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Vor der Sommerpause kann mit der Auszahlung begonnen werden

Meurer: Ein Berufungsgericht in New York hat gestern den Weg weiter frei gemacht, damit endlich die rund zehn Milliarden Mark aus dem Entschädigungsfonds für ehemalige NS-Zwangsarbeiter ausgezahlt werden können. Das Gericht revidierte nämlich die letzten Bedingungen, die die New Yorker Richterin Kram aufgestellt hatte. Damit werden jetzt die vorliegenden Klagen gegen deutsche Banken abgewiesen. Zufriedenheit in Deutschland. Auch die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ist zufrieden. Aber die Revision reiche - Zitat - "definitiv und leider nicht aus, um Rechtssicherheit feststellen zu lassen". - Am Telefon begrüße ich nun den Sonderbeauftragten der Bundesregierung für die Zwangsarbeiterentschädigung, Otto Graf Lambsdorff (FDP). Guten Morgen Graf Lambsdorff!

    Graf Lambsdorff: Guten Morgen Herr Meurer.

    Meurer: Wie zufrieden sind Sie denn mit der Entscheidung des Berufungsgerichts?

    Graf Lambsdorff: Sehr zufrieden. Es ist ein fabelhaftes Urteil. Ich bin außerordentlich erleichtert, dass wir so weit gekommen sind. Ich bin außerordentlich erleichtert, dass sich jetzt herausstellt, trotz aller kritischen und pessimistischen Erwartungen, dass über das "Statement of Interrest" Rechtssicherheit erreicht werden kann. Es hat seine volle Wirkung gezeigt. Es sind unsere Argumente gegen die Entscheidung von Frau Kram aufgenommen worden, vom Gericht völlig geteilt worden. All diejenigen, die versucht haben, die Entscheidung von Frau Kram auch noch schön zu reden - und die hat es ja auch auf deutscher Seite gegeben -, sind von diesem New Yorker Gericht eines besseren belehrt worden, wobei hinzu kommt, dass auch für die noch anstehenden Fälle, auf die Sie ja eben hingewiesen und aufmerksam gemacht haben, die klaren Sätze dieses Gerichtes wichtig und hilfreich sind, denn hier wird gesagt, in außenpolitischen Dingen haben die Gerichte nichts zu suchen. Ich sage das einmal so platt. Das ist natürlich auch für die noch weiteren anstehenden und offenen Prozesse von großer Bedeutung.

    Meurer: Sind wir jetzt so weit, dass der Bundestag nunmehr Rechtssicherheit feststellen kann?

    Graf Lambsdorff: Wir werden uns jetzt genau an das Verfahren halten, das verabredet worden ist. Ich bin heute mit dem Bundeskanzler verabredet und heute Abend mit Herrn Dr. Gentz von der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft. Die Verabredung vom 14. März zwischen dem Bundeskanzler und den 14 Vorstandsvorsitzenden der Unternehmen der Stiftungsinitiative lautet, unmittelbar nach dem Kram-Urteil setzen wir uns zusammen und besprechen, was eventuell noch den Eintritt und die Erklärung, es sei nun Rechtsfrieden eingetreten, hindern könne. Ich muss auf eines aufmerksam machen: Das Berufungsgericht hat Frau Kram angewiesen, ihre Entscheidung zu ändern. Diese Änderung haben wir natürlich noch nicht. Sie kann das nicht gut über Nacht tun. Ich muss auf eine zweite theoretische Möglichkeit aufmerksam machen: Wir haben schon vieles erlebt in diesem Verfahren. Frau Kram hat theoretisch die Möglichkeit, den Supreme Court in den USA gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes anzurufen. Die Erwartungen eigentlich aller Anwälte, die damit beschäftigt sind, heißen: das wird sie wohl nicht tun.

    Meurer: Wie lange wird es Ihrer Meinung nach dauern, bis sich Frau Kram entscheidet?

    Graf Lambsdorff: Sie ist angewiesen, das in aller Kürze zu tun. Alle mit denen ich in New York gesprochen habe haben mir versichert, dass es nur wenige Tage dauern dürfte. Es kann nicht sein und es ist auch nicht der Fall - das darf man auch Frau Kram bei all ihrer Eigenwilligkeit nicht unterstellen -, dass sie den Anordnungen des Berufungsgerichtes nicht zügig folgt.

    Meurer: Werden Sie und der Bundeskanzler heute der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft ins Gewissen reden?

    Graf Lambsdorff: Ich bin heute Abend wie ich Ihnen sagte mit der Stiftungsinitiative verabredet. Ich will hier nicht von ins Gewissen reden sprechen. Wir werden die relevanten Fälle durchdeklinieren und durchsprechen. Ich will versuchen, dass wir sehr schnell - vielleicht kann ich es alleine mit Herrn Dr. Gentz schaffen - zu einem Ergebnis kommen. Wenn das nicht gelingt, dann wird der Bundeskanzler noch einmal die Vorsitzenden der Unternehmen der Stiftungsinitiative einladen. Das ist ebenfalls schon am 14. März besprochen worden. Das hat er gerade in den letzten Tagen noch einmal öffentlich bestätigt. Aber eines scheint mir jetzt klar zu sein. Das kann ich glaube ich mit Sicherheit sagen, so weit man das Wort Sicherheit in diesen Fällen und dem ganzen Gang der Ereignisse überhaupt hier benutzen darf. Jetzt werden wir mit Sicherheit vor der Sommerpause den Beschluss haben und mit dem Auszahlungsprozess beginnen können.

    Meurer: Noch kurz: Wie viel Geduld haben Sie noch mit der deutschen Wirtschaft?

    Graf Lambsdorff: Ich habe unendliche Geduld. Ich habe mir mit diesen zwei Jahren eine Eigenschaft zulegen müssen, die mir bisher nicht gerade zu Gebote stand, nämlich Geduld. Mit Ungeduld und mit der Brechstange ist hier nichts oder wenig zu erreichen. Es muss alles getan werden, um alle Beteiligten zusammen zu halten: die Politik, die Wirtschaft, jetzt auch die Stiftungsinitiative, die Opferverbände. Wir haben das bisher geschafft, Herr Meurer. Wir haben im Juli 2000 in Berlin eine riesige Gruppe von Unterzeichnern zusammen gebracht, um die gemeinsame Erklärung, das Regierungsabkommen und so weiter zu unterschreiben. Das konnte kaum jemand vorher erwarten. Da wird es uns doch wohl noch gelingen, auf der deutschen Seite zusammen zu kommen und zu einem einvernehmlichen Abschluss dieser Angelegenheit zu kommen. Es müsste schon sehr erstaunlich zugehen, wenn das, was international mit sehr widerstreitenden Interessen möglich ist, auf der deutschen Seite nicht geschehen sollte.

    Meurer: Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung, Otto Graf Lambsdorff, heute Morgen im Deutschlandfunk. - Besten Dank und auf Wiederhören!

    Link: Interview als RealAudio