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Vor 90 Jahren: Clärenore Stinnes
Eine Fahrt um die Welt

Clärenore Stinnes, die älteste Tochter des Mülheimer Großindustriellen Hugo Stinnes, wollte im väterlichen Betrieb Karriere machen, wurde dann aber Renn- und Rallyefahrerin. Als erste Frau fuhr sie mit einem Auto um die ganze Welt. Am 25. Mai 1927 um punkt zwölf Uhr Mittags ging die abenteuerliche Fahrt unter Glockengeläut von Frankfurt aus los.

Von Irene Meichsner | 25.05.2017
    Das undatierte Handout vom RealFiction Filmverleih zeigt auf einer Originalaufnahme Clärenore Stinnes vor ihrem "Adler Standard 6", mit dem sie von 1927 bis 1929 als erste Frau der Welt die ganze Welt mit einem Auto umrundet hat.
    Clärenore Stinnes vor ihrem "Adler Standard 6", mit dem sie von 1927 bis 1929 als erste Frau der Welt die ganze Welt mit einem Auto umrundet hat. (picture-alliance/ dpa/ RealFiction Filmverleih)
    "Erfolgreiche Sportler, denen öffnen sich Tür und Tor. Und dadurch, dass ich vielleicht die erfolgreichste Rennfahrerin in den Jahren ’24, ’25, ’26 war in Europa, öffneten sich in Berlin Tür und Tor in den Regierungs- und diplomatischen Kreisen."
    Als junge Frau trug Clärenore Stinnes Herrenanzüge mit Krawatte, rauchte Zigaretten - und fuhr von Sieg zu Sieg. Der Hamburger Dokumentarfilmer Michael Kuball entdeckte ihre längst in Vergessenheit geratene Geschichte. Im Alter von fast 80 Jahren erzählte sie ihm, wie sie einst als erste Frau mit einem Auto um die Welt gefahren war. Dabei hätte Clärenore eigentlich in der Firma ihres Vaters, des Mülheimer Großindustriellen Hugo Stinnes, Karriere machen sollen.
    "Dann starb Papa im April ’24. Meine Mutter war der Ansicht, dass Mädchen in einer Firma nix zu suchen hatten. Die verließ sich völlig auf die beiden ältesten Brüder. Und da habe ich eben mein Ränzel gepackt und bin ausgezogen."
    Stinnes warb 100.000 Reichsmark von Sponsoren ein
    Ihr erstes Autorennen fuhr Clärenore, die mit 18 ihren Führerschein gemacht hatte, 1924 noch unter dem Pseudonym "Fräulein Lehmann".
    "Aber 'Fräulein Lehmann' wurde Dritter in ihrer Klasse. Und damit war mein Schicksal in etwa besiegelt."
    Während einer Russland-Rallye kam die 24-Jährige auf die Idee einer "Weltfahrt", mit der sie die Stärke der deutschen Automobilindustrie unter Beweis stellen wollte. Clärenore warb 100.000 Reichsmark von Sponsoren ein. Die Adler-Werke überließen ihr neben einem "Standard 6", einer kastenförmigen 40-PS-Limousine mit Ganzstahl-Karosserie und hydraulischen Vierrad-Bremsen, auch noch zwei Mechaniker und einen Lkw für Ersatzteile, Benzin und Proviant.
    "Stresemann, der Außenminister, hatte mir alle deutschen Vertretungen zur Verfügung gestellt, um dort Benzin hinzuschicken, Reserveteile, Gummi, Öl: das erste Lager in Sofia, dann in Konstantinopel, dann in Ankara, dann in Teheran."
    Ihr Begleiter bereute schnell die Fahrt
    Am 25. Mai 1927 ging die Fahrt von Frankfurt aus los. Im letzten Moment hatte Clärenore auf Anraten von "Fox Film" auch noch einen Kameramann angeheuert: den Schweden Carl-Axel Söderström, der allerdings bald bereute, sich auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben. Maximal die Hälfte der rund 46.000 Kilometer langen Strecke führte über befestigte Straßen. Söderströms Tagebucheinträge zeugen von seiner wachsenden Verzweiflung.
    "Läuse und Kakerlaken laufen die ganze Nacht in meinem Bett um die Wette." – "Russland versank in Regen. Und die Wege verwandelten sich in Morast." – "Fräulein Stinnes muss aus Stahl gemacht sein. So wie sie alles aushält, ohne zu klagen."
    Die beiden Mechaniker waren den Herausforderungen nicht gewachsen; Stinnes und Söderström fuhren bald alleine weiter. Sie kamen in Regionen, in denen die Menschen noch nie von einem Auto gehört, geschweige denn jemals eines gesehen hatten. In der Wüste Gobi wurden sie von bewaffneten Räuberbanden verfolgt. Die Überquerung der Anden war ein einziger Alptraum. In Söderströms Film kommentierte Clärenore später die bewegten Bilder:
    "Mit Dynamit mussten wir uns die Wege ins Freie sprengen. Mit Flaschenzügen die Gipfel nehmen. Bei der Überwindung der peruanischen Kordilleren vollführte Söderström einmal eine wahre Todesfahrt über einen steilen Abhang."
    Auch privat gab es ein Happy End
    Die Fahrt durch die USA war dagegen der reinste Spaziergang.
    "Alles Leid und alle Qualen versinken im Strudel des Übermutes und des Vergessens ... New York erwartet und feiert uns."
    Am 24. Juni 1929 bereitete Berlin den beiden Abenteurern einen begeisterten Empfang. Auch privat gab es ein Happy End. Söderström ließ sich scheiden und heiratete Clärenore, die beiden zogen nach Schweden, wo sie drei Kinder bekamen und Landwirtschaft betrieben. Clärenore sah ihre Mission erfüllt. Man müsse den Menschen den technischen Fortschritt eben erst zeigen, um sie davon zu überzeugen, ihn auch zu nutzen.
    "Und bildlich gesprochen kommt erst das Auto und dann der Weg. Es kommt aber nie erst eine Straße und dann ein Auto."