Donnerstag, 25. April 2024

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Vorbereitung in Kliniken auf COVID-19
"Jetzt ist noch Zeit, Menschen anzulernen"

Das Klinikum Wolfsburg in Niedersachsen hat auf seiner Homepage dazu aufgerufen, sich als Freiwillige Helfer zu melden. "Wir bereiten uns auf einen Ansturm von Patienten vor", sagte Bernadett Erdmann, leitende Ärztin in der Notaufnahme, im Dlf. Zudem hofft sie, dass das knappe Material gerecht verteilt wird.

Bernadett Erdmann im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 25.03.2020
Zwei Pflegerinnen gehen durch einen Gang, an dessen Wand Intensivstation steht
Auch im Ulmer Bundeswehr Krankenhaus werden die Stationen auf die Behandlung von Corona-Patienten vorbereitet (dpa/picture-alliance/Kästle)
Die Virologen prognostizieren einen rasanten Anstieg der COVID-19-Erkrankungen in den nächsten Tagen und Wochen. Die Krankenhäuser bereiten sich auf diese Situation vor. Operationen werden verschoben und Intensivstationen möglichst freigehalten. Was fehlt, ist Pflegepersonal und der Nachschub an Schutzmasken, Beatmungsgeräten und Material, um die nötigen Tests zu machen. Die Ärztin Bernadette Erdmann leitet die Notaufnahme im Klinikum Wolfsburg und berichtet von der Situation vor Ort.

Tobias Armbrüster: Frau Erdmann, wie sieht es denn in Ihrer Klinik gerade aus?
Bernadett Erdmann: Im Augenblick sieht es in unserer Klinik so aus, dass wir den Eindruck haben, wir haben die Ruhe vor dem Sturm. Wir haben uns in den letzten Tagen sehr intensiv darauf vorbereitet, viele Menschen mit der COVID19-Erkrankung betreuen zu können. Wir haben alles, was an planbaren und aufschiebbaren Operationen und Eingriffen möglich ist, verschoben. Wir haben Stationsbereiche leergeräumt. Wir haben eine Intensivstation für diese Patienten mit 20 Beatmungsplätzen freigemacht, damit wir sehr schnell die ersten Patienten dort behandeln können.
Armbrüster: Das heißt, Sie sind gut vorbereitet?
Erdmann: Wir denken, dass wir gut vorbereitet sind. Eine Herausforderung für uns ist im Augenblick, dass wir unser gesamtes Personal auf diese Situation vorbereiten müssen, und wir schulen unsere Mitarbeiter in intensivmedizinischer Betreuung, wir schulen unsere Mitarbeiter in notfallmedizinischer Betreuung und natürlich insbesondere auch dieses doch offenbar schwierige Krankheitsbild der COVID19-Infektion.
"Virologen rechnen mit einem Ansturm von Patienten"
Armbrüster: Wenn Sie sagen, es ist die Ruhe vor dem Sturm. Was ist denn Ihr Szenario? Wie könnte dieser Sturm aussehen?
Erdmann:Ja, wir rechnen damit, bzw. nicht wir, sondern die Fachleute, die Epidemiologen und die Virologen. rechnen damit, dass es in den nächsten Tagen und Wochen zu einem Ansturm von Patienten kommen wird, dass also sehr viele Menschen diese Erkrankung bekommen werden und eben auch ein großer Teil der Menschen in die Krankenhäuser kommen wird, weil sie dort versorgt werden müssen, weil die Krankheit doch wohl auch einen sehr schweren Verlauf haben kann.
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"Wir befürchten, dass wir an den Rand unserer Kapazitäten kommen"
Armbrüster: Das klingt jetzt so als würde das alles perfekt laufen. Als hätte ihr Klinikum - das hört man ja auch von vielen anderen Kliniken auch - als hätten sie die Situation im Griff. Kann man das so sagen?
Erdmann:Na ja. Die Situation im Griff haben, heißt eigentlich was anderes. Das heißt, sich gelassen zurücklehnen und sagen, wir schaffen das. Wir befürchten, dass wir schon an den Rand unserer Kapazitätsgrenzen kommen, insbesondere was die Schutzausrüstung angeht für die Mitarbeiter, die dann in diesen Bereichen arbeiten müssen, insbesondere auch zusätzliche Materialien wie Beatmungsgeräte, die wir bestellt haben, die noch nicht lieferbar sind oder später kommen oder überhaupt nicht kommen, die Materialien, um Testungen auf das Corona-Virus durchführen zu können in den Laboren. Wir werden dort überall in absehbarer Zeit wahrscheinlich eine Knappheit erleiden, weil wir haben eine Pandemie, eine weltweite Erkrankung, und das ist ein Phänomen, mit dem wir nicht geübt sind umzugehen.
"Wir haben ganz viele Hilfsangebote bekommen"
Armbrüster: Was ist denn Ihre Erfahrung? Was hören Sie von der medizinischen Situation oder der Krankheitssituation in Niedersachsen und vor allen Dingen in dem Bereich, in dem Ihr Krankenhaus tätig ist, in Wolfsburg? Können Sie da schon von Zahlen absehen, wie viele Menschen in den nächsten Tagen oder Wochen zu Ihnen kommen werden?
Erdmann: Es sind ganz schwierige Hochrechnungen und da möchte man sich eigentlich gar nicht darauf festlegen lassen, wie viele Menschen kommen. Es gibt unterschiedliche Hochrechnungen und von daher, wir werden abwarten müssen, was auf uns zukommt, wie viele Menschen in den Krankenhäusern behandelt werden müssen. Wir richten uns darauf ein, dass es mehr sind, als wir in unserem Klinikum aufnehmen müssen. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, ein Notfallkrankenhaus/Ersatzkrankenhaus betreiben zu können. Das sind im Augenblick unsere Aufgaben, dort die Logistik hinzubringen, das Material anzuschaffen und auch das Personal entsprechend zu schulen. Wir haben ganz viele Hilfsangebote bekommen von Menschen, die vielleicht früher mal im Pflegebereich gearbeitet haben, oder auch Ärzte, und das ist jetzt die Herausforderung, die Menschen dafür fit zu bekommen, dass sie dann in die Versorgung mit einsteigen können.
"Ein richtiger Zeitpunkt, Hilfe anzubieten"
Armbrüster: Ich habe das schon auf der Webseite ihres Klinikums gesehen, dass Sie Menschen darum bitten, sich als Freiwillige zu melden. Heißt das, dass jeder, der gerade etwas Zeit hat und möglicherweise auch etwas tun möchte, dass der sich bei Krankenhäusern in seiner Stadt melden kann, um sich dort anzubieten, seine Hilfe anzubieten?
Erdmann: Ich glaube, dass es jetzt tatsächlich noch ein richtiger Zeitpunkt ist, die Hilfen anzubieten und in den Krankenhäusern sich zu melden, oder wo auch immer, bei den Krisenstäben der Städte und Gemeinden, weil viel Personal in den nächsten Tagen gefordert wird und erforderlich sein wird, und weil wir jetzt noch eine Zeit möglicherweise haben, diese Menschen auch anzulernen, was sie dann tun können.
Ein medizinischer Mitarbeiter zeigt ein Testkit zur Prüfung von Infektionen auf den neuartigen Coronavirus. 
Dr. Clara Lehmann zur Lage am Uniklinikum Köln Die Uni-Klinik Köln teste mittlerweile nicht mehr nur Personen, die mit einer positiven Person Kontakt hatten, sagt Dr. Clara Lehmann von der Uniklinik-Köln. Man sei liberaler geworden und teste auch Menschen mit typischen COVID-19 Symptomen.
"Was wir eigentlich brauchen, ist nicht vorhanden"
Armbrüster: Frau Erdmann, wir haben in den letzten Tagen, in den letzten Wochen viel geredet über Lieferengpässe bei Hilfsmaterialien. Sie haben das auch schon angesprochen, die Schutzausrüstung für medizinisches Personal. Ist Ihr Eindruck, das hat sich in den letzten Tagen schon verbessert, gerade wenn wir reden über Schutzkleidung, Atemmasken?
Erdmann: Ich weiß nicht, ob Sie gestern den Bundesgesundheitsminister, Herrn Spahn gehört haben und ob Sie die Meldungen verfolgt haben, dass gestern eine relativ große Ladung an Schutzmasken, die die Bundesregierung bestellt hat, auf dem Weg nach Deutschland verschwunden ist. Das ist ein Problem. Wir bekommen im Augenblick noch ein paar Lieferungen. Wir haben für Wolfsburg auch in den letzten Tagen noch Lieferungen nachbekommen. Aber das, was wir eigentlich brauchen dafür, das ist nicht vorhanden.
"Das Personal braucht Schutzausrüstung"
Armbrüster: Nämlich was ist das?
Erdmann: Na ja! Wenn wir die Zahlen tatsächlich annehmen, die uns die Epidemiologen sagen, dann wird die Schutzausrüstung knapp und das wird nicht reichen.
Armbrüster: Das heißt, was schätzen Sie? Was kommt da in den nächsten Tagen auf die Krankenhäuser zu?
Erdmann: Wie ich schon gesagt habe. Ich denke, dass wir in den nächsten Tagen vermehrt Patienten mit den Erkrankungen haben. Dort werden wir unser Personal einsetzen müssen in diesen Bereichen und das Personal braucht Schutzausrüstung. Ich habe das auch schon gesagt. Ein Feuerwehrmann geht nicht in ein brennendes Haus ohne seine Atemschutzmaske, und auch das werden die Pflegenden und Ärzte nicht tun können.
"Eine gerechte Verteilung der Ressourcen"
Armbrüster: Muss sich die Politik in diesen Tagen Fragen stellen, wenn diese Krise vorbei ist, was sie konkret anders machen muss?
Erdmann: Ich glaube, die Fragen werden wir stellen müssen, und wir werden uns auch sicherlich zusammensetzen und aus dieser Krise auch lernen können. Wir haben in den ganzen letzten Jahren uns nicht auf solche Großschadensereignisse, wie wir jetzt erleben, vorbereitet. Das war immer so ein Punkt, wo wir dachten, das wird uns schon nicht treffen. Wenn man so eine weltweite Erkrankung dann plötzlich auf einen zurollen sieht, dann überlegt man schon, was kann man anders machen. Ich glaube, es ist auch nicht die Zeit, an die Politik Vorwürfe zu machen. Wir müssen alle jetzt zusammenhalten und wir müssen daraus lernen und gegebenenfalls müssen wir dafür Sorge tragen, oder muss die Politik dafür Sorge tragen, dass es jetzt bei den knappen Ressourcen, die wir haben, zu einer gerechten Verteilung dieser Ressourcen kommt, dass dort, wo die meisten Fälle vielleicht behandelt werden, dann zuerst die Schutzausrüstung hingebracht wird, und vielleicht dort, wo noch nicht so viele Patienten sind, die Schutzausrüstung möglicherweise erst später hingebracht wird. Wir hoffen, dass es eine gerechte Verteilung geben wird, und vielleicht kann da die Politik über eine zentrale Verteilung der Ressourcen – das ist nicht nur Schutzausrüstung; das sind auch Beatmungsgeräte und andere Dinge, die da verteilt werden sollten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.