Archiv


"Vor einem Missbrauch nie hundertprozentig sicher"

Es gebe keine Hinweise darauf, dass die von Deutschland nach Syrien exportierten Chemikalien für Waffen verwendet wurden, sagt Ruprecht Polenz, (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Deutschland habe sich bei der Ausfuhr an alle Bestimmungen gehalten.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Peter Kapern |
    Peter Kapern: Das hier hat die Bundeskanzlerin gesagt: "Nach allen Erkenntnissen, die mir vorliegen, sind sie für zivile Dinge genutzt worden." Sie, das sind jene 140 Tonnen Chemikalien, die zwischen 2002 und 2006 aus Deutschland nach Syrien exportiert worden sind - Chemikalien, die auch zur Produktion von Chemiewaffen genutzt worden sein könnten, theoretisch jedenfalls. Die Stoffe wurden verkauft in ein Land, von dem - davon gehen alle Experten aus - schon damals bekannt war, dass es chemische Waffen produziert, und das wirft Fragen auf und die soll uns Ruprecht Polenz von der CDU, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag beantworten. Guten Morgen.

    Ruprecht Polenz: Einen schönen guten Morgen.

    Kapern: Herr Polenz, in einem Kommentar der "Neuen Westfälischen Zeitung" aus Bielefeld findet sich heute dieser Satz: "Wer waffenfähige Substanzen an Diktatoren verkauft, handelt ruchlos." Stimmen Sie zu?

    Polenz: Nein. Wir haben viele sogenannte Dual-Use-Güter, die also sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke benutzt werden können. Ich will mal zwei Beispiele nennen: Eine Düngemittelfabrik gehört dazu genauso wie Maschinen, mit denen man Stahlkochtöpfe tiefziehen kann. Das ist der Fachausdruck dafür, für die Herstellung von Töpfen. Das kann auch mit ein paar Umstellungen gebraucht werden, um Raketenspitzen herzustellen. Also es gibt Dual-Use-Güter, und weil sie für mehrere Zwecke, also für zivile und für militärische Zwecke gebraucht werden können, gibt es dafür besondere Ausfuhr-Regime, die sicherstellen sollen, dass sie nur zu friedlichen Zwecken benutzt werden, und ich gehe davon aus, dass auch die rot-grüne Koalition und dann anschließend die Große Koalition diese Vorschriften beachtet hat, auch bei dem Export dieser chemischen Substanzen an Syrien.

    Kapern: Die Vorschriften zu beachten, das ist ja vielleicht das eine. Aber festzustellen, dass die Vorschriften vielleicht gar nicht ausreichend sind, das wäre ja etwas ganz anderes. Wie sehen Sie das? Sind diese Regelungen reformbedürftig?

    Polenz: Nun, man hat sich bei dieser Genehmigung - das ist in der Pressekonferenz der Bundesregierung auch gesagt worden - natürlich auch der Erkenntnisse des Bundesnachrichtendienstes und anderer Länder der sogenannten Australien-Gruppe bedient. Die Australien-Gruppe, darin sind Länder zusammengeschlossen, die sich etwa mit der Ausfuhr chemischer Grundsubstanzen beschäftigen, die das machen. Dem gehören allerdings nicht alle Länder an. Wenn Assad beispielsweise sich hätte diese Substanzen beschaffen wollen, Russland, China, die über solche Substanzen auch verfügen, gehören der Australien-Gruppe nicht an. Dort hätte er es wesentlich leichter gehabt.

    Kapern: Das heißt also im Klartext: Wenn wir das Geschäft mit Assad nicht machen, dann machen es andere?

    Polenz: Nein, sondern es heißt, es gab zum damaligen Zeitpunkt keine Wirtschaftssanktionen gegen Syrien. Es war ja eine Zeit, wo sich etwa die deutsche Außenpolitik, Minister Fischer, aber anschließend auch Außenminister Steinmeier darum bemüht haben, Syrien von seiner Politik in der Region ein Stück weit abzubringen, eine Distanz zum Iran beispielsweise einzunehmen. Man hat sich um Syrien bemüht und dazu hätte nicht gepasst, jetzt ein Sanktionsregime einzuführen, was über das normale Handeln mit diesen Gütern hinaus gewesen wäre.

    Kapern: Das heißt, man versucht, einen Diktator zu mäßigen, indem man ihm Rohstoffe verkauft, die durchaus auch zur Chemiewaffen-Produktion benutzt werden können?

    Polenz: Sie sollten ja - und das ist ja auch überprüft worden - zivilen Zwecken dienen. Fluorwasserstoffe werden beispielsweise auch bei uns dem Trinkwasser beigemischt zur Karies-Prophylaxe. Ich weiß nicht genau - das sind Auskünfte, die wir vielleicht vom Wirtschaftsministerium noch bekommen können -, zu welchen Zwecken seinerzeit diese Stoffe benutzt werden sollten. In den Antworten ist bisher von zivilen, friedlichen Zwecken die Rede, die plausibel dargelegt worden seien. Ich habe keinen Grund, an dieser Plausibilität heute zu zweifeln. Im Übrigen muss man ja auch festhalten: Assad hatte chemische Waffen in großem Umfang in seinen Depots. Es ist ja die Frage, was hat er überhaupt noch in den letzten Jahren produziert, wie alt sind sozusagen seine Bestände. Soweit ich weiß, verfallen chemische Waffen nicht von sich aus. Sie haben sozusagen kein Verfallsdatum. Das ist ja jetzt auch eine der Schwierigkeiten bei der Vernichtung der chemischen Waffen von Assad.

    Kapern: Sie haben soeben erwähnt, Herr Polenz, über Ausfuhrgenehmigungen wird unter der Federführung des Wirtschaftsministeriums entschieden. Ist das vielleicht die falsche Adresse für solche Entscheidungen, weil die Beamten - den Verdacht könnte man ja haben - dort vor allem den Erfolg der Exportwirtschaft im Blick haben?

    Polenz: Also ich habe mich immer dafür ausgesprochen, dass beim Export von Kriegswaffen, die ja grundsätzlich nicht exportiert werden dürfen, mit Ausnahme von bestimmten Ländern aufgrund von Entscheidungen des Bundessicherheitsrats, dass dort nicht mehr das Wirtschaftsministerium, sondern das Außenministerium die Federführung haben soll. Bisher ist auch da das Wirtschaftsministerium letztlich federführend. Ich bin aber bei Dual-Use-Gütern nicht unbedingt dieser Meinung, denn es gibt ganz, ganz viele zivile Güter, die man mit kleinen Veränderungen, größeren Veränderungen auch militärisch nutzen kann. Das geht bis hin zum LKW.

    Kapern: Aber gleichwohl könnte es ja hilfreich sein, wenn diplomatisch erfahrene Beamte im Außenministerium einen Blick auf die zu exportierenden Güter werfen würden?

    Polenz: Deshalb gibt es ja auch bei solchen Entscheidungen ein Gremium, was die Bundesregierung gebildet hat. Da wirkt neben dem Wirtschaftsministerium auch das Außenministerium mit und in diesem Falle auch der Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Außenwirtschaft, das BAFA.

    Kapern: Im vergangenen Jahr hat es 9000 Anträge auf den Export sogenannter Dual-Use-Güter gegeben. Die sind genehmigt worden. Und nur ganz wenige sind abgelehnt worden. Ist das nicht allein schon ein Hinweis darauf, dass die Genehmigungsprozedur zu lasch ist?

    Polenz: Nein. Das heißt nur, dass der allergrößte Prozentsatz dieser Dual-Use-Güter nach der Überzeugung der Ausfuhrbehörden für friedliche Zwecke verwendet wird. Also es ist eine Düngemittelfabrik und nichts, was chemische Waffen herstellen soll.

    Kapern: Das heißt, Herr Polenz, Sie sehen keinerlei Reformbedarf bei den geltenden Regelungen für die Ausfuhr von Dual-Use-Gütern?

    Polenz: Man muss immer schauen, und ich habe ja auch angeregt, noch mal zu überprüfen, ob man heute noch etwas rauskriegen kann darüber, ob die und wie die seinerzeit gelieferten Chemikalien tatsächlich verwendet worden sind. Wenn es Hinweise gibt, dass Missbrauch möglich ist, dass andere Länder wirksamere Verfahren haben, dann sollten wir davon sicherlich lernen. Aber noch mal: In diesem Fall hat es auch unter der Australien-Gruppe Kontakte gegeben, ob andere Länder der Australien-Gruppe bei der Lieferung dieser Chemikalien mit Syrien anders umgegangen seien als Deutschland. Das war offensichtlich nicht der Fall. Deutschland hat sich also hier so verhalten, wie andere Länder auch.

    Kapern: Was würde es, Herr Polenz, für das Ansehen Deutschlands in der Welt bedeuten, wenn sich herausstellte, dass die exportierten Chemikalien tatsächlich in die syrische Sarin-Produktion gegangen sind?

    Polenz: Das wäre für alle Beteiligten natürlich furchtbar. Aber Sie sind vor einem Missbrauch nie hundertprozentig sicher. Das ist auch wahr. Aber aus allem, was wir bisher wissen – und darf ich noch mal auf das zurückkommen, was Sie am Anfang über das Wort der Bundeskanzlerin gesagt haben -, gibt es keinerlei Hinweise, dass das so war.

    Kapern: Ruprecht Polenz, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, heute Früh im Deutschlandfunk. Das Gespräch haben wir heute Früh aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema