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Vor 75 Jahren
Schweiz schließt Grenzen für Verfolgte des Nationalsozialismus

Die Schweiz gewährte im Verlauf des Zweiten Weltkriegs zahllosen Flüchtlingen Schutz. Am 13. August 1942 verhängte sie jedoch eine Einreisesperre für Ausländer, die allein aus rassischen Gründen verfolgt wurden. Ein Erlass, der für manche Juden einem Todesurteil gleichkam.

Von Otto Langels | 13.08.2017
    Schweizer Landesgrenze
    Am 13. August 1942 verschärften die Schweizer Behörden die Einreisebestimmungen für Juden. ( imago/Geisser)
    "Die Schweiz, von Zerstörung und Not umgeben, konnte arbeiten, bauen, in Frieden leben."
    Ende 1945 blickte die schweizerische Wochenschau auf den Zweiten Weltkrieg zurück.
    "Damals wussten wir nicht, ob der Schrecken, der über Europa kam, uns erspart bliebe. Die Armee machte sich bereit, das Land zu schützen."
    "Der Schrecken" machte an den Grenzen halt, weil im Unterschied zu allen anderen Nachbarstaaten Deutschlands die politisch neutrale Schweiz nicht von Hitlers Wehrmacht angegriffen und besetzt wurde.
    Zahllosen Flüchtlingen wurde die Einreise verwehrt
    Bei einer Gesamtbevölkerung von rund vier Millionen fanden 300.000 Menschen zumindest vorübergehend Schutz vor dem Nazi-Regime. Dazu zählten die Behörden freilich auch sogenannte Grenzflüchtlinge, die nur kurze Zeit blieben, internierte Soldaten aus Frankreich und Italien sowie Zehntausende von Kindern, die einen mehrwöchigen Erholungsurlaub in dem Land verbrachten.
    Doch zugleich wurde zahllosen Flüchtlingen die Einreise verwehrt. Wer zum Beispiel mit dem so genannten Judenstempel im deutschen Pass an der Schweizer Grenze auftauchte, musste damit rechnen, abgewiesen zu werden.
    "Juden, gelten nicht als politische Flüchtlinge"
    Am 13. August 1942 verschärften die Behörden noch einmal die Einreisebestimmungen für Juden.
    In einem Erlass des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements hieß es unter anderem: "Deserteure, entwichene Kriegsgefangene und andere Militärpersonen sowie politische Flüchtlinge sind nicht zurückzuweisen. Flüchtlinge nur aus Rassegründen, z.B. Juden, gelten nicht als politische Flüchtlinge."
    Faktisch kam dieser Erlass einem Einreiseverbot für Juden gleich. Und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem den verantwortlichen Schweizer Politikern längst Meldungen aus Deutschland über systematische Massendeportationen vorlagen.
    Das Land als volles Rettungsboot
    Der Bundesrat Eduard von Steiger, Mitglied der Regierung, verteidigte 14 Tage später ausgerechnet auf einem christlichen Blasmusikfest die restriktive Asylpolitik.
    "Wer ein schon stark besetztes kleines Rettungsboot mit beschränktem Fassungsvermögen und ebenso beschränkten Vorräten zu kommandieren hat, indessen Tausende von Opfern einer Schiffskatastrophe nach Rettung schreien, muss hart scheinen, wenn er nicht alle aufnehmen kann."
    Das Land als volles Rettungsboot - ein Bild, das damals wie heute zur Legitimation einer restriktiven Asylpolitik dient. Die Schweiz rechtfertigte ihr Vorgehen unter anderem mit einem Mangel an Lebensmitteln.
    "Das sind nur Juden, die werden jetzt wieder zurückgebracht."
    "Es sind ja Lebensmittelangebote aus den USA abgelehnt worden, explizit, um nicht in die Verpflichtung zu kommen, über dieses Angebot allenfalls noch zusätzliche Flüchtlinge aufnehmen zu müssen", erklärt dazu der Baseler Historiker Georg Kreis.
    Im Schweizer Grenzort Basel-Riehen hat der frühere Pfarrer Johannes Czwalina 2011 eine kleine Gedenkstätte eingerichtet, die an jüdische Flüchtlinge während des Zweiten Weltkriegs erinnert. Zeitzeugen berichteten ihm, wie sie als Kinder mehrmals einen Mannschaftswagen der Polizei Richtung Grenze fahren sahen.
    "Meistens war er voll von Menschen, Müttern, Vätern, Großeltern, Kindern. Und sie fragten ihre Mutter, was das für Leute seien? Und die Mutter antwortete: Das sind nur Juden, die werden jetzt wieder zurückgebracht."
    Mancherorts machten Schweizer Grenzposten deutsche Soldaten ausdrücklich darauf aufmerksam, dass man ihnen einen Juden übergebe.
    Schweizer Behörden als "Handlanger der Nazis"
    1996 berief die Schweizer Bundesversammlung eine Unabhängige Historiker-Kommission. Die Experten sollten unter anderem die Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg untersuchen. Über das Ergebnis mehrjähriger Forschungsarbeit berichtete der Hörfunkkorrespondent Karsten Evers 1999 aus Genf.
    "Die Schweizer Behörden, und zwar vom Minister bis zum Grenzposten, vertraten gegenüber Flüchtlingen aus Nazi-Deutschland eine harte, eine unnachgiebige Haltung. Mit ihrer unnachgiebigen Haltung wurden die Schweizer Behörden zu Handlangern der Nazis und unterstützten so indirekt die systematische Ermordung von Juden."
    Den Erkenntnissen der Kommission zufolge wurden zwischen 1940 und '45 mindestens 24.000 Juden an den Grenzen abgewiesen.
    Allerdings missachteten einzelne Beamte wie der St. Galler Polizeihauptmann Paul Ernst Grüninger die Vorschriften und retteten damit mehreren hundert Juden das Leben. Sein humanitäres Handeln bezahlte Grüninger mit einer Geldstrafe und der fristlosen Entlassung aus dem Dienst.