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Vor oder zurück?
Die emotionale Debatte über die Sommerzeit

Die Uhren werden wieder um eine Stunde - von zwei auf drei Uhr - vorgestellt. Viele Menschen werden sich in den kommenden Tagen unwohl und auch unausgeschlafen fühlen. Die Zeitumstellung erfährt Jahr für Jahr mehr Kritik. Davon bleibt auch die Politik im Bundestag und auf europäischer Ebene nicht verschont.

Von Irene Geuer | 24.03.2018
    Das Zifferblatt einer Uhr zeigt verschwommen zwei und drei Uhr gleichzeitig.
    Zwei Mal im Jahr die selbe Frage: vor oder zurück? (picture alliance / dpa / Martin Schutt)
    "Zeitumstellung, nein danke!" ist auf dem weißen Zifferblatt zu lesen. Die Zeiger bewegen sich stoisch auf ein blaues Kreissegment zu, das zwischen zwei und drei Uhr liegt. Eben jene Zeitspanne, die seit Jahren für eine nicht enden wollende Diskussion sorgt. Die Wanduhr ist Teil der Werbeaktionen des ehemaligen CDU-Europaabgeordneten Herbert Reul gegen die Sommerzeit. Heute ist er der Landesinnenminister von Nordrhein-Westfalen. Damals, 2005, als er das erste Mal mit dem Thema Sommerzeit zu tun bekam, war er seit einem Jahr Abgeordneter in Brüssel. Eine Frau schrieb ihm, sie habe Probleme mit der Zeitumstellung. Sie könne nicht schlafen und fühle sich körperlich nicht wohl.
    "Und ich habe das nicht sehr ernst genommen, aber gedacht, wenn ein Bürger eine Frage hat, dann hast Du Dich darum zu kümmern. Und als ich mich dann drum kümmerte, merkte ich, dass alle komisch reagierten. Es war eine simple Frage, aber es wurde abgelehnt und geblockt, ist zu unwichtig."
    Diese Reaktion der EU-Administration ärgerte ihn. Und damit, so Reul, war sein Ehrgeiz geweckt. Er habe sich gesagt:
    "Jetzt erst recht. Und je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr habe ich verstanden, dass die Frau total Recht hat. Es hat keinen Sinn. Es ist eine der berühmten Maßnahmen, die die Politik irgendwann mal beschlossen hat, dann vergessen hat und gedacht hat, jetzt lassen wir es einfach so, obwohl es keinen Sinn macht."
    1978 vom Bundestag beschlossen
    Damit begann Reuls Engagement auch gegen das sogenannte Zeitgesetz, das der Bundestag 1978 beschlossen hatte und mit Grundlage war für die europäische Sommerzeit.
    Die Bundesregierung wird ermächtigt, zur besseren Ausnutzung der Tageshelligkeit durch Rechtsverordnung für einen Zeitraum zwischen dem 1. März und dem 20. Oktober die mitteleuropäische Sommerzeit einzuführen.
    Deutschland war nicht das erste Land, Italien und Frankreich z.B. hatten bereits Jahre vorher die Sommerzeit eingeführt. Auch in Deutschland hatte es sie bereits gegeben. 1916 war sie verordnet worden, um im damaligen Ersten Weltkrieg in den Abendstunden Lichtenergie zu sparen. 1919 wurde sie wieder abgeschafft, sie galt als ungeliebte Kriegsmaßnahme. Unter anderem hatten sich die Bauern beklagt, weil ihre Melkzeiten durcheinanderkamen. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie dennoch wieder eingeführt, auch da in der Erwartung, Energie zu sparen. Aber mit der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 einigte man sich darauf, dass die Sommerzeit nicht mehr nötig sei, bis dann mit der Ölkrise 1973 das Thema erneut wieder aufkam. Allerdings ging es damals in der politischen Debatte nicht nur um Energie. Dem damaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Werner Broll war auch wichtig:
    "Dass die Menschen im Sommer am Abend etwas mehr Zeit haben für Dinge, die sie gerne tun möchten."
    Liesel Hartenstein von der SPD wies in der Bundestags-Debatte auf die Vereinfachung im grenzüberschreitenden Verkehr hin und damit auf mehr Einheitlichkeit in der Europäischen Gemeinschaft. Mit Blick auf die DDR machte sie 1978 aber auf das Problem aufmerksam:
    "Wenn die DDR nicht gleichzeitig mit der Bundesrepublik die Sommerzeit einführt, dann besteht die Gefahr, dass an der innerdeutschen Grenze und in Berlin zusätzlich eine Zeitmauer aufgerichtet wird."
    Für die Sommerzeit wird am Sonntag in der Nacht die Uhr von 2 Uhr auf 3 Uhr vorgestellt.
    Für die Sommerzeit wird am Sonntag in der Nacht die Uhr von 2 Uhr auf 3 Uhr vorgestellt. ( imago / Roland Mühlanger)
    Doch dann entschieden sich mehrere Länder im Ostblock, ebenfalls die Sommerzeit einzuführen. Die CSSR 1979, Ungarn 1980 und im gleichen Jahr auch die DDR. Somit war die Gefahr einer zusätzlichen Zeitmauer gebannt. Als dann in der Bundesrepublik 1980 das Zeitgesetz zum ersten Mal angewandt wurde, war das – obwohl es Erfahrungen mit dem Uhrumstellen gab – für viele dennoch ein kleines Abenteuer. Helmut Plett war damals der Fernmeldetechniker bei der Post, der die Zeitansage am Telefon betreute. Seine Aufgabe war es, genau zum richtigen Zeitpunkt den Tonarm auf der Ansageplatte ein paar Rillen nach vorne zu setzen.
    "Es war ganz merkwürdig, bei der Umstellung bin ich kurz vor 2 Uhr in der Nacht anwesend gewesen, habe die Umstellung durchgeführt, und komme um kurz nach 3 Uhr dort raus, bin also eine viertel Stunde dort anwesend gewesen, bin aber über eine Stunde weggewesen. Da kann man schon sagen, dass man an der Zeit dreht."
    Nicht alle einverstanden
    Kurz danach herrschte Hochbetrieb in den Telefonleitungen. Tausende Menschen in der Bundesrepublik wählten die 119.
    "Dass viele Teilnehmer die Zeitansage angewählt haben, das konnte man erkennen an solchen Belegungslämpchen. Und dass Kunden neugierig waren und die Uhrumstellung mitbekommen wollten oder auch ihre eigene Uhr stellen wollten mitten in der Nacht."
    Dieses nächtliche Treiben legte sich bald. 1983 war die Meldung in der Tagesschau bereits Routine.
    "Um zwei Uhr beginnt in der Bundesrepublik wieder die Sommerzeit. Inzwischen haben sich fast alle Länder in Europa dieser Regelung angeschlossen."
    Allerdings wurde damals schon klar, dass nicht alle mit dem Uhrenumstellen einverstanden waren. Eine internationale einheitliche Zeitharmonie gab es nur auf den Zifferblättern.
    "Umstritten ist die Sommerzeit allerdings noch in den Alpenländern. Großer Widerstand kommt von den Bauern in der Schweiz. Die Kühe, so die Begründung, wollten sich nicht an das frühe Melken gewöhnen. Die Österreicher wünschen einen späteren Start, in schneereichen Regionen sei der Bevölkerung schwer klar zu machen, dass die Sommerzeit begonnen habe."
    Die Schneeargumente der Österreicher blieben ungehört. Und die Schweiz beugte sich 1981 dem europäischen Zeitdiktat.
    Bericht der Bundesregierung über die Erfahrungen mit der Sommerzeit in den Jahren 1980 und 1981.
    Mit der Einführung der Sommerzeit im Jahr 1978 wurde im Bundestag auch beschlossen, zu evaluieren:
    "Die Bundesregierung wird aufgefordert, Erfahrungen – insbesondere in medizinischer, familien- und gesellschaftspolitischer Hinsicht – dem Deutschen Bundestag zu berichten und ihn damit in die Lage zu versetzen erneut darüber zu befinden, ob die Umstellung auf die Sommerzeit auch für die folgenden Jahren beibehalten werden soll."
    16 Seiten umfasste der Bericht. Er behandelte auch die Frage, ob die Zeitumstellung Probleme gebracht hätte. Viele Unternehmen, wie auch die Deutsche Bundesbahn erklärten, dass der Personalaufwand hoch sei, das wolle man noch nachbessern. Außerdem waren diverse Umfragen in der Bevölkerung von Allensbach, Infratest, Emnid und dem Wickert-Institut ausgewertet worden. Das Ergebnis:
    Die Zustimmung zur Sommerzeit wird von dem größten Teil der Befragten (vier Fünftel) vor allem damit begründet, dass der Feierabend eine Stunde länger als sonst in der hellen Tageszeit liegt und der Tag dadurch länger erscheint. Daraus ergebe sich die Möglichkeit, mehr Zeit im Freien zu verbringen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Befragten gibt zudem an, dass durch den als länger empfundenen Feierabend die sozialen Kontakte begünstigt werden.
    Negative Auswirkungen auf das Biosystem
    Dies spiegelt aber nicht die Stimmung aller Bundesbürger wider. Bereits damals waren nicht alle glücklich über die Sommerzeit. Und so ist in dem Bericht auch schon die Rede von:
    Negativen Auswirkungen der Zeitveränderung auf das sogenannte "Bio-System" und einem Schlafdefizit.
    Außerdem war im Bericht von Eltern die Rede, die ihre Kinder abends nicht ins Bett bekämen. Erwähnt wurde auch, dass für viele die Nachteile der Sommerzeit überwiegen würden. Auch die Erwartung, Energie zu sparen, konnte der Bericht der Bundesregierung nicht bestätigen. Modellrechnungen kamen zu dem Schluss, dass es ca. 0,15 Prozent an Einsparungen beim Beleuchtungsstrom gebe, gleichzeitig aber in den Übergangsmonaten zum Sommer morgens mehr geheizt werde. Aber, so die Einschätzung im Bericht:
    So geht doch von der Einführung der Sommerzeit ein gewisser Signaleffekt aus, da die Bevölkerung hiermit häufig den Gedanken an Energieeinsparungen verbindet.
    Im Klartext bedeutete dies: Keine Energieeinsparung, keine sonderlich positiven Effekte in der Wirtschaft, aber glückliche Menschen, die abends gerne länger mit Freunden draußen sind. Und so endete der Bericht der Bundesregierung vor 36 Jahren damit:
    Dass auch künftig die Sommerzeit beibehalten werden sollte.
    Eine Frau schläft im Bett, während ein Wecker neben ihr auf dem Nachttischränkchen steht.
    Am nächsten Morgen könnten Sie sich unwohl fühlen. (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Deshalb werden auch in der Nacht auf Sonntag wieder die Uhren von 2 auf 3 Uhr vorgestellt. Für den ehemaligen Europaabgeordneten Herbert Reul ist dies aber nicht länger hinnehmbar. Denn die Stimmen gegen die Sommerzeit mehren sich.
    "Es ist wie ein kleiner Jetlag, insbesondere für Kinder ist es das Entscheidende, aber es ist aber auch unnötig es umstellen, die Energieeinsparung ist ja damit nicht eingetreten", sagte Ilse Aigner, Wirtschaftsministerin in Bayern 2015.
    "Wir wollen das nicht mehr, dass die Zeit permanent umgestellt wird. Die meisten Menschen wollen das nicht", sagte Gesine Meissner, Europaabgeordnete der FDP 2016.
    "Ich habe 24 Jahre Wechselschicht gemacht, und man ging kaputt dabei mit der Umstellung. Man musste dann so früh wieder raus und auch im Herbst die Umstellung, die hat mir auch nicht gefallen", sagte Rentner Hubert Vilken aus dem Münsterland 2018.
    "Stehen wieder im Dunkeln draußen"
    "Sieben Uhr wenn wir anfangen zu arbeiten, wird es jetzt gerade hell, sodass wir draußen an Fassaden arbeiten könnten. In dem Moment, indem Ende März die Uhren umgestellt werden, stehen wir wieder im Dunkeln draußen und haben das Problem, dass wir nix sehen."
    Michael Dworak, Malermeister aus Neuss, erzählt das jedes Jahr erneut, wenn er interviewt wird. Er gehört einer Bürgerinitiative "Sonnenzeit" an, die sich gegen die Zeitumstellung mit Petitionen ans EU-Parlament einsetzt. Einen Trend zu immer mehr Abneigung gegen die Sommerzeit macht auch die Krankenkasse DAK mit Sitz in Hamburg aus. Seit 10 Jahren beauftragt sie Forsa mit einer bundesweiten, repräsentativen Umfrage zu dem Thema Zeitumstellung. Pressesprecherin Nina Osmers erklärt die jüngsten Ergebnisse aus dem Oktober 2017. Heraus kam:
    "Dass etwa 22 Prozent sagen, ja sie haben nach der Zeitumstellung gesundheitliche Probleme, die meisten sagen, dass sie sich schlapp und müde fühlen oder sie haben Einschlafprobleme, Schlafstörungen, sie können sich schlechter konzentrieren oder sind gereizt."
    Nur noch 27 Prozent der Befragten insgesamt halten eine Zeitumstellung grundsätzlich für sinnvoll, was aber weniger mit der eigenen Gesundheit zu tun hat, sagt Osmers.
    "Man muss aber auch natürlich dazu sagen, dass ein Großteil der Bevölkerung keine gesundheitlichen Beschwerden hat. Deswegen dramatisieren wir das Thema nicht, aber wir möchten es auch nicht ganz außen vor lassen, es ist ja doch jeder Fünfte betroffen. Deshalb beobachten wir das sehr genau und fahren auch weitere Analysen in diesem Zusammenhang. Zum Beispiel ist es so, dass wir im Krankenhausbereich die Beobachtung gemacht haben, dass nach der Zeitumstellung im Sommer, wo uns eine Stunde fehlt, dass es dann vermehrt zu Krankenhausaufnahmen mit Herzinfarkt gekommen ist. Auch da hatten wir einen Hinweis aus einer Studie aus dem skandinavischen Raum und das konnten wir mit unseren Daten aus dem Krankenhaus auch noch mal nachvollziehen."
    Wie genau sich gegebenenfalls die Zeitumstellung auf das Herz auswirken könne, müsse noch weiter untersucht werden. Bislang werde aber deutlich, dass es möglicherweise einen Zusammenhang gebe. Für den CDU-Politiker Herbert Reul ein Argument mehr, weiter aktiv zu bleiben und das Thema voranzutreiben. Früher im EU-Parlament, jetzt in der eigenen Partei und auf allen politischen Ebenen.
    "Wir waren ein Trupp von Leuten, ich merkte, ich bin nicht allein. Es kommen immer mehr, immer mehr wollten mitmachen, jede öffentliche Äußerung führte dazu, dass wieder welche dazu kamen. Dann haben wir auf dem Bundesparteitag der CDU dazu einen Beschluss herbeigeführt. Ich kriegte Meldungen aus der Schweiz aus Ungarn, finnische Kollegen sagten, wir machen mit, und so lief das immer weiter. Im Bundestag gab es Leute, die sich drum kümmerten, es gab Petitionen an den Bundestag, ans Europaparlament, also die Welle wurde immer größer."
    Größere Anpassungsschwierigkeiten als angenommen
    Im Jahr 2016 gab es erneut einen Bericht zur Zeitumstellung, dieses Mal erstellt vom Büro für Technologiefolgen-Abschätzung, kurz TAB, angesiedelt beim Deutschen Bundestag. Grund dafür war, dass 2007 – damals von der EU-Kommission – das Thema Sommerzeit zum letzten Mal bewertet worden war. Nun sollte geprüft werden, ob es neue Erkenntnisse etwa aus den Unternehmen oder dem Gesundheitswesen gab. Dieser Bericht ist nicht mehr nur 16 Seiten lang, sondern umfasst über 160 Seiten. Projektleiter Claudio Caviezel, gebürtiger Schweizer, sieht eine Veränderung zu dem, was der Bericht vor 33 Jahren ergeben hatte.
    Einen farbenprächtigen Sonnenuntergang erleben Matthias und Louise eng umschlungen am 21.05.2007 am Ufer der Spree im Berliner Stadtteil Treptow. Foto: Arno Burgi
    Eine Stunde lang abends mehr mit den Liebsten? (dpa/Arno Burgi)
    "Hier gibt es mittlerweile einige wissenschaftliche Hinweise drauf, dass die Zeitumstellung größere Anpassungsschwierigkeiten bereitet, als es vor Jahren noch angenommen worden war. Gleichwohl gibt es aber derzeit keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass die Zeitumstellung ernsthafte Auswirkungen auf die Gesundheit hätte. Der Grund ist, dass die dazu durchgeführten Studien oft zu widersprüchlichen Ergebnissen gelangten, so dass keine eindeutigen Aussagen möglich sind."
    Der Kölner Schlafmediziner Markus Laudenberg bestätigt die Zweifel an ernsthaften Auswirkungen auf die Gesundheit. Zwar habe der Mensch eine innere Uhr, die sogenannte circadiane Rhythmik, die z.B. bei Schichtdienst oder Langstreckenflügen durcheinandergerät. Aber:
    "Diese circadiane Rhythmik ist gar kein richtiger 24-Stunden-Tag, es ist in Wirklichkeit eine geringe Abweichung davon. Das ist auch ganz interessant, weil die Theorie die dahintersteckt, ist, dass der 24-Stunden Rhythmus nicht so strikt vorgegeben ist, damit er durch äußere Einflüsse auch individuell variierbar ist."
    Also kann die innere Uhr mit einer Stunde Zeitumstellung ganz gut fertig werden, sagt der Mediziner.
    "Das ist so, so interpretiere ich das auch, das merkt man doch auch in der Breite, wäre das nicht so, würden ja jedes Jahr im März, wenn die Zeit umgestellt wird, die ganze Menschheit hier in Europa krank werden, das ist ja nicht so. Dass Einzelne mit dieser Umstellung für eine kurze Zeit Schwierigkeiten haben, dem kann ich gut folgen, das ist für mich nachvollziehbar. Aber letztlich ist es so, dass man sich auf so dann neuen Rhythmus einstellt."
    Und doch wächst der Unwille gegen die Sommerzeit von Jahr zu Jahr, was auch die DAK-Umfragen belegen. Die Bevölkerung spaltet sich in Genießer der abendlichen Sonne und in diejenigen, die sich unwohl fühlen. Und jenseits dieser Gefühlswelten? TAB-Projektleiter Claudio Caviezel hatte im Auftrag des Deutschen Bundestags nachgefragt.
    "Etwas überrascht hat uns die geringe Rücklaufquote bei der Erhebung unter den Wirtschaftsverbänden und Berufsvertretungen, denn hier hätten wir eine viel stärkere Resonanz erwartet, vor allem auch im Hinblick auf die sehr kontrovers geführten Diskussion zur Sommerzeit. Allerdings kann es auch als Indiz dafür gewertet werden, dass die Zeitumstellung zumindest in der Wirtschaft zu einer unproblematischen Routineaufgabe geworden ist und sich inzwischen alle dran gewöhnt haben."
    Kein rein nationales Thema
    Und auch energiepolitisch hat Caviezel in der Sommerzeit keinen sonderlichen Nutzen feststellen können. Also abschaffen, meint der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul, um denen zu helfen, die Ende März ihre Schwierigkeiten mit der fehlenden Stunde haben. Als er noch Europaabgeordneter war, hat er immer wieder versucht, das Thema in Brüssel auf die Tagesordnung zu setzen. Denn mit einer europäischen Richtlinie zur Regelung der Sommerzeit aus dem Jahr 2001, ist die Zeitumstellung kein rein nationales Thema mehr. Und damit blieb es schwierig:
    "Man kann ja nicht einfach mal eine Tagesordnung im Europaparlament beschließen, da muss es schon eine Unterstützung geben und am besten von mehreren Fraktionen, die sagen, das ist unser Anliegen. Diejenigen, die nachdenklich wurden, die wurden immer mehr und dann gab es eine kritische Masse, die sagte, jawohl, wir verhandeln das. Wir hatten es vorher schon auf der Tagesordnung, wir hatten einen Antrag gestellt an die Kommission, wir hatten ein Hearing gemacht im Industrieausschuss, also es gab eine Menge an Vorläufen."
    Reul gehörte dem Europaparlament schon nicht mehr an, als die Sommerzeitgegner Anfang Februar die Debatte eröffneten.
    "Frau Präsidentin, Frau Kommissarin! Der natürliche Rhythmus von uns Menschen bestimmt sich durch Auf- und Untergang der Sonne. Die heutigen EU-Regelungen zur Sommerzeit bringen die biologische Uhr aus dem Takt. Von daher fordere ich die Kommission auf, hier wissenschaftlich nachvollziehbare Belege vorzulegen, die die Beibehaltung der Sommerzeit rechtfertigen."
    Eine Uhr mit der Aufschrift: "Zeitumstellung, nein danke!"
    Herbert Reuls Uhr: Zeitumstellung, nein danke!" (Deutschlandradio / Irene Geuer)
    So wie der Sozialdemokrat Michael Detjen sprechen sich auch Abgeordnete anderer Nationen und Fraktionen für die Abschaffung der Sommerzeit aus. Einheitliche Fraktionsmeinungen gibt es allerdings nicht. Werner Langen von der CDU, also ein Parteifreund des Sommerzeitgegners Reul, sieht es ganz anders.
    "Frau Präsidentin! Wenn ich die Horrorszenarien höre, die hier vorgeführt werden, dann kann ich nur staunen. Warum diskutieren wir hier nicht über den Vollmond? Also ich höre immer, in meinem Heimatland leiden 25 Prozent der Menschen zwölf Mal im Jahr unter dem Vollmond; sie können nicht schlafen. Wenn ich sehe, wo Depressionen entstehen: Da, wo das Sonnenlicht fehlt, entstehen Depressionen. Wir sollten die Chance nutzen, den Menschen die jetzige Regelung mit einer Stunde Sommerzeit mehr Sonnenlicht zu ermöglichen."
    Keine Mehrheit für eine Abschaffung
    Schon vor dieser Aussprache war klar, es wird im EU-Parlament keine Mehrheit für eine Abschaffung der Sommerzeit geben. Aber auf einen Prüfauftrag an die Kommission kann sich eine Mehrheit der Abgeordneten einigen. Herbert Reul, jetzt Innenminister in NRW, hat die Debatte aus der Ferne verfolgt und sich gesagt:
    "Jetzt trinkst Du Dir einen, ich hätte nicht gedacht, dass das jetzt so flott geht. Wenngleich das ist eben ein Thema, wo man einen langem Atem braucht, warum, weil man sich ja um das Thema nicht von morgens bis abends kümmern kann, dann fragen die Leute ja fassungslos, hast Du keine anderen Sorgen, das ist ja nicht so ein zentralpolitisches Thema. Insofern muss man immer einen Weg finden, wie man es weitertreibt, am Kochen hält, neue Verbündete findet und ich bin richtig stolz auf die Kollegen, die das jetzt so weit getrieben haben, dass die Kommission einen Auftrag hat zu prüfen. Immerhin."
    Wie genau diese Prüfung aussieht und wie lange sie dauern wird, ist allerdings noch völlig offen. Reul verweist aber auch noch auf die Möglichkeit, dass die Mitgliedstaaten eine Gesetzesänderung auf europäischer Ebene einleiten können. Also könnte Deutschland mit anderen Ländern im Ministerrat einen Vorstoß machen. Da aber hier, wie in anderen Ländern auch, die Meinungen über die Sommerzeit auch politisch völlig auseinandergehen, wird es sehr viel länger dauern, Mehrheiten zu schmieden als die Stunde, um die es geht.