Jahr 1901 hatte man den Siebenjährigen zu Antonín Dvořák gebracht, der Ikone des tschechischen Musiklebens. Der Meister mochte zwar keine Wunderkinder, unterzog das Talent des Jungen aber doch einer kritischen Prüfung. Sein Urteil führte dazu, dass der Junge noch intensiver musikalisch gefördert wurde, zunächst in seiner Heimatstadt. Der Musikwissenschaftler Albrecht Dümling:
    "Das ist ein ganz interessanter Kulturraum Prag. Es ist so interessant, weil dort eben deutsche, tschechische und jüdische Kultur aufeinandergetroffen ist. Schulhoff stammt aus einer deutsch-jüdischen Familie aus Prag. Er sprach deutsch und hat sich aber dann später sehr stark mit tschechischen Traditionen beschäftigt, aber er sprach deutsch."
    Schulhoff beeinflusst durch Metropolen
    Stets komponierte er neben dem Klavierstudium, und die Mutter ließ erste kleine Kompositionen des Zehnjährigen drucken. Doch bald zog es ihn in die Metropolen des musikalischen Lebens.
    "Er war gleichzeitig Komponist und Pianist, er hat in Köln auch Klavier und Komposition studiert und ging dann zu Max Reger nach Leipzig. Das war ja die klassische Musikhochschule in Leipzig dort. Er war auch eine Zeit lang in Paris, hat sich auch durch Debussy anregen lassen und hat überhaupt wie ein Schwamm alle großen wichtigen Einflüsse aufgenommen, eben Impressionismus, Spätromantik. Das hat er beherrscht, immer als Interpret und als Komponist."
    Erst folgte er Vorbildern, dann dem eigenen Stil
    Seine ersten großen Kompositionen entstanden 1918. Schulhoff folgte ganz dem Geschmack seiner Zeit, die Klangvorbilder Debussy, Mahler und Strauss sind deutlich zu hören. Doch die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war turbulent, und Schulhoff begann schnell eigene, sehr individuelle Wege zu gehen.
    "Dann war für ihn sehr wichtig der Dadaismus. Er war ja ein Provokateur, er hat sich nicht angepasst, und hat den Jazz dann gleich übernommen, der ja damals auch bei Georg Grosz in der Gruppe der Dadaisten eine große Rolle gespielt. Er startete dann in Dresden, wo er eine Zeit lang lebte mit einer Tänzerin zusammen, die sogenannten Fortschrittskonzerte. Er war auch im Kontakt mit Alban Berg, der ihm sehr Eindruck gemacht hatte, mehr als Schönberg. Er war sehr offen, aber Dadaismus war damals seine Richtung und dann wurde er ja mehr und mehr in den großen Musikfestivals, den Avantgardefestivals in Baden-Baden, Donaueschingen aufgeführt mit Kammermusik."
    Doch der ernste, stets nach Wahrhaftigkeit in der Musik suchende Schulhoff, fand sich bald zwischen allen Stühlen, die in den 20er-Jahren zu besetzen waren. Als Komponist zwischen Dadaismus und Zwölftontechnik, zwischen Jazz und tschechischer Tradition. Als auch international erfolgreicher Interpret zwischen den Klavierkonzerten Beethovens und neuer vierteltöniger Musik seiner Komponistenkollegen. Kammermusik, Lieder, Jazzübungen für das Klavier, Tanzgrotesken, Symphonien, Opern, Oratorien – Schulhoff war in den 20er-Jahren kompositorisch ebenso offen wie produktiv.
    Als sowjetischer Staatsbürger verhaftet und gestorben
    "Ein Gespenst geht um in Europa" – erst zu Beginn der 30er-Jahre fand Schulhoff eine politische, eine weltanschauliche Heimat in der Idee des jungen Sozialismus der Sowjetunion. Er vertonte das "Kommunistische Manifest", verdingte sich im für jüdische Musiker nun eng gewordenen Europa als Pianist beim tschechischen Radio und beantragte die sowjetische Staatsbürgerschaft. Der Entschluss zur Ausreise erfolgte wenige Tage zu spät. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 wurde Schulhoff nicht als Jude, sondern als Bürger des jetzt feindlichen Staates in Prag verhaftet und in der bayerischen Festung Wülzburg interniert. Hier starb er am 18. August 1942, durch mangelhafte Versorgung geschwächt, an den Folgen einer Tuberkulose.