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Vor zehn Jahren
Zwei Sprengstoffanschläge in der Moskauer U-Bahn

Am Morgen des 29. März 2010 erschütterten Detonationen die Lebensader der russischen Metropole. 41 Menschen starben bei einem Doppelanschlag auf die Moskauer U-Bahn. Die russischen Behörden reagierten mit aller Härte. Trotzdem war das Land auch danach nicht vor Anschlägen sicher.

Von Gesine Dornblüth | 29.03.2020
    Anschläge in der Moskauer U-Bahn im Jahr 2010
    Rettungswagen stehen nach den Anschlägen am Eingang zu einer Moskauer U-Bahn-Station (dpa/ picture alliance/ EPA)
    Im 90-Sekunden-Takt sausen die Züge der Moskauer Metro durch den Untergrund. Werktags transportieren sie im Schnitt neun Millionen Menschen. Am Morgen des 29. März 2010 wurde diese Lebensader empfindlich verletzt.
    "Die Türen des Waggons hat es zerfetzt. Rundherum Rauch, Glassplitter und Leichen."
    So beschrieb der Reporter des staatlichen russischen Ersten Fernsehkanals das Bild auf dem Bahnsteig der Station Lubjanka. Um 7:56 Uhr Ortszeit, im Tschas Pik, der Stoßzeit, war eine Bombe in einem einfahrenden Zug explodiert. 42 Minuten später ging in der Station Park Kultury eine zweite Ladung hoch. Eine Augenzeugin im russischen Staatsfernsehen: "Der Bahnsteig war voller Menschen. Als ich auf der Rolltreppe hoch fuhr, waren dort auch Menschenmassen. Die Leute sind über die Drehkreuze gesprungen, um nur irgendwie rauszukommen."
    Präsident Medwedew kündigte Rache an
    Der Doppelanschlag forderte 41 Tote. 88 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Präsident Dmitrij Medwedew legte auf dem Bahnsteig Blumen nieder und kündigte Rache an.
    "Das sind keine Menschen, das sind Tiere. Wir werden sie finden und sie alle vernichten."
    Zwei Frauen aus der russischen Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus hatten sich bei dem Doppelanschlag in die Luft gesprengt: eine Ehefrau und eine Witwe eines islamistischen Untergrundkämpfers.
    Die Moskauer Metro war bereits mehrfach Ziel von Anschlägen gewesen. Bei einem Selbstmordattentat eines Tschetschenen im Jahr 2004 starben 39 Menschen. 2009 forderte eine Bombe in einem Schnellzug von Moskau nach St. Petersburg 26 Todesopfer. Zu dem Attentat hatte sich ein islamistischer Top-Terrorist bekannt, gleichfalls aus Tschetschenien.
    In der russischen Teilrepublik war 1994 ein Krieg ausgebrochen. Die Tschetschenen, ein muslimisches Volk im Kaukasus, kämpften für die Unabhängigkeit von Russland, die russische Armee reagierte mit äußerster Brutalität und ohne Rücksicht auf Zivilisten. Je länger der Krieg dauerte, desto stärker wurde der Einfluss von Islamisten auf tschetschenischer Seite. Sie trugen den Terror in russische Metropolen. Als 1999 rund 300 Menschen bei Anschlägen auf russische Wohnhäuser starben, machte Wladimir Putin, damals Premierminister, Tschetschenen dafür verantwortlich: "Wir werden die Terroristen überall verfolgen. Wenn sie, Entschuldigung, auf der Toilette sind, werden wir sie auf dem Klosett kaltmachen."
    Terror kehrte 2017 zurück
    Nach dem Ende des Tschetschenienkriegs verlagerte sich die Gewalt in die Nachbarrepublik Dagestan. Fast täglich griffen Islamisten dort russische Sicherheitskräfte an; die reagierten mit Anti-Terroroperationen und töteten auch Unschuldige.
    Die Russin Jekaterina Sokirjanskaja beschäftigt sich seit annähernd 20 Jahren mit den Konflikten im Nordkaukasus. Heute leitet sie das Zentrum für Konfliktanalyse und Prävention in Moskau. Sie sagte dem Deutschlandfunk 2010: "All die schweren Menschenrechtsverletzungen, die wir in Tschetschenien seit über einem Jahrzehnt festgestellt haben, geschehen zur Zeit auch in Dagestan: gewaltsames Verschwindenlassen, Entführungen, Massenhinrichtungen. Sehr verbreitet sind auch Folter, sexuelle Gewalt an Frauen und Männern, das Fabrizieren von Strafsachen."
    Auch weil es im Nordkaukasus keinen Rechtsstaat gebe, falle es den Islamisten leicht, Untergrundkämpfer zu rekrutieren, so Sokirjanskaja. Die russischen Sicherheitsbehörden meldeten schon wenige Wochen nach dem Doppelanschlag 2010 in Moskau die Tötung mehrerer Hintermänner. Ein weiterer mutmaßlicher Organisator wurde 2013 "neutralisiert", wie es im Behördenslang heißt.
    Die Olympischen Spiele 2014 im russischen Sotschi verliefen ohne Anschläge – wohl auch aufgrund der massiven Einschränkung der Bürgerrechte. Doch im April 2017 kam der Terror zurück, diesmal nach St. Petersburg. Wieder ein aufgesprengter Metrowaggon, leblose Körper auf dem Bahnsteig. 14 Tote. Swetlana Gannuschkina von der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial hält die russische Antiterrorpolitik für verfehlt.
    "Gegen Ideologie können Sie nur vorgehen, indem Sie ein Beispiel dafür geben, dass man anders und gewaltfrei leben kann. Mit Gewalt erreichen Sie gar nichts."
    Doch Umfragen zufolge befürwortet die Mehrheit der russischen Bevölkerung härtere Maßnahmen im Kampf gegen den Terror.