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Vor 90 Jahren
Kein perfektes Verbrechen von Leopold und Loeb

Nathan Leopold und Richard Loeb ermordeten den 14-jährigen Bobby Franks. Die beiden wohlhabenden Studenten wollten ein unbeweisbares und folgenloses Verbrechen begehen. Viele Bücher, Dramen und Filme beziehen sich auf diesen Kriminalfall, der sich vor 90 Jahren ereignete.

Von Beatrix Novy | 21.05.2014
    Skyline von Chicago im Gegenlicht.
    Schauplatz der Tat vor 90 Jahren: Chicago. Die Täter kamen aus der besseren Gesellschaft der Stadt. (picture alliance / Yannick Tylle)
    Mord: ohne Motiv, ohne Leidenschaft. Unbeweisbar und folgenlos. So hatten sich Nathan Leopold und Richard Loeb das vorgestellt, als sie am 21. Mai 1924 den 14-jährigen Bobby Franks mit einem Meißel bewusstlos schlugen und dann erstickten. Der Junge war das zufällige Opfer einer Absprache, mit der die beiden 19- und 20-jährigen Täter, hochbegabte Söhne der besseren Chicagoer Gesellschaft, sich ihr Übermenschentum beweisen wollten. Verwöhnt und verblendet von ihrer Herkunft und geistigen Brillanz hatten sie trotzdem ihren Nietzsche falsch verstanden. Nach der Tat versuchten sie, den Leichnam ihres Opfers mit Säure unkenntlich zu machen, verbargen ihn in einem Abflussrohr und täuschten dann mit einem Anruf bei Bobbys Eltern eine Entführung vor.
    "Hallo?
    Mr. Franks? – Ja. - Ich heiße Johnson. Wir haben Ihren Sohn entführt.
    Hören Sie!
    Er ist wohlauf. Seien Sie unbesorgt. Lassen Sie die Polizei aus dem Spiel. Und erwarten Sie unsere Nachricht morgen früh."
    Rolf Schneiders Hörspiel "Die Affäre Leopold / Loeb" ist nur ein Beispiel für das lange Nachleben dieses Verbrechens in Büchern, Filmen, Dramen, sogar im Musical.
    Der Zufall ermöglichte die Überführung der Täter
    Eins hatten Leopold und Loeb nicht vorausberechnen können: den Zufall. Ein Arbeiter hatte an just dem Abflussrohr zu tun, in dem Bobby Franks lag – und neben seiner Leiche lag die Brille, die Nathan Leopold dort verloren hatte. Die Mörder waren bald überführt. Beide gestanden – nur die Tötung selbst wiesen sie sich gegenseitig zu.
    Das Gerichtsverfahren gegen Leopold und Loeb war eine moderne Sensation. Mehrere psychiatrische Gutachter wurden verpflichtet, sogar Sigmund Freud hatte man angefragt. Obwohl das Jahrhundert ja noch relativ jung war, schrieb die Presse vom "Prozess des Jahrhunderts". Aufregend war schon die Fallhöhe von der hohen gesellschaftlichen Position der Angeklagten zum Abgrund in ihrem Inneren. Dazu gehörte aus damaliger Sicht auch ihre homoerotische Beziehung, in der Nathan Leopold, der begeisterte Jung-Ornithologe, als der Schwächere erschien.
    "Ich brauchte Loebs Freundschaft. Furchtbar dringend brauchte ich sie."
    Freund Richard Loeb ging als kalter, den intellektuellen Kick suchender Verbrecher in die Geschichte ein. Auch Alfred Hitchcock modellierte das Mörderduo nach diesem Vorbild in seinem Film "Cocktail für eine Leiche".
    Die filmische Verarbeitung des Kriminalfalls
    Hitchcock interessierte in erster Linie die morbide Amoralität der jungen Mörder, ihre persönlichen Hintergründe deutete er nur an. Während der amerikanische Regisseur Richard Fleischer in seinem Film "Der Zwang zum Bösen" die jüdische Herkunft der beiden in ihren fiktiven Namen klarstellt: Strauss und Steiner. Diese Herkunft hatte 1924 gewissen Leuten Anlass zu antisemitischer Hetze gegeben; in der jüdischen Gemeinde wurde sogar Erleichterung darüber geäußert, dass wenigstens auch das Opfer jüdisch war. In ihrer traurigen Lage blieb den Familien der jungen Mörder nur noch, den besten Anwalt für ihre Söhne auszusuchen. Charles Darrow hieß der Mann, ein kampferprobter Gegner der Todesstrafe.
    In Richard Fleischers Film genial verkörpert von Orson Welles. Ein Kraftmensch, der den archaischen Sühnegedanken des amerikanischen Rechts herausfordert. In seinem Plädoyer fuhr Darrow alles auf, was die damalige Wissenschaft an Entlastungsmomenten bot: Veranlagung, Erziehung, Zweifel an der Existenz eines freien Willens. Dass trotzdem keiner einen Mord vergeben konnte, der jenseits noch so hässlicher Begierden als eine Art perverser Kunst ausgeführt worden war, das wusste Darrow. Er wollte nur eins: die beiden vor dem Strick retten.
    "Euer Ehren, wenn das in unserem Staat geschieht, wenn wir nicht humaner und nicht mit mehr Besonnenheit handeln dürfen, als zwei kranke, unfertige junge Menschen, dann bedaure ich es, dass ich so lange gelebt habe."
    Darrow siegte. Leopold und Loeb bekamen lebenslänglich. Loeb wurde nach wenigen Jahren von einem Mithäftling erstochen. Nathan Leopold kam 1958 frei, nach 33 Jahren. Er heiratete und lebte bis 1971.