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Vor der Wahl in Hamburg
Streit um SPD-Baupolitik

Die Wohnungsknappheit und explodierende Mieten bekämpfen - das gehörte zu den wichtigsten Zielen, als die SPD vor vier Jahren ins Hamburger Rathaus einzog. Mindestens 6.000 neue Wohnungen pro Jahr versprach Regierungschef Olaf Scholz. Doch viele Hamburger sind alles andere als begeistert von der Baupolitik des SPD-Senats.

Von Jasper Barenberg | 09.02.2015
    Wohnungsbau in Hamburg
    Wohnungsbau in Hamburg: In der Stadt fehlen 30.000 bis 40.000 bezahlbare Wohnungen. (dpa/picture alliance/Angelika Warmuth)
    Wo viele Jahre eine Industriebrache war und dann ein provisorischer Parkplatz, heben jetzt Bagger die Grube für einen Neubau aus, werden hinter einem meterhohen Zaun Fundamente im Boden versenkt. Jeannette Bleeker blickt fassungslos aus dem Fenster ihrer Altbauwohnung im begehrten Stadtteil Ottensen:
    "Ich fühle mich entwürdigt. Das konnte ich einfach nicht glauben: Dass die Politik einfach über die Bürger, die Menschen hinweg Entschei¬dun¬gen durchzusetzen versucht, ohne überhaupt die Menschen zu informieren."
    86 Wohnungen waren auf dem Gelände einmal geplant, knapp die Hälfte von ihnen sozial gefördert, zu erschwing¬lichen Preisen. Die Politiker vor Ort jubelten, ließen sich feiern. Um dann überraschend bekannt zu geben, was hinter den Kulissen angebahnt worden war: Statt der Sozialwohnungen wird auf dem Gelände jetzt die sechsstöckige Firmenzentrale für die Werbeagentur Scholz & Friends hochgezogen. Mit Platz für bis zu 1.000 Mitarbeiter. Kommunikations¬be¬rater Hauke Sann hat sein Büro gleich neben der Baustelle.
    "Ich war auch entsetzt - einfach wegen der Größenordnung des Projektes. Weil ich nicht verstehe, wie es angehen kann, dass jemand exklusiv ein Grundstück bekommt für Wohnungsbau und einfach so ohne Neuausschreibung selber entscheiden kann: Ich baue jetzt hier einen riesigen Werbekomplex und verdiene jetzt richtig mit diesem Grundstück - mit einem öffentlichen städtischen Grundstück!"
    Mit ihrer Initiative "Pro Wohnen Ottensen" wollen Hauke Sann und Janette Bleeker das Projekt noch stoppen. Aus Sorge, die gewachsene Mischung aus Kultur, kleinen Läden, Gewerbe und Gastronomie könnte schweren Schaden nehmen. Im Widerstand gegen das, was sie den Ausverkauf Ottensens an einige wenige Profiteure nennen. Und in dem Gefühl, von den Politikern getäuscht worden zu sein. Im mächtigen Rathaus mit Blick auf die Alster aber kann Sozialdemokrat Dirk Kienscherf über all die Empörung nur heftig den Kopf schütteln.
    "Diese Fläche ist überhaupt nicht dazu geeignet zu sagen, hier wird Wohnungsbaufläche geopfert für Gewerbefläche. Diese Fläche war immer eine Gewerbefläche!"
    Hamburg soll weiter wachsen
    Den Sorgen der Anwohner hält der Sprecher für Stadtentwicklung der SPD-Fraktion den seit 20 Jahren geltenden Bebauungsplan entgegen. Und ein Gutachten der Finanzbehörde. Demnach war das Wohnungsprojekt eine Art Notlösung - bis sich glücklicherweise doch noch ein gewerblicher Nutzer fand.
    "Ottensen lebt davon, dass es ein gemischtes Viertel ist, dass dort arbeiten und wohnen ist. Ich kenne 20 Projekte, wo früher Gewerbe war, wo nur noch Wohnungen sind. Und dieser Stadtteil braucht eben auch Arbeitsplätze und Hamburg braucht Arbeitsplätze."
    Hamburg wächst und soll weiter wachsen, soll Unternehmen anziehen, Fachkräfte, Einwohner. So will es Olaf Scholz, der Erste Bürgermeister. Und dass jeder, der eine Wohnung sucht, auch eine findet. "Versprechen gehalten" steht auf dem Faltblatt, dass sich auch im Büro von Dirk Kienscherf stapelt. Die Zahlen betet er auswendig herunter: 30 Tausend Baugenehmigungen hat die Stadt in den letzten vier Jahren erteilt, 2013 wurden 6.400 neue Wohnungen fertiggestellt, vergangenes Jahr nach vorläufigen Zahlen fast ebenso viele. Über diesen Erfolg freut sich auch Siegmund Chychla vom Hamburger Mieterverein. Gerade weil er weiß, dass unter dem Strich jedes Jahr immer noch mehr Sozialwohnungen vom Markt verschwinden als neue gebaut werden. Dass nur die versprochene Mietpreisbremse die explodierenden Mietkosten zumindest ein Stück zügeln könnten.
    "Wir müssen sehen, dass in der Stadt 30.000 bis 40.000 bezahlbare Wohnungen fehlen. Das heißt, auch wenn man jährlich 6.000 Einheiten baut, wovon 2.000 Sozialwohnungen sind, und zugleich einen sehr starken Zuzug in die Stadt hat, dann kann man dazu sagen: Wir müssen mehr bauen und langfristig bauen!"
    Die Grünen in Hamburg aber pochen auf mehr Nachhaltigkeit, die CDU hält nicht viel von der Mietpreisbremse. Und so fürchtet der Mieterverein vor allem eines: Dass beim Wohnungsbau der Schwung verloren gehen könnte, sollte die SPD nach der Bürgerschaftswahl auf einen Koalitionspartner angewiesen sein.
    Auf der Baustelle in Ottensen wollen Jeannette Bleeker und Hauke Sann den Schwung noch bremsen. Gerade sammeln sie die letzten Unter¬schriften für ein Bürgerbegehren gegen den Bürokomplex von "Scholz & Friends".