Elke Durak: Und wir halten ein ganz klein wenig die Spannung. Die Kenner und akustischen Feinschmecker unter Ihnen haben es erkannt: die Ouvertüre zur Walküre. Das hat natürlich seinen Grund, dass wir das Ihnen jetzt zu Gehör bringen. Es geht um Wolfgang Wagner. Er hat heute seine letzte Vorstellung sozusagen als Festspielleiter in Bayreuth. Die nüchterne Nachricht könnte so lauten: Heute werden in Bayreuth die 97. Wagner-Festspiele mit dem Parzival beendet. Es ist die letzte Vorstellung und so weiter. Etwas blumiger könnte es dann so lauten: Letzter Vorhang für den Wagner-Enkel Wolfgang. Heute geht in Bayreuth eine Ära zu Ende. Der Enkel des großen Komponisten und Dirigenten Richard Wagner hat seinen letzten offiziellen Auftritt. Übrigens wird Wolfgang Wagner am Sonnabend 89 Jahre alt. Klaus Umbach, mein Gesprächspartner jetzt, ist auch Wagner-infiziert, hat sich als Musikkritiker und Journalist mehr als einmal mit dem Mythos und seinen Verbreitern befasst. Guten Morgen, Herr Umbach.
Klaus Umbach: Einen schönen guten Morgen.
Durak: Wolfgang Wagner geht. Schade, oder gut so?
Umbach: Vor allen Dingen: Es wird Zeit, würde ich mal sagen.
Durak: Weshalb?
Umbach: Wenn man anfängt, so ein Fazit zu ziehen, dann würde ich am liebsten diesen guten Herrn dritteln, weil Wolfgang Wagner besteht ja aus mehreren Institutionen. Er ist das Oberhaupt einer riesigen Sippschaft, er ist ein Regisseur und er ist ein Festspielleiter. Alle drei Punkte sind, glaube ich, verschieden zu beurteilen.
Durak: Wie hat der Enkel das Erbe des Großvaters all die Jahrzehnte gehütet? Das interessiert mich jetzt mal.
Umbach: Ich denke, er hat es eigentlich gut gehütet. Das betrifft natürlich in erster Linie seine Rolle als Festspielleiter, denn was er nach dem Tod seiner Mutter, nach dem Tod seines Bruders übernahm, da stand er alleine da. Das ganze war auch alles andere als eine sichere Kiste, finanziell und künstlerisch immer noch angeschlagen, belastet vom Dritten Reich und so weiter und so fort. Und dann hat er doch in einem sehr machtbewussten Solo diese Festspiele rausgerissen aus dieser Trümmerlandschaft und hat ein Neu-Bayreuth gegründet, was dann schnell künstlerisch und auch kommerziell sicher dastand.
Durak: Das heißt, das ist das Kränzchen, das Sie ihm flechten?
Umbach: So kann man sagen. Das wäre das Lorbeerkränzchen. Aber dazwischen sind auch Disteln.
Durak: Welche?
Umbach: Da ist erst mal seine Rolle, die er in der Familie gespielt hat. Dieses längs schlohweiße Oberhaupt steht ja einer verzankten und intriganten Sippe vor und da hat er seine Rolle perfekt gespielt. Er hat sich mit seiner Frau Ellen und den beiden Kindern aus dieser Ehe überworfen, mit seiner Schwester Friedelind verkracht und mit allen Mitgliedern der Familie seines verstorbenen Bruders Wieland.
Durak: Also eine ganz normale deutsche Familie?
Umbach: Ich würde sagen mit einigen Denver- und Dallas-Akzenten.
Durak: Gut. - Ich will mal auf Richard Wagner kommen, Herr Umbach. Wem gehört Richard Wagner eigentlich, der Familie oder nicht doch uns allen? Ich will es mal anders fragen: Wird Richard Wagner in Bayreuth gefangen?
Umbach: Nein, das wird er sicher nicht. Er gehört uns allen, wenn wir das so ein bisschen pathetisch sagen wollen, wie alle anderen großen Komponisten, Dichter und so weiter auch. Das ist eine ganz besondere Beziehung zwischen Richard Wagner und Bayreuth, eben dadurch, dass er sich da niedergelassen hat, da die Festspiele gegründet hat, und die halten sich nun schon über 140 Jahre. Das ist sicher etwas Singuläres in der Kultur- und Musikgeschichte. Aber dass Bayreuth diesen Wagner für sich beansprucht und immer noch so tut und auch zum Teil so angesehen wird, als würde hier jeden Sommer Wagner neu erfunden, das ist allerdings eine Schimäre und eine Legende.
Durak: Ich habe noch eine ganz andere Frage. Es geht um die Anhänger von Musikern, um es mal groß zu umschreiben. Bei Konzerten von Tokyo Hotel schreien und kreischen sich die jungen Mädchen vor Begeisterung für die jungen Musiker fast den Verstand aus dem Kopf und sagen wir mal die Großeltern der Teenies warten jahrelang darauf, an eine der sündhaft teueren Karten für Bayreuth zu kommen, und sind irgendwie genauso glücklich, nur ein bisschen leiser. Wollten Sie, Herr Umbach, den jungen Menschen von heute in wenigen Sätzen erklären - wenige Sätze, damit sie auch weiter zuhören -, weshalb die Alten das alles für Wagners Musik tun, was würden Sie erklären?
Umbach: Nichts ist, glaube ich, schwieriger als das. Da müsste man erst mal erklären, was rührt Menschen überhaupt an Musik, auch an klassischer Musik an. Bei Wagner kommt sicher etwas speziell dazu: Diese Musik hat etwas. Ich glaube einer der Großen, Thomas Mann oder wie, hat mal gesagt, es ist eigentlich Falschgold. Es ist, wenn Sie es musikalisch sehen, fabelhaft gemacht. Er war sicher einer der größten, der je sich Töne, Klänge, Harmonien ausgedacht hat, ganz abgesehen von seinem dramatischen und dramaturgischen Können, das sich in seinen großen Opern ausspielt. Aber irgendwo hat diese Musik etwas zugleich Vernichtendes und Anhimmelndes. Das ist sehr komisch und man kann das auch nicht vereinheitlichen. Das Werk Wagners unterscheidet sich. Die Frühwerke sind noch relativ nicht simpel gestrickt, aber konventionell gemacht, während die späten, vor allen Dingen Tristan, der Ring und auch Parzival, natürlich weit in die Zukunft weisen und Harmonien haben, die dann später bei Schönberg, gar bei Stockhausen wiederkommen.
Durak: Ich bleibe hängen beim Wort "vernichten". Was wird vernichtet, wer wird vernichtet?
Umbach: Habe ich das Wort "vernichten" benutzt?
Durak: Ja. "Die Musik vernichtet auch irgendwie", haben Sie gesagt.
Umbach: Ja, er vernichtet. Ich meine, wenn Sie sich vorstellen, dass in den Werken doch wahnsinnig viele Morde passieren, Menschen sich hintergehen, Menschen verraten, sterben - und zwar sterben sie zum Teil ja einen unwirklichen Tod wie beispielsweise den Liebestod -, das alles ist Ausfluss der schopenhauerschen Philosophie. Das ist eine Thematik, die in dieser Art geballter Ladung und geballter Wirkung eigentlich bei keinem anderen Komponisten des Abendlandes aufgetaucht ist.
Durak: In der Musik nicht, aber im normalen Fernsehen und da komme ich auf die heutigen jungen Leute zurück. Das erleben die alltäglich. Könnte man Wagner jungen Leuten irgendwie nahe bringen?
Umbach: Ich denke ja. Wenn jemand endlich die Fantasie und vor allen Dingen das Geld hätte. Die wagnerschen Werke, sage ich jetzt mal, in hollywoodeskem Großformat und Cinetechnik in die großen Kinos zu bringen mit allem, was heute dazu gehört, dann wäre wahrscheinlich der Eindruck ganz fulminant. Das heißt aber nicht, dass nun alle Teenies von morgens bis abends Walküre und Götterdämmerung hören sollen.
Durak: Das machen ja auch die Alten nicht. - Aber ich hätte eine Idee für die Finanzierung für diese Jugendbildung. Man könnte etwas von den Millionen-Subventionen für Bayreuth abzwacken. Gehen die in Ordnung? Ist das richtig?
Umbach: Ja! Ich denke, man kann über Bayreuth wahrscheinlich endlos streiten. So gigantisch sind die Investitionen für Bayreuth ja nicht. Wenn ich sehe, was beispielsweise so große Opernhäuser wie die Bayerische Staatsoper oder auch die Berliner Staatsoper von Daniel Barenboim verschlingen, daran ist der Subventionsanteil des Staates, das heißt also Bund, Länder und Kommunen, vergleichsweise gering. Ich denke, bei allem was man gegen Bayreuth haben kann, es ist schon natürlich ein Bollwerk deutscher Kulturgeschichte, auch mit dem deutschen Flecken daran, dem bösen.
Durak: Erschrecken Sie mich jetzt nicht mit Bollwerk. - Herr Umbach, wir wollen hier einen Punkt setzen. Wir haben ausdrücklich nicht über die Nachfolge(rinnen) gesprochen, denn heute ist der Tag für Wolfgang Wagner, sein letzter Vorhang, und das war uns dieses Gespräch auf jeden Fall wert. Besten Dank! - Klaus Umbach, Musikkritiker und Journalist.
Klaus Umbach: Einen schönen guten Morgen.
Durak: Wolfgang Wagner geht. Schade, oder gut so?
Umbach: Vor allen Dingen: Es wird Zeit, würde ich mal sagen.
Durak: Weshalb?
Umbach: Wenn man anfängt, so ein Fazit zu ziehen, dann würde ich am liebsten diesen guten Herrn dritteln, weil Wolfgang Wagner besteht ja aus mehreren Institutionen. Er ist das Oberhaupt einer riesigen Sippschaft, er ist ein Regisseur und er ist ein Festspielleiter. Alle drei Punkte sind, glaube ich, verschieden zu beurteilen.
Durak: Wie hat der Enkel das Erbe des Großvaters all die Jahrzehnte gehütet? Das interessiert mich jetzt mal.
Umbach: Ich denke, er hat es eigentlich gut gehütet. Das betrifft natürlich in erster Linie seine Rolle als Festspielleiter, denn was er nach dem Tod seiner Mutter, nach dem Tod seines Bruders übernahm, da stand er alleine da. Das ganze war auch alles andere als eine sichere Kiste, finanziell und künstlerisch immer noch angeschlagen, belastet vom Dritten Reich und so weiter und so fort. Und dann hat er doch in einem sehr machtbewussten Solo diese Festspiele rausgerissen aus dieser Trümmerlandschaft und hat ein Neu-Bayreuth gegründet, was dann schnell künstlerisch und auch kommerziell sicher dastand.
Durak: Das heißt, das ist das Kränzchen, das Sie ihm flechten?
Umbach: So kann man sagen. Das wäre das Lorbeerkränzchen. Aber dazwischen sind auch Disteln.
Durak: Welche?
Umbach: Da ist erst mal seine Rolle, die er in der Familie gespielt hat. Dieses längs schlohweiße Oberhaupt steht ja einer verzankten und intriganten Sippe vor und da hat er seine Rolle perfekt gespielt. Er hat sich mit seiner Frau Ellen und den beiden Kindern aus dieser Ehe überworfen, mit seiner Schwester Friedelind verkracht und mit allen Mitgliedern der Familie seines verstorbenen Bruders Wieland.
Durak: Also eine ganz normale deutsche Familie?
Umbach: Ich würde sagen mit einigen Denver- und Dallas-Akzenten.
Durak: Gut. - Ich will mal auf Richard Wagner kommen, Herr Umbach. Wem gehört Richard Wagner eigentlich, der Familie oder nicht doch uns allen? Ich will es mal anders fragen: Wird Richard Wagner in Bayreuth gefangen?
Umbach: Nein, das wird er sicher nicht. Er gehört uns allen, wenn wir das so ein bisschen pathetisch sagen wollen, wie alle anderen großen Komponisten, Dichter und so weiter auch. Das ist eine ganz besondere Beziehung zwischen Richard Wagner und Bayreuth, eben dadurch, dass er sich da niedergelassen hat, da die Festspiele gegründet hat, und die halten sich nun schon über 140 Jahre. Das ist sicher etwas Singuläres in der Kultur- und Musikgeschichte. Aber dass Bayreuth diesen Wagner für sich beansprucht und immer noch so tut und auch zum Teil so angesehen wird, als würde hier jeden Sommer Wagner neu erfunden, das ist allerdings eine Schimäre und eine Legende.
Durak: Ich habe noch eine ganz andere Frage. Es geht um die Anhänger von Musikern, um es mal groß zu umschreiben. Bei Konzerten von Tokyo Hotel schreien und kreischen sich die jungen Mädchen vor Begeisterung für die jungen Musiker fast den Verstand aus dem Kopf und sagen wir mal die Großeltern der Teenies warten jahrelang darauf, an eine der sündhaft teueren Karten für Bayreuth zu kommen, und sind irgendwie genauso glücklich, nur ein bisschen leiser. Wollten Sie, Herr Umbach, den jungen Menschen von heute in wenigen Sätzen erklären - wenige Sätze, damit sie auch weiter zuhören -, weshalb die Alten das alles für Wagners Musik tun, was würden Sie erklären?
Umbach: Nichts ist, glaube ich, schwieriger als das. Da müsste man erst mal erklären, was rührt Menschen überhaupt an Musik, auch an klassischer Musik an. Bei Wagner kommt sicher etwas speziell dazu: Diese Musik hat etwas. Ich glaube einer der Großen, Thomas Mann oder wie, hat mal gesagt, es ist eigentlich Falschgold. Es ist, wenn Sie es musikalisch sehen, fabelhaft gemacht. Er war sicher einer der größten, der je sich Töne, Klänge, Harmonien ausgedacht hat, ganz abgesehen von seinem dramatischen und dramaturgischen Können, das sich in seinen großen Opern ausspielt. Aber irgendwo hat diese Musik etwas zugleich Vernichtendes und Anhimmelndes. Das ist sehr komisch und man kann das auch nicht vereinheitlichen. Das Werk Wagners unterscheidet sich. Die Frühwerke sind noch relativ nicht simpel gestrickt, aber konventionell gemacht, während die späten, vor allen Dingen Tristan, der Ring und auch Parzival, natürlich weit in die Zukunft weisen und Harmonien haben, die dann später bei Schönberg, gar bei Stockhausen wiederkommen.
Durak: Ich bleibe hängen beim Wort "vernichten". Was wird vernichtet, wer wird vernichtet?
Umbach: Habe ich das Wort "vernichten" benutzt?
Durak: Ja. "Die Musik vernichtet auch irgendwie", haben Sie gesagt.
Umbach: Ja, er vernichtet. Ich meine, wenn Sie sich vorstellen, dass in den Werken doch wahnsinnig viele Morde passieren, Menschen sich hintergehen, Menschen verraten, sterben - und zwar sterben sie zum Teil ja einen unwirklichen Tod wie beispielsweise den Liebestod -, das alles ist Ausfluss der schopenhauerschen Philosophie. Das ist eine Thematik, die in dieser Art geballter Ladung und geballter Wirkung eigentlich bei keinem anderen Komponisten des Abendlandes aufgetaucht ist.
Durak: In der Musik nicht, aber im normalen Fernsehen und da komme ich auf die heutigen jungen Leute zurück. Das erleben die alltäglich. Könnte man Wagner jungen Leuten irgendwie nahe bringen?
Umbach: Ich denke ja. Wenn jemand endlich die Fantasie und vor allen Dingen das Geld hätte. Die wagnerschen Werke, sage ich jetzt mal, in hollywoodeskem Großformat und Cinetechnik in die großen Kinos zu bringen mit allem, was heute dazu gehört, dann wäre wahrscheinlich der Eindruck ganz fulminant. Das heißt aber nicht, dass nun alle Teenies von morgens bis abends Walküre und Götterdämmerung hören sollen.
Durak: Das machen ja auch die Alten nicht. - Aber ich hätte eine Idee für die Finanzierung für diese Jugendbildung. Man könnte etwas von den Millionen-Subventionen für Bayreuth abzwacken. Gehen die in Ordnung? Ist das richtig?
Umbach: Ja! Ich denke, man kann über Bayreuth wahrscheinlich endlos streiten. So gigantisch sind die Investitionen für Bayreuth ja nicht. Wenn ich sehe, was beispielsweise so große Opernhäuser wie die Bayerische Staatsoper oder auch die Berliner Staatsoper von Daniel Barenboim verschlingen, daran ist der Subventionsanteil des Staates, das heißt also Bund, Länder und Kommunen, vergleichsweise gering. Ich denke, bei allem was man gegen Bayreuth haben kann, es ist schon natürlich ein Bollwerk deutscher Kulturgeschichte, auch mit dem deutschen Flecken daran, dem bösen.
Durak: Erschrecken Sie mich jetzt nicht mit Bollwerk. - Herr Umbach, wir wollen hier einen Punkt setzen. Wir haben ausdrücklich nicht über die Nachfolge(rinnen) gesprochen, denn heute ist der Tag für Wolfgang Wagner, sein letzter Vorhang, und das war uns dieses Gespräch auf jeden Fall wert. Besten Dank! - Klaus Umbach, Musikkritiker und Journalist.