Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Vor zehn Jahren
Der Einsturz des Kölner Stadtarchivs

Beim Einsturz des Historischen Archivs der Stadt Köln am 3. März 2009 starben zwei Menschen, etwa 30 Kilometer Archivgut, teilweise aus dem Mittelalter, wurden verschüttet und eine Stadt war wochenlang in Schockstarre. Die Restaurierung der Archivalien sowie die Rechtsstreitigkeiten um das Unglück halten bis heute an.

Von Moritz Küpper | 03.03.2019
    Das Foto zeigt das eingestürzte Kölner Stadtarchiv im März 2009.
    Das eingestürzte Kölner Stadtarchiv im März 2009. Das Archiv wird nun an anderer Stelle neu errichtet. Im Jahr 2021 soll es eröffnet werden. (dpa-Bildfunk / Oliver Berg)
    "Es war ein ganz zarter Frühlingstag, mittags war's, und auf einmal ein total unheimliches, grauenhaftes Geräusch aus der Richtung, Südwesten, und ich gucke dahin: Da kommt da eine Qualmwolke her. Also, es war so nicht nur das Geräusch, und das, was ich gesehen habe, sondern auch der Fußboden schien sich dem anzupassen."
    Es war am 3. März 2009, um – das sollten die Behörden später bekanntgeben – exakt 13.58 Uhr. Sabine Pohl-Grund verließ sofort ihre Wohnung in der Kölner Innenstadt und lief nach draußen:
    "Und dann konnte man sehen, dass also die Severinstraße voller Gesteinsbrocken und so Trümmer rumlagen, und Leute rannten auf die Straße, waren alle ganz aufgeregt, Feuerwehr und Polizei und Absperrung."
    Die Anwohnerin blickte in eine riesige Staubwolke:
    "Und es war irgendwie so eine eigenartige Stille – und doch Geräusche. Also, es war ganz ungewöhnlich. Und so langsam konnte man sehen, was passiert war. Nämlich: Das Archiv war eingestürzt."
    Nachlässe von Wallraff, Böll, Adenauer
    Das Historische Archiv der Stadt Köln, das größte deutsche Kommunalarchiv, in dem rund 65.000 Urkunden, Akten und Handschriften ab dem Jahr 922 aufbewahrt wurden, lag in Trümmern. Auch private Nachlässe von Ferdinand Franz Wallraff, Heinrich Böll oder Konrad Adenauer schienen unwiderbringlich verloren. Dazu etwa 104.000 Karten und Pläne, sowie 50.000 Plakate. Mit diesem Gebäude stürzten auch die beiden jeweils anliegenden Häuser zusammen. Den Rettungskräften bot sich eine unübersichtliche Lage:
    "Verformte Aktenschränke, wo diese Archivalien gelagert wurden. Also, da war schon einiges an Hindernissen im Weg, was auf Seite geräumt werden musste. Zum Teil auch unter Zuhilfenahme von wirklich schwerem Gerät, sprich Kran und so weiter."
    Erinnert sich Christian Heinisch von der Kölner Berufsfeuerwehr.
    "Glücklicherweise hat sich diese hohe Vermisstenanzahl, die zunächst angenommen worden ist, nicht bestätigt. In den Folgetagen galt es zunächst, die vermissten Personen, zwei an der Zahl, zu finden."
    Rettungskräfte im Dauereinsatz
    Tag und Nacht arbeiteten die Sicherheitskräfte: Betonmischer rückten an, um den Hohlraum zu stabilisieren.
    "Wir haben Schutt abgetragen, es sind Hunde eingesetzt worden. Es wurde gegraben, es wurden Sicherungsmaßnahmen durchgeführt."
    Die umliegenden Häuser mussten evakuiert werden, weil ein Krahn drohte umzukippen. Ein Krisenstab koordinierte die Stabilisierung der Unglücksstelle und die Suche nach den beiden Vermissten, einem 17-jährigen Bäckerlehrling sowie einem 24-jährigen Designstudenten. Stadtsprecherin Inge Schürmann:
    "Es war sehr schwierig, der Zeitpunkt, wo man entscheiden musste, man macht jetzt keine Vermisstensuche mehr, sondern eine Totensuche, was andere Vorgehensweisen und auch zum Beispiel andere Hunde erforderte. Da war schon Ruhe im Raum."
    Eine Stadt unter Schock
    Erst nach fünf Tagen wurde die Leiche des Bäckerlehrlings geborgen, vier Tage später, die des Studenten. In neuneinhalb Meter Tiefe.
    "Die Stadt, und wenn ich jetzt sage die Stadt, dann meine ich wirklich durch die Bevölkerung durchgehend, war in einem Schockzustand, in einer Starre, kein Mensch wusste eigentlich so richtig, was passiert war. Man nahm das wahr, optisch und auch gefühlsmäßig. Es war schlimm, es war ja auch, ein Zitat aus dieser Zeit: Das Gedächtnis der Stadt ist verloren gegangen."
    Erinnert sich der damalige Kölner Oberbürgermeister Fritz Schramma von der CDU, der die politische Verantwortung für die Katastrophe übernahm. Ein Loch in der Wand beim Bau des darunterliegenden U-Bahn-Tunnels in fast 30 Meter Tiefe habe – so stellte es das Landgericht Köln achteinhalb Jahre später in zwei Strafprozessen fest – dazu geführt, dass Stein- und Geröllmassen eben in jenen Aushub drangen und so dem Gebäude sprichwörtlich den Boden entzogen.
    95 Prozent des Archivmaterials sollen mittlerweile geborgen worden sein, doch das Restaurieren und Sortieren wird noch Jahrzehnte dauern. Ob und wann ein Zivilprozess über die Schadenssumme von mindestens 1,2 Milliarden Euro, die die Stadt von der Arbeitsgemeinschaft der Baufirmen fordert, stattfindet, ist unklar. Fest steht jedoch eines, so Stadtsprecherin Schürmann:
    "Wir haben auch immer gesagt: Köln ist nach dem Einsturz eine andere Stadt. Das war völlig klar. Es würde nie wieder ein Satz laufen, der da heißt: Es hätt schon immer jot jejange."
    An der Stelle, wo sich die Katastrophe ereignete, klafft noch immer eine Wunde. Das Historische Archiv wird nun an anderer Stelle neu errichtet. Im Jahr 2021 soll es eröffnet werden.