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Vor dem rot-grünen Spitzentreffen - Beharren auf den Koalitionsvereinbarungen oder Kompromißlinien mit der SPD in Sicht?

Heinlein: Der große Koalitionskrach zwischen SPD und Grünen bleibt vorerst aus. Was bis gestern noch ein Zankapfel zwischen den beiden Parteien war, der Streit um die Wiederaufbereitung atomarer Brennstäbe, wurde gestern von beiden Seiten vorerst für beendet erklärt. Dies wurde möglich durch einen Kompromiß, der zwar ein Verbot der Wiederaufbereitung von deutschen Atombrennstäben im Ausland vorsieht, jedoch erst in einem Jahr in Kraft treten soll. Damit, so scheint es, können beide Seiten ihr Gesicht wahren und die Atomwirtschaft erhält genug Zeit, sich über den Ausstieg aus den laufenden Verträgen zu einigen. Dennoch gibt es für die heutige Koalitionsrunde in Berlin genügend Gesprächsstoff, und darüber wollen wir jetzt reden mit der Grünen-Fraktionssprecherin Kerstin Müller. Guten Morgen Frau Müller!

    Müller: Guten Morgen!

    Heinlein: Frau Müller, Kanzleramtsminister Bodo Hombach erwartet für heute abend ein harmonisches Treffen. Teilen Sie diese Einschätzung?

    Müller: Im großen und ganzen teile ich diese Einschätzung. Wir wollen ja heute abend auch gemeinsam eine Arbeitsplanung für 1999 vornehmen. Es hat ja zu Beginn im Auslaufen des letzten Jahres doch einiges an Durcheinander gegeben. Das kommt im nächsten Jahr nicht mehr vor. Die wichtigen Projekte werden wir gemeinsam festlegen.

    Heinlein: Einigung, Frau Müller, wurde ja gestern auch zum Staatsbürgerschaftsrecht zwischen den Innen- und Rechtspolitikern erzielt. Was wurde denn im einzelnen vereinbart?

    Müller: Im Kernbereich sieht der Entwurf des Innenministers die Umsetzung der Koalitionsvereinbarung vor. Er wird das hier heute auch vorstellen. Im Kernbereich bedeutet für uns, daß festgehalten ist das Geburtsrecht auf den deutschen Paß für die zweieinhalbte Generation und zum zweiten unter Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft, und zwar ohne Einschränkung. Wir haben uns vor allen Dingen gestern abend gemeinsam vorgenommen, daß wir, SPD und GRÜNE, geschlossen gegen die ausländerfeindliche und demagogische Campagne der CDU vorgehen werden, die eben vor allem bei der doppelten Staatsbürgerschaft mit Unwahrheiten polemisiert und sich überhaupt nicht auf einer sachlichen Ebene bewegt.

    Heinlein: Wo ist denn, Frau Müller, die grüne Handschrift bei diesem Gesetzentwurf?

    Müller: Die zweieinhalbte Generation, die wir im letzten Jahr bei dem Koalitionsvertrag vereinbart haben, das ist die grüne Handschrift und auch die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft ohne Einschränkung, zwei Dinge, für die die Bündnis-Grünen seit sehr, sehr langer Zeit kämpfen. Wir sind der Meinung, das ist wirklich überfällig. Wir brauchen eine moderne Staatsbürgerschaft. Deutschland im Herzen von Europa hat eines der konservativsten und reaktionärsten Staatsangehörigkeitsrechte in Europa, und das muß sich verändern. Die acht Prozent hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer müssen endlich die gleichen Bürgerrechte erhalten. Dafür kämpfen wir seit sehr langem, und wir sind auch wild entschlossen, diesen Gesetzentwurf zügig umzusetzen. Es wird natürlich noch einige Änderungen geben. Auch wir haben Kritik natürlich im Detail. Ziel ist es, bis zur Sommerpause dies durchzuziehen. Ich muß Ihnen auch sagen, wir sehen im Moment überhaupt keinen Gesprächsbedarf mit der Opposition.

    Heinlein: Kritik im Detail, sagen Sie. Können Sie dort einige Punkte nennen?

    Müller: Zum einen wollen wir natürlich nicht, daß ein Gesinnungs-TÜV für ausländische Bürger beim Einbürgerungsverfahren eingeführt wird, zum Beispiel dadurch, daß eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz läuft. Wir haben uns aber gestern verständigt, daß die im Entwurf gefundene Formulierung dies auch nicht will. Wir wollen jetzt nicht die ausländischen Mitbürger unter einen Generalverdacht stellen. Das war und ist für uns ein wichtiger Punkt. Zum zweiten möchten wir, daß auch ausländische Mitbürger, die lange hier leben, aber vielleicht ergänzend Sozialhilfe erhalten, nicht von Einbürgerungen ausgeschlossen sind. Da hatten wir bei dem Entwurf einige Zweifel.

    Heinlein: Und in diesen Punkten gibt es Meinungsverschiedenheiten mit der SPD, die heute abend noch geklärt werden müssen?

    Müller: Da gibt es zum Teil Meinungsverschiedenheiten, aber ich denke, wir müssen darüber heute abend nicht reden, sondern wir werden im Laufe des Verfahrens hier zu konsensualen Formulierungen kommen.

    Heinlein: Kommen wir zur Atompolitik, Frau Müller. Dort scheint sich ja mit der Jahresfrist ein Kompromiß für diesen Gesetzentwurf anzubahnen. Wie sieht denn der beschlossene Kompromiß im einzelnen aus?

    Müller: Im einzelnen kann ich Ihnen das auch noch nicht sagen, weil wir den erst heute vorgestellt bekommen. Von der Grundlinie her wird es wohl so sein, daß wir zwar ein Verbot der Wiederaufarbeitung bei der Atompolitik aufnehmen, dieses aber erst in einem Jahr in Kraft tritt. Ich denke, das ist ein Kompromiß, mit dem beide Seiten sehr gut leben können. Für uns als Bündnis-Grüne ist sehr wichtig, daß der Ausstieg aus der Atomenergie unumkehrbar eingeleitet wird, und zwar in diesem Jahr. Es gehört zu einem der ganz wichtigen Projekte für die Arbeitsplanung in 1999. Die Konsensgespräche werden in diesem Jahr starten, aber es wird auch die Atomrechtsnovelle geben. Sie wird zu Beginn des Jahres in den Gesetzgebungsgang eingebracht.

    Heinlein: Im Klartext, Frau Müller, bedeutet der jetzt von Ihnen geschilderte Kompromiß aber, daß die Atomtransporte von Deutschland nach Frankreich und Großbritannien in diesem Frühjahr vorerst wieder aufgenommen werden?

    Müller: Das muß man sehen. Ich glaube, daß eigentlich keiner ein Interesse daran hat. Es muß hier Gespräche mit der französischen Regierung, mit dem französischen Hersteller geben. Unser Ziel ist es natürlich, daß hier möglichst keine Transporte mehr stattfinden. Es ist ja leider so, daß noch sehr viel Material in Frankreich lagert. Das ist eher das Problem, daß eben noch sehr viel waffenfähiges Plutonium hergestellt werden kann, und das ist für uns der entscheidende Punkt. Wir wollen aus der Plutoniumwirtschaft aussteigen.

    Heinlein: Eng verbunden, Frau Müller, mit dem Thema Atomausstieg ist ja die Förderung von Alternativenergien. Hier will Oskar Lafontaine, der Bundesfinanzminister, die Fördergelder im kommenden Jahr drastisch kürzen. Dies wird von Ihrer Partei heftig kritisiert. Wie soll denn dort ein Kompromiß aussehen?

    Müller: Darüber wird man heute abend zu sprechen haben. Ich sehe das ganz gelassen, weil ich glaube, in der Sache gibt es eigentlich keine Differenz. Auch Herr Lafontaine, auch die SPD möchte eine Förderung von Alternativen, von regenerativen Energien. Sie müssen ja sehen, wir wollen aussteigen aus der Atomenergie. Das haben wir festgehalten. Es wird hier die ersten Gespräche geben, es wird die Atomrechtsnovelle geben. Das bedeutet aber auch, daß wir parallel natürlich einleiten müssen den Umstieg auf Alternativenergien. Von daher ist es sehr wichtig, daß wir auch im Haushalt hier Spielraum schaffen, wobei Fördermittel nicht das einzige Mittel sind. Der andere Weg ist ja die ökologische Steuerreform, die zum 01. 04. im ersten Schritt in Kraft treten wird, und auch sie wird darauf hinauslaufen, daß wir wirklich alternative Energien im Ergebnis fördern werden.

    Heinlein: Zur heutigen Koalitionsrunde von SPD und GRÜNEN in Berlin Kerstin Müller, Fraktionssprecherin der GRÜNEN, heute morgen hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank für dieses Gespräch!