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Vorratsdatenspeicherung
"Wir schaffen mit dieser Datenspeicherung riesige Daten-Pools"

Die vom Bundestag beschlossene Vorratsdatenspeicherung lehnt Katja Keul vom Bündnis 90/Die Grünen ab: "Der Eingriff in die Grundrechte ist erheblich und der Nutzen ist so gut wie gegen null." Zudem bezweifelte sie die Sicherheit der Daten. "Solche Datenmengen wecken auch Begehrlichkeiten von Hackern", sagte Keul im DLF.

Katja Keul im Gespräch mit Daniel Heinrich |
    Die Grünen-Politikerin Katja Keul im Bundestag
    Die Grünen-Politikerin Katja Keul (picture alliance / dpa / Lukas Schulze)
    Daniel Heinrich: Seit Jahren herrscht um die Vorratsdatenspeicherung erbitterter Streit. Die Gegner malen den Überwachungsstaat an die Wand, die Befürworter sagen, dass sie unerlässlich sei, vor allem bei der Aufklärung von Schwerverbrechen und im Kampf gegen den Terror. Big Brother oder Schutz vor Terroristen?
    Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Katja Keul, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen und rechtspolitische Sprecherin. Frau Keul, Ihr Kollege Volker Ullrich von der CSU hebt den Opferschutz besonders hervor und sagt, mithilfe der Vorratsdatenspeicherung wolle er schwere Verbrechen aufklären. Haben die Grünen kein Interesse daran, Schwerverbrechen aufzuklären?
    Katja Keul: Nein, keinesfalls. Natürlich wollen auch Grüne Schwerstverbrechen aufklären. Das Problem ist nur, dass die Vorratsdatenspeicherung dazu gar nicht geeignet ist. Ich meine, es war sogar derselbe Kollege, der heute in der Debatte gesagt hat, man hätte die Attentate von Paris verhindern können mit der Vorratsdatenspeicherung. Das ist natürlich völlig absurd, denn gerade das waren Täter, die hat man gekannt, die hat man überwacht und man hat die Überwachung leider Gottes zu früh eingestellt. Das heißt, hier wird immer so getan, als ob man Verbrechen verhindern könnte. In der Zeit, in der wir die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland hatten, ist die Aufklärungsquote nicht messbar gestiegen.
    Heinrich: Aber erst mal werden die Daten ja nur gespeichert. Das macht das Einwohnermeldeamt ja auch. Und jemand, der nichts verbrochen hat, hat doch erst mal eigentlich nichts zu befürchten, oder?
    Keul: Ja, das denkt man sich so. Aber wir haben ja jetzt auch in den letzten zwei Jahren erlebt, wie schwierig es ist, Daten zu sichern. Sei es das Handy der Kanzlerin, sei es unser Bundestagssystem. Das heißt, wir schaffen hier mit dieser Datenspeicherung riesige Daten-Pools, wo völlig unklar ist und auch nach diesem Gesetzesentwurf unklar bleibt, wie die gesichert werden sollen. Das heißt, solche Datenmengen wecken natürlich auch die Begehrlichkeiten von Hackern aller möglichen Couleur, und auch die Bundesregierung kann uns nicht in der Sicherheit wiegen, dass dann diese Daten auch wirklich sicher sind.
    "Wichtig, dass andere wiederum kontrollieren, dass die Ermittlungsbehörden nicht ausufernde Möglichkeiten bekommen"
    Heinrich: Jetzt haben Sie die Bundesregierung schon angesprochen. Da gibt es ja neben der Bundesregierung auch zum Beispiel den Bund Deutscher Kriminalbeamter, die Polizeigewerkschaft, auch der Deutsche Richterbund ist für die Vorratsdatenspeicherung und letzterer sagt sogar, die ist zwangsläufig. Telefon und Internet sind oft der einzige Ansatz für Ermittlungen. Sind die denn alle komplett fehlgeleitet?
    Keul: Na ja. Der Richterbund, das sind nicht nur Richter, das sind ja auch die Staatsanwälte, und natürlich sind die Ermittlungsbehörden diejenigen, die von Berufs wegen - das nehme ich ihnen gar nicht übel - natürlich immer gerne besonders viele Ermittlungsmöglichkeiten haben. Und trotzdem ist es deswegen wichtig, dass andere dann wiederum kontrollieren, dass die Ermittlungsbehörden nicht ausufernde Möglichkeiten bekommen. Das heißt, da muss man dann schon auch gucken, was ist verhältnismäßig, inwieweit greifen diese Ermittlungsmethoden in die Rechte ein und was ist der Nutzen auf der anderen Seite. Und da muss man sagen, da teile ich das nicht, was der Deutsche Richterbund sagt. Der Eingriff in die Grundrechte ist erheblich und der Nutzen ist so gut wie gegen null, und von daher kann ich das nur ablehnen.
    Heinrich: Die Daten von zum Beispiel Anwälten oder Ärzten oder Journalisten, Geistlichen, Beratungen, auch von Hilfseinrichtungen, die dürfen ja jetzt erst mal nicht verwendet werden.
    Keul: Ja, aber das ist ein ganz entscheidender Punkt. Ich glaube sogar, dass dieser mangelnde Schutz der Berufsgeheimnisträger der kritischste Punkt überhaupt an dem Gesetz ist, wenn es jetzt noch mal zu einer verfassungsrechtlichen Überprüfung kommt. Denn der EuGH hat ganz klar gesagt, die Kommunikationsdaten mit den Berufsgeheimnisträgern, die darf man nicht verwerten, aber die darf man vor allen Dingen auch gar nicht erst erheben und speichern. Das hat der EuGH ganz klar gesagt. Und es ist völlig unverständlich, warum die Bundesregierung immer wieder auf unsere Frage sagt, das sei nicht möglich bei den Anwälten. Bei den anonymen kirchlichen Beratungsdiensten ist es möglich und ich sehe überhaupt nicht, warum das bei den Anwälten nicht möglich sein soll. Wie gesagt, der EuGH ist an der Stelle eindeutig.
    "Der Schutz muss von vornherein gelten"
    Heinrich: Aber es gibt ja auch noch den Richtervorbehalt. Was sagen Sie denn dazu?
    Keul: Der Richtervorbehalt ist sicherlich wichtig und richtig. Aber die Daten der Anwälte, wenn die gespeichert werden, dann habe ich das Problem, dass die erst angehört werden oder bei der Auswertung erst festgestellt wird, ach ich habe jetzt hier irgendwie ein anwaltliches Telefonat mit dem Mandanten, und dann wird das erst im Nachhinein aussortiert. Das kann natürlich nicht sein, sondern der Schutz muss von vornherein gelten.
    Heinrich: Dann lassen Sie uns mal ein bisschen in die Zukunft blicken. In drei Jahren gibt es schon eine Evaluierung. Woher die ganze Aufregung, wenn in drei Jahren sowieso noch mal geguckt wird, wie das Gesetz angenommen wurde?
    Keul: Das war jetzt die einzige Änderung, die sie in das Verfahren noch eingebracht haben, war eine Ergänzung, dass wir nach drei Jahren mal gucken, was denn eigentlich passiert ist. Das muss man natürlich machen, wenn man ein Gesetz auf den Weg bringt, wo man erheblich in die Rechte der Bürger eingreift. Das ist das Mindeste, dass man es evaluiert. Aber wir müssen ja auch mal zurückblicken und sagen, wie viele Jahre diskutieren wir das jetzt schon. Und immer wieder wurde behauptet, das sei alles in Ordnung, und dann hat es erst das Verfassungsgericht entschieden, dann hat es der EuGH entschieden. Wir haben zwei höchstrichterliche Entscheidungen zu dem Thema und es geht immer wieder noch mal in die nächste Runde. Für mich ist das kein Argument jetzt, das mich überzeugen würde.
    "WhatsApp führt schon im Prinzip die gesamte Vorratsdatenspeicherung ad absurdum"
    Heinrich: Lassen Sie uns mal von der Debatte ein bisschen weggehen, ein bisschen auf die "Metaebene", ein bisschen fatalistisch vielleicht auch werden. Wenn wir uns angucken in Zeiten von WhatsApp und Facebook, was die breite Bevölkerung sowieso schon an Daten einfach so ins Netz stellt, vollkommen ungeschützt, ist da diese Debatte um Vorratsdatenspeicherung nicht einfach schon ein bisschen egal?
    Keul: Da müssen wir natürlich auch was machen. Da gebe ich auch dem Justizminister Recht, der an der Stelle gesagt hat, das kann überhaupt nicht sein, wie hier Privatunternehmen mit den Daten der Bürger umgehen. Aber weil Sie gerade WhatsApp ansprechen: Die Kommunikation über WhatsApp wird über die Vorratsdatenspeicherung nicht erfasst. Wenn wir kommunizieren, dann werden wir gespeichert, aber wenn Sie vorhaben, ein Verbrechen zu begehen, dann werden Sie sich vielleicht überlegen, dass Sie einen Weg nehmen, der nicht erfasst wird, und WhatsApp ist da eine so einfache Umgehungsmöglichkeit, dass das schon im Prinzip die gesamte Vorratsdatenspeicherung ad absurdum führt.
    Heinrich: Das sagt Katja Keul, die rechtspolitische Sprecherin der Grünen. Frau Keul, vielen, vielen Dank für das Gespräch.
    Keul: Ja, bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.