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Vor zehn Jahren
Das "Gesetz des historischen Andenkens" in Spanien

Spanien ist ein zerrissenes Land, nicht nur durch die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens, sondern auch im Umgang mit der Vergangenheit. Der war in Spanien besonders schwierig, denn das Schweigen über Krieg und Diktatur gehörte zum stillschweigenden Pakt für die Demokratisierung des Landes nach Francos Tod.

Von Wolfgang Martin Hamdorf | 27.12.2017
    Guernica, nachdem es von den den Luftangriff der deutschen Legion Condor und der italienischen Corpo Truppe Volontarie im spanischen Bürgerkrieg 1937 bombardiert wurde.
    Guernica, nachdem es von der deutschen "Legion Condor" im spanischen Bürgerkrieg 1937 bombardiert wurde (imago/United Archives International )
    "Als der Krieg zu Ende war, haben sie ihn erschossen. Großmutter zog nach Barcelona, in Andalusien wollte sie nicht bleiben, die Schande war zu groß, als Witwe eines hingerichteten Staatsfeindes. Wenn ich als Kind nach meinem Großvater fragte, wie er gestorben sei, wo er begraben liege, bekam ich keine Antwort."
    Sein Großvater war in der Gewerkschaft und in der kommunistischen Partei. Rafael Cámara hat ihn niemals kennen gelernt. Seit 2007 steht sein Name auf dem Denkmal für die fast 2000 Opfer des Bürgerkrieges auf dem Friedhof im andalusischen Jaén. Hier waren die Toten nach ihrer Ermordung verscharrt worden.
    "Dass der Name meines Großvaters auf einer Liste der Opfer des Regimes steht, das hat bei mir alte Wunden verheilen lassen."
    Suche nach den Opfern der Diktatur
    Erst sehr spät, im Jahr 2000, hatten Bürgerinitiativen mit der Suche nach den Opfern der Diktatur begonnen. Von Anfang an dabei war der weltbekannte Gerichtsmediziner Francisco Etxeberria, der bis heute bei der Identifizierung der Toten aus mehr als 500 spanischen Massengräbern beteiligt ist:
    "Der Übergang zur Demokratie in Spanien beinhaltete ein verordnetes oder vielleicht auch vereinbartes Schweigen, und deswegen haben wir hier erst sehr spät angefangen mit unserer Arbeit. Viele der Beteiligten sind mittlerweile verstorben, und die Erinnerungen der noch Lebenden aufzuzeichnen, wird immer schwerer."
    Dabei ging es nie um eine strafrechtliche Verfolgung, denn die Verbrechen der Diktatur fielen bereits 1977 unter ein großzügiges Amnestiegesetz. Aber selbst die Dokumentation über die Opfer des Regimes wurde von konservativen Kreisen in Spanien als Angriff auf den demokratischen Konsens gewertet. Nach langen Jahren der politischen Untätigkeit trat erst am 27. Dezember 2007 das mit der sozialistischen Parlamentsmehrheit ratifizierte so genannte Gesetz des historischen Andenkens in Kraft. Es ordnet die Entfernung von Denkmälern und Symbolen aus der Franco-Ära an und verspricht staatliche Hilfe und finanzielle Unterstützung bei der Suche, Exhumierung und Identifizierung der Opfer der Diktatur, aber auch Unterstützung für Familienangehörige der Opfer beider Bürgerkriegsparteien. Für Francisco Etxeberria ist es ein notwendiges, aber unzureichendes Gesetz:
    "Das Gesetz fordert den Staat auf, die Massengräber zu suchen und die Opfer zu identifizieren, aber es zwingt ihn zu nichts. Oft fehlt ein politischer Wille und die Unterstützung der Institutionen, und das ist für unsere Arbeit sehr entmutigend."
    Umsetzung dieses Gesetzes weitgehend blockiert
    Denn der Wille zur Vergangenheitsbewältigung verlor die politische Mehrheit. Die sozialistische Partei unter Premierminister José Luis Rodríguez Zapatero wurde von der konservativen Volkspartei unter Mariano Rajoy abgelöst. Sie war von Anfang an gegen das Gesetz, wie der deutsch-spanische Historiker Carlos Collado Seidel unterstreicht:
    "Mit der Machtübernahme der Konservativen ist allerdings die Umsetzung dieses Gesetzes weitgehend blockiert worden, indem die vorgesehenen Mittel, vor allen Dingen zur Exhumierung der Bürgerkriegsopfer, die ja verscharrt lagen und immer noch liegen, nicht mehr bereitgestellt wurden, natürlich unter dem Vorwand der Wirtschaftskrise, der Finanzkrise, und dass von daher keine Gelder zur Verfügung gestellt werden könnten."
    Nicht jede Region will das zahlen
    Die Umsetzung des Gesetzes hängt von lokalen politischen Machtverhältnissen ab. In Städten wie Madrid, Barcelona oder Valencia ist auf symbolischer Ebene einiges geschehen: Straßen wurden umbenannt, Hoheitszeichen und Denkmäler aus den Zeiten der Diktatur verschwanden. Doch die wissenschaftlichen Forschungen, die Ausgrabungen und die forensischen Untersuchungen von Verschwundenen sind teuer. Nicht jede Region will das zahlen:
    "Im Baskenland, in Navarra und in Andalusien wird die Suche von einer dafür gegründeten Abteilung für Menschenrechtsverletzungen finanziert. Jede DNA-Analyse kostet 300 Euro. Das übernimmt dort die öffentliche Hand. Aber in anderen Regionen Spaniens haben die Familienangehörigen nicht einmal einen Ansprechpartner, wenn sie verschwundene und ermordete Angehörige suchen wollen."
    Der Umgang mit den Opfern von Bürgerkrieg und Diktatur spaltet Spanien bis heute. Auch das "Gesetz des historischen Andenkens" hat in dieser Frage keinen politischen Konsens geschaffen.