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Vorratsdatenspeicherung
"Wir brauchen ein rechtsstaatlich klares Verfahren"

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hält trotz des EuGH-Urteils eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung für notwendig. Daten sollten drei Monate lang gespeichert werden können, Zugriffe aber nur nach einem richterlichen Beschluss möglich sein, sagte Herrmann im DLF.

09.04.2014
    Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hält trotz des EuGH-Urteils eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung für notwendig. Daten sollten drei Monate lang gespeichert werden können, Zugriffe aber nur nach einem richterlichen Beschluss möglich sein, sagte Herrmann im DLF.
    Damit widerspricht der CSU-Politiker dem Urteil des Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, der die deutsche Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung am Dienstag (08.04.2014) für ungültig erklärt hatte.
    Herrmann fordert eine schnelle Umsetzung des BGH-Urteils zur Vorratsdatenspeicherung. Das deutsche Gericht hatte vor drei Jahren bereits Vorgaben zu einer möglichen Speicherung von Telefon- und Internetdaten zur Strafverfolgung gemacht. Er hofft, dass sich die Große Koalition bis zum Ende des Jahres auf eine Regelung einigen wird.

    Das Interview in voller Länge
    Bayerischer Innenminister hält an Vorratsdatenspeicherung fest
    Tobias Armbrüster: Das hat natürlich auch in Berlin Auswirkungen, denn ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung, das war vor allem eines der Lieblingsprojekte der Union.
    Am Telefon ist jetzt Joachim Herrmann von der CSU, Innenminister in Bayern. Schönen guten Morgen!
    Joachim Herrmann: Guten Morgen!
    Armbrüster: Herr Herrmann, wie kommen Sie mit dieser krachenden Niederlage zurecht?
    Herrmann: Nun, wir haben dieses Urteil des EuGH für die europäische Richtlinie zu respektieren. Letztendlich unterscheidet es sich wenig von dem, was das Bundesverfassungsgericht in Deutschland schon vor drei Jahren entschieden hat, und das hat sich die Koalition in Berlin, CDU/CSU und SPD, ja auch bereits zum Vorbild, zur Grundlage für eine neue Regelung genommen. Insofern ist das eigentlich wenig Neues und jetzt geht es darum, dem auch in der Gesetzgebung möglichst rasch Rechnung zu tragen.
    Armbrüster: Heiko Maas, der Justizminister, will sich nicht ganz so viel Eile vorschreiben lassen. Er will jetzt vor allem ergebnisoffen mit der Union verhandeln. Wie ergebnisoffen sind sie denn?
    Herrmann: Nun, ich weiß nicht, was er unter ergebnisoffen versteht. Klar ist, dass jedenfalls beide Gerichte, Bundesverfassungsgericht wie Europäischer Gerichtshof, zum Ausdruck gebracht haben, dass es einerseits um die Freiheit und den Datenschutz der Menschen geht, dass es aber gleichwohl auch richtig ist, sich um die Sicherheit der Menschen zu kümmern. Deshalb haben beide Gerichte ja auch überhaupt nicht in Frage gestellt, dass es richtig und notwendig ist, vor allen Dingen, wenn es um schwerste Kriminalität, um Lebensgefahr für die Menschen geht, da auch entsprechend zum Schutz der Menschen auf solche Telefonverbindungsdaten auf Internetverbindungsdaten zurückgreifen zu können. Die richtige Abwägung zwischen der Freiheit, Datenschutz einerseits und die Sicherheit der Menschen andererseits, die muss gewährleistet sein. Dem haben beide Gerichte jetzt entsprechend Maßgaben in den Raum gestellt und da braucht man nicht ergebnisoffen zu sein, sondern die Frage ist, dieses letztendlich konsequent umzusetzen. Meine Linie ist seit jeher, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus Karlsruhe von vor drei Jahren eins zu eins umzusetzen. Dann sind wir auf dem sicheren Weg und tragen gleichzeitig auch der notwendigen Sicherheit für die Menschen Rechnung.
    Armbrüster: Dann erklären Sie uns das kurz, Herr Herrmann. Wie könnte ein solches Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung aussehen, das tatsächlich Bestand hätte?
    Herrmann: Entscheidend ist, es geht um schwerste Kriminalität. Wir greifen auf Telefondaten nicht zurück, um Ladendiebe beispielsweise zu fangen. Es geht beispielsweise um schweren sexuellen Missbrauch, es geht um Entführung, es geht um Mord, Totschlag, Terrorismus.
    Zweitens: Es geht darum, die Daten werden ja bei den Unternehmen gespeichert, nicht beim Staat, und es geht darum, wann kann der Staat darauf zugreifen. Wir sind der Meinung, auch das hat der EuGH gesagt, die Daten müssen in der EU gespeichert werden. Es darf nicht vorkommen, dass sie zum Beispiel in Amerika mit der Frage, wer hat wann Zugriff auf solche Daten, gespeichert werden dürfen. Telekommunikationsunternehmen müssen sie in Deutschland speichern. Zugriff nur, wenn ein Richter das anordnet. Das heißt, nicht nach eigener Entscheidung von Sicherheitsbehörden, sondern nur nach richterlicher Anordnung. Und wir wollen das anders als bisher nur auf drei Monate begrenzen.
    Armbrüster: Herr Herrmann, jetzt haben Sie am Anfang gesagt, worauf Sie das anwenden wollen. Ursprünglich, als das Ganze mal diskutiert wurde in Deutschland, da hieß es immer, Vorratsdatenspeicherung nur in Fällen von schwerem Terrorismus. Jetzt schließen Sie auch noch andere Verbrechen ein. Wie sicher können wir uns denn sein, dass, wenn die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich kommt, dass dann nicht auch irgendwann ganz leichte Verbrechen damit aufgeklärt werden sollen, sprich, dass dann einfach die Polizei Zugriff auf diese Daten hat, wann immer sie haben will?
    Herrmann: Nein, eben natürlich nicht, weil das sowohl das Bundesverfassungsgericht wie jetzt auch der Europäische Gerichtshof klar entschieden haben. Das sind die Maßstäbe und die müssen natürlich im Gesetz jetzt auch klar fixiert werden.
    Armbrüster: Aber die Daten dürfen ja nicht anlasslos einfach so gespeichert werden. Das haben die Luxemburger Richter ja auch klar gemacht. Wie soll das dann funktionieren, das massenhafte Speichern, wenn es keinen konkreten Anlass gibt?
    Herrmann: Nun, wir müssen das natürlich jetzt auch noch einmal sorgfältig interpretieren. Aber entscheidend ist schon, dass wir die Situation häufig haben, wenn wir erst dann, wenn wir zum Beispiel wissen, da ist ein Terrorist, erst dann mit richterlicher Anordnung für die Zukunft speichern oder die Überwachung von Telefonaten beginnen, dann haben wir häufig das Problem, dass wir eben nicht wissen, mit wem stand er bisher in Kontakt. Häufig ist es in dem Moment, wo die Polizei ermittelt, der Täter ja schon gewarnt, und dann können wir gerade Hintermänner entsprechend auch nicht mehr aufdecken. Das gilt auch für die Fragen von beispielsweise schwerem sexuellem Missbrauch von Kindern, wo Kinder auch in Lebensgefahr sind.
    Armbrüster: Ich verstehe das schon. Sie meinen, wir sollen diese Daten schon speichern, bevor diese Leute überhaupt in Erscheinung getreten sind, dass wir hinterher darauf zurückgreifen können. Aber genau da sagen die Richter ja, das ist anlasslos und deshalb eigentlich nicht mit geltendem Recht vereinbar.
    Herrmann: Wir sind schon der Meinung, dass dies notwendig ist, dass wir natürlich auch solche Daten für einen sehr überschaubaren Zeitraum wie drei Monate entsprechend auf Vorrat speichern müssen. Das ist auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit der deutschen Rechtsordnung vereinbar. Und wir müssen deswegen jetzt auch nicht auf eine neue Richtlinie aus Brüssel warten. Wir haben die eigene Gesetzgebungskompetenz in der Bundesrepublik Deutschland und davon muss jetzt auch Gebrauch gemacht werden.
    Armbrüster: Na gut. Aber die Luxemburger Richter, der Europäische Gerichtshof kann so was immer noch kippen.
    Herrmann: Ich sehe hier keinen Widerspruch, sondern ich sehe letztendlich die Maßgabe, dass in der Tat natürlich grundsätzlich angesichts der Bedrohung von Sicherheit in unserem Land – das ist ja tagtäglich letztendlich das Risiko – wir eine klare rechtliche Regelung brauchen, und das allerdings auch angesichts dessen, was wir hören, was die NSA in den USA treibt, denn wir müssen auch sehen: Ein solches Verfahren, dass letztendlich hier eine Behörde ohne rechtsstaatliche Grundlage Dinge macht, das ist eben genau das, was wir nicht wollen. Aber die Alternative kann nicht sein, dass wir nichts tun für die Sicherheit der Menschen, und deshalb brauchen wir ein rechtsstaatlich klares Verfahren.
    Armbrüster: Zeigt denn nicht gerade diese ganze NSA-Affäre, was für ein ungutes Gefühl die Menschen in Deutschland dabei haben, wenn der Staat oder vom Staat beauftragte Unternehmen einfach massenweise elektronische Daten sammeln, Daten, die sich hinterher sehr leicht auswerten lassen?
    Herrmann: Das ist in der Tat abschreckend, und genau deshalb wollen wir es so wie in den USA eben nicht, sondern wir wollen erstens, dass die Daten bei den Unternehmen gespeichert bleiben und dass der Staat nur auf einer individuellen rechtlichen Anordnung eines Richters darauf zugreifen kann. Das ist gerade der gewaltige Unterschied. Und wir müssen ein Interesse daran haben, dass es ein solch rechtsstaatliches Verfahren gibt. Die Alternative kann nicht sein, dass der Staat gar nichts macht.
    Armbrüster: Macht das denn wirklich so einen Unterschied, ob dieser Server in einem Ministerium steht, oder in einem Unternehmen, auf das das Ministerium zugreifen kann?
    Herrmann: Das Ministerium kann eben nicht zugreifen. Das Ministerium selbst überhaupt nicht. Dafür haben wir die entsprechenden Sicherheitsbehörden, die Polizei. Aber klar ist: Es wird dort, wo es ohnehin zum Beispiel manchmal für Rechnungslegungen gespeichert wird, es wird bei der Telekom oder bei Vodafone oder bei dem Internet-Provider gespeichert. Nur wenn ein Richter das anordnet, dann darf Polizei auf solche Daten zugreifen. Das heißt, sie kann ja gar nicht selber elektronisch zugreifen, sondern sie kann dann dem Unternehmen sagen, hier, wir haben jetzt hier die richterliche Anordnung, wir bitten um Übermittlung der Verbindungsdaten von dem und jenem Telefonanschluss. Das ist der rechtsstaatliche saubere Weg und gerade da muss die EU und müssen wir in Deutschland eine deutliche Alternative aufzeigen zu der Praxis, von der wir jetzt schrecklicherweise aus den USA erfahren haben.
    Armbrüster: Dann ganz kurz, Herr Herrmann. Die Kollegen aus der Technik machen sich schon Sorgen, weil in einer Minute hier die Nachrichten folgen. Deshalb nur in einem Satz bitte. Was glauben Sie, wie lange dauert es für eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland?
    Herrmann: Ich hoffe sehr, dass die Große Koalition in Berlin noch in diesem Jahr 2014 zu einer klaren Entscheidung über die künftige rechtsstaatliche Regelung kommt.
    Armbrüster: Joachim Herrmann war das, der CSU-Innenminister in Bayern. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Herrmann: Ich danke Ihnen auch! Einen wunderschönen Tag wünsche ich Ihnen.
    Armbrüster: Danke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.